Haarspalterei

Warum Ost- und Westkirche vor 1000 Jahren „um des Kaisers Bart“ stritten • von Markus Springer

Bärte unterliegen Moden: Derzeit ist der Vollbart bei jungen Männern sehr beliebt. Foto: iStock/gilaxia

Auch Martin Luther gibt es mit und ohne: einmal mit Bart als Junker Jörg (1521), einmal mit ­rasiertem Kinn und Tonsur (1517), beide Male nach Bildern von Lucas Cranach dem Älteren. Fotos: Wikimedia Public Domain

Bärte sind mehr als modische Spielereien und Biotope für Bakterien. Sie sind (… auch) Bedeutungsträger mit vielfachen historischen Verästelungen“, heißt es in der Aufsatzsammlung „Anything Grows. 15 Essays zur Geschichte, Ästhetik und Bedeutung des Bartes“. Wer wüsste das besser als die Protestanten! Als es um das Wohl und Wehe der Reformation und seiner eigenen Person ging, ließ sich der stets gut rasierte Augustiner Martin Luther einen Vollbart stehen – Teil seiner Verkleidung als Junker Jörg, damals auf der Wartburg.

In Erfurt hat Luther studiert, an der Erfurter Universität lehrt heute der Kirchengeschichtler Jörg Seiler. In dem unter­haltsam-anspruchsvollen Essayband ist er unter dem Titel „Soma und Dogma“ dem „Klerikerbart im theologischen Streit“ auf der Spur. Dass er dabei Luthers Jörg-Bart völlig übergeht, könnte daran liegen, dass Seiler Katholik ist. Tatsächlich spielte die Bartfrage in der Reformation kirchengeschichtlich keine Rolle mehr.

Komplett anders sieht es bei einer anderen Kirchenspaltung aus: dem großen „morgenländischen Schisma“ von 1054, das bis heute orthodoxe und westlich-lateinische Kirche trennt. Folgt man Seiler, dann bekamen sich Ost- und Westkirche nicht nur über die „filioque“-Frage rettungslos in die Haare (also über die Frage, ob der Heilige Geist vom Vater und vom Sohn ausgeht). Sondern auch über die der Barthaare ihres Bodenpersonals.

Glatt rasiert oder vollbärtig, Schnauzer oder Kinnbart – was bitte soll das männliche Gesichtshaar mit dem Reich Gottes zu tun haben? Alles ein heute nicht mehr verständlicher Streit um des Kaisers Bart (siehe unten)?

Ja und nein. Denn obwohl dem Christentum gerne Leibfeindlichkeit nachgesagt wird, ist ein Glaube, in dessen Zentrum die Menschwerdung Gottes steht, geradezu auf den Körper fixiert. Und wenn das Leben eines Christen, eines Priesters oder Klerikers zumal, „imitatio Christi“ sein soll, dann wird die Frage nach den Bärten der Jünger und Propheten und vor allem des Herrn Jesus selbst plötzlich überaus bedeutsam. Für Paulus ist der menschliche Leib Tempel Gottes (1. Korinther 6, 19?f.), und im Matthäusevangelium sagt Jesus, dass die Haare eines jeden von Gott gezählt seien (10, 30). Körperpflege und „Gottesdienst“ rücken damit eng zusammen.

Als einer der Ersten hat sich der Kirchenvater Clemens von Alexandria Ende des 2. Jahrhunderts mit der Bartfrage beschäftigt. In seinem „Paidagogos“ (Der Erzieher) erfährt man, dass damals – wie heute wieder – völlige Körperenthaarung nicht nur bei Frauen, sondern auch bei Männern in Mode war. Gott habe aber den Mann mit Bart und Brusthaar geschaffen, argumentiert Clemens. Der Bart sei, wie die Mähne des Löwen, Kennzeichen von Kraft, Potenz und männlicher (Vor-)Herrschaft. Denn Gott habe Adam vor Eva erschaffen. Und nur für die Frau habe Gott glatte Haut gewollt. Enthaarte Männer würden deswegen durch und durch „weibisch“, seien homosexuell, „gottlos“ und „unzüchtig“, kurz „widernatürliche Weichlinge“. Homohasser von heute würden in ähnlicher Tonart vielleicht von „verschwult“ sprechen. Spezifisch christlich ist die homophobe Haltung des Clemens aber nicht. Seiler: „Sie war in der antiken Literatur verbreitet und begegnet uns ähnlich etwa in Ovids Ars amatoria.“

Zwei Bartverse des Alten Testaments haben kirchengeschichtlich besondere Wirkung entfaltet: Priester „sollen keine Glatze scheren auf ihrem Haupt noch ihren Bart stutzen“, lautet im 3. Buch Mose die Anweisung Gottes (21, 5). Und der 133. Psalm beginnt: „Siehe, wie fein und lieblich ist’s, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen! Es ist wie das feine Salböl auf dem Haupt Aarons, das herabfließt in seinen Bart, das herabfließt zum Saum seines Kleides …“ Augustinus hat den Bartpsalm allegorisch auf die Kirche und ihr Personal hin gelesen: Der Körper des Mose-Bruders Aaron stehe für den Christusleib der Kirche, das Salböl entspreche dem Heiligen Geist, der Bart stehe für die Apostel und Märtyrer. Und für deren Nachfolger, die Bischöfe und Priester.

Damit erscheint plötzlich in völlig neuem Licht, dass die Kleriker der Ostkirchen bis heute einen Bart tragen müssen. Und auf die kreisrunde römische Tonsur des Schädels, wie sie auch Luther als Mönch trug, fällt ein Schatten des Zweifels.

Die alte Kirche hielt sich noch an das Gesetz des Mose, auf dass man ihre Vertreter nicht mit den Priestern heidnischer Serapis- oder Isis-Kulte verwechsele. Denn die schoren sich das