„Wir halten an ihm fest“

Martin Luther King ist auch 50 Jahre nach seiner Ermordung für viele Christen ein Vorbild • von Alexander Lang

Martin Luther King war der ­bekannteste Vertreter der Bürgerrechtsbewegung in den USA. Der Baptistenpastor aus Atlanta sprach sich für gewaltfreie Protestformen aus, um seinen Traum, die Gleichheit aller Menschen, zu erreichen. Foto: epd

Rund 250000 schwarze und weiße Amerikaner protestierten 1963 beim „Marsch auf Washington“ für eine fortschrittliche Bürgerrechtsgesetz­gebung. Foto: epd

1968 benannte die protestantische Gedächtniskirchengemeinde in Speyer ihr Gemeindezentrum „Martin-Luther-King-Haus“, sagt Dekan Markus Jäckle. Foto: Landry

Als Martin Luther King am 4. April 1968 in Memphis in Tennessee durch die Kugeln eines weißen Rassisten niedergestreckt wurde, saß der Schock tief. Was wird nun aus dem Traum des schwarzen US-amerikanischen Bürgerrechtlers und Friedensnobelpreisträgers, dass die Menschen eines Tages geschwisterlich und in Frieden miteinander leben, fragten sich Weggefährten und Unterstützer bange. Viele Kirchengemeinden – auch in Deutschland – setzten daraufhin ein Zeichen, dass sie den Weg von „MLK“ weitergehen möchten: Sie benannten Kirchen, Gemeindezentren und Kindertagesstätten nach dem Baptistenpastor aus dem Süden der USA. Mit friedlichem Protest statt mit Gewalt wollte dieser die Welt verändern.

„Der Tod Martin Luther Kings war ein Aufbruchsignal für unsere Kirchengemeinde“, erzählt Pastor Andreas Holzbauer von der evangelisch-lutherischen Martin-Luther-King-Kirchengemeinde im Hamburger Stadtviertel Steilshoop. Die Hochhaussiedlung, die 1968 bis 1974 entstand, ist das, was man gemeinhin als ein „Problemviertel“ bezeichnet. Die Arbeitslosigkeit und Armut unter den Bewohnern ist hoch. Durch den starken Zuzug von Flüchtlingen seit den 1970er Jahren sind rund die Hälfte von ihnen heute Migranten.

Die Kirchengemeinde und die Pastoren hätten 1968 bewusst den Namen des Bürgerrechtlers für ihre Kirche und das Gemeindezentrum gewählt, die in der Mitte des Stadtviertels neu entstanden, sagt Holzbauer. Die Namensgebung sollte ein Ansporn für eine besondere Kirchenarbeit sein. Diese stelle das Miteinander von Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und Religionen und eine starke soziale Arbeit in den Mittelpunkt. Martin Luther King war davon überzeugt, dass eine Kirche, die nur Sorge für das Seelenheil der Menschen trage, sich aber nicht um die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse kümmere, „schon vom Tod gezeichnet ist und nur auf den Tag des Begräbnisses wartet“.

In diesem Sinne gehen Mitglieder der rund 3500 Menschen zählenden Kirchengemeinde im Nordosten Hamburgs seit 50 Jahren ganz gezielt zu den Menschen in ihrem Revier. Mit dem Leiterwagen zogen Pfarrer um die Hochhäuser, feierten Gottesdienste außerhalb der Kirche, sagt Pastor Holzbauer. Vor allem in den 1970er Jahren kümmerte man sich um Arbeitslose, begleitete die Einwohner auch psychotherapeutisch. Kirchenmusik, eine intensive Konfirmandenarbeit und zuletzt die Flüchtlingshilfe waren weitere Schwerpunkte der Hamburger Protestanten.

Bis heute gebe es einen „familiären Ansatz“, der zuletzt in der Gemeinde auch in die Kritik geraten sei, berichtet Holzbauer. Einige Gemeindemitglieder hätten sich durch das starke Engagement in Steilshoop für Flüchtlinge, etwa mit Glaubens- und Deutschkursen für taufwillige Migranten, „nicht mehr wohlgefühlt“, sagt er. Deshalb setze die Kirchengemeinde etwa mit Gemeindenachmittagen, einer interkulturellen Frauengruppe und einem Flüchtlingscafé darauf, dass sich Migranten und Alteingesessene besser kennenlernen, um Aggressionen abzubauen. In all diesen Projekten seien der Geist von Martin Luther King, seine Theologie und sein Handeln lebendig.

„MLK ist ein Vorbild“, sagt Pastor Holzbauer, „wir halten an ihm fest.“ Jährlich wird sein Geburtstag am 15. Januar im Stadtviertel gefeiert. Anlässlich seines 50. Todestags gibt die Kirchengemeinde in Zusammenarbeit mit der Deutschen Post einen Sonderstempel für Briefmarkensammler heraus. Das Kuvert wurde gemeinsam mit Flüchtlingen in der Kirchengemeinde gestaltet.

Auch das Martin-Luther-King-Haus der protestantischen Gedächtniskirchengemeinde in Speyer wurde 1968 errichtet. „Die Namensgebung soll an Martin Luther King, der im selben Jahr erschossen wurde, und sein Eintreten für die schwarze Bürgerrechtsbewegung erinnern“, sagt Dekan Markus Jäckle. Ob der Mord an dem Bürgerrechtler dazu geführt oder ob die Namensgebung schon zuvor geplant gewesen sei, könne er jedoch nicht sagen. Doch habe die Wahl des Namens mit der 1904 geweihten Gedächtniskirche der Protestation zu tun, die an den Speyerer Reichstag von 1529 erinnere. Damals protestierten evangelische Fürsten und Reichsstädte für Glaubens- und Gewissensfreiheit.

In diesem Sinne stehe auch das Speyerer Martin-Luther-King-Haus für Religionsfreiheit, das Einstehen für Menschenrechte und Menschenwürde und die Wahrung von Glaube, Verantwortung und Freiheit in Kirche und Gesellschaft, betont Jäckle. 1968 habe die Bürgerrechtsbewegung Gesellschaft und Kirche intensiv bewegt. Sehr progressiv sei daher die Entscheidung der Kirchengemeinde damals gewesen, ihr Zentrum nach dem prominentesten Fürsprecher der Bürgerrechte zu benennen. „Nicht Martin Luther oder Dietrich Bonhoeffer, sondern der Baptistenprediger und Bürgerrechtler Martin Luther King wurde gewählt“, sagt der Speyerer Dekan.

Dabei habe auch dessen berühmte Rede „I have a dream“ eine Rolle gespielt, sagt Jäckle. Am 28. August 1963 forderte Martin Luther King zum Abschluss eines Protestmarschs nach Washington vor rund 250000 Menschen gleiche Rechte für Schwarze und Weiße. Seiner Vision von einer gerechten, friedlichen Welt – dem Reich Gottes – seien Christen in ihrem Glauben und Tun verpflichtet, sagt Jäckle. Auch heute sei das Ge­mein­de­zent­rum der Gedächtniskirchengemeinde ein Haus für viele Menschen, Gruppen und Kreise in diesem Geiste. Dort gibt es einen Treffpunkt Asyl für Flüchtlinge und Migranten, Mahlzeiten für Bedürftige, einen Partnerschaftskreis mit kirchlichen Gemeinden im Ausland. Mit einem großen Gemeindefest will die Kirchengemeinde am 1. und 2. September das 50-jährige Bestehen des Martin-Luther-King-Hauses feiern.

Auch die baptistische Martin-Luther-King-Kirche in Stuttgart-Zuffenhausen ist eine von vier Kirchen in Deutschland, die den Namen des Bürgerrechtlers trägt, weitere gibt es in Berlin und im bayerischen Hürth. Wie es zur Namensnennung kam, sei leider nicht mehr dokumentiert, berichtet Pastor Volker Schmidt. 1969 habe entweder Martin Luther Kings Frau Coretta oder, was wahrscheinlicher sei, seine Schwester Christine King die Stuttgarter Stiftskirche besucht. Der damalige Pastor der Kirche habe Kontakt zur King-Familie aufgenommen und mehrere Konzerte und Aktionen organisiert, im Frühjahr 1970 habe die Kirche ihren Namen erhalten.

Durch das soziale Engagement, etwa für Flüchtlinge, habe der Name Martin-Luther-King-Kirche in den vergangenen Jahren wieder eine neue Bedeutung gewonnen, sagt Schmidt. Zur Erinnerung an dessen Todestag veranstaltet die Gemeinde am 14. und 15. April ein Wochenende mit einem Filmabend und einem Gottesdienst zu Martin Luther King unter dem Motto „Liebe ist die beständigste Macht der Welt“.

Viele protestantische Christen halten Martin Luther King als Reformer bedeutsamer als seinen großen Namensgeber, hat Jeffrey Myers aus Darmstadt beobachtet. Anders als Martin Luther vor 500 Jahren habe der Bürgerrechtler eine kritische, von Abstand gegenüber der staatlichen Gewalt geprägte Haltung eingenommen, sagt der aus den USA stammende Mitarbeiter im Büro für Kommunikationsprojekte der Evangelischen Kirche von Hessen und Nassau. Konsequente Gewaltlosigkeit, so habe der Spross einer Pastorenfamilie aus Atlanta argumentiert, befreie nicht nur die Unterdrückten, sondern auch die Unterdrücker. ­Myers plant gemeinsam mit der Evangelischen Akademie Frankfurt in der Alten Nikolaikirche am 3. April einen Ge­denk­abend sowie am 5. und 6. Mai zwei Abendveranstaltungen zu Martin Luther Kings Leben und Werk. Den traditionellen Open-Air-Gottesdienst am Pfingstmontag, 21. Mai, widmet die evangelische Kirche in Frankfurt ganz dem Bürgerrechtler und seiner Bedeutung für heute. Auch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) würdigt Martin Luther King: Für den 22. April ruft sie die Christen dazu auf, in ihren Gemeinden mit einem ökumenischen Abendgebet an ihn zu erinnern. Dazu hat die EKD eine Arbeitshilfe herausgegeben.

Bei einer Ansprache während seines Deutschlandbesuchs am 13. September 1964 auf der Berliner Waldbühne habe Martin Luther King seinen Namensvetter mit Blick auf seinen beharrlichen Kampf gegen die Unterdrückung gewürdigt, erzählt Myers: „Und unsere einzige Antwort könnte nur die eures großen Reformators Martin Luther sein: ,Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir‘“. Auch am Abend vor seiner Ermordung sei Martin Luther King in einer Ansprache vor streikenden schwarzen Arbeitern der Stadtreinigung von Memphis auf Martin Luther und seinen Thesenanschlag eingegangen. Wieder gab es Gerüchte um mögliche Anschläge auf ihn. Doch trotz der Gefahr betonte der 39-jährige Pastor: „I’ve been to the mountaintop.“ Er sei auf der Spitze des Bergs gestanden, von wo aus er das Gelobte Land gesehen habe. Deshalb, so Martin Luther King, fürchte er sich nicht mehr.

Leider hätten die Anliegen des mutigen und unbequemen Kämpfers für die Bürgerrechte nichts von ihrer Aktualität eingebüßt, beklagt Christoph Picker, der Direktor der Evangelischen Akademie der Pfalz in Landau. Noch immer würden Menschen diskriminiert: wegen ihrer Hautfarbe, ihrer Herkunft, ihres Geldbeutels, ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung – auch in der Kirche. „Mich ärgert, mit welchem Gleichmut das als unveränderbar hingenommen wird.“ Martin Luther King, einer der ganz Großen der Christentumsgeschichte, erinnere daran, dass es sich lohne, zu kämpfen, sagt Picker. „Auch wenn man dabei aneckt.“

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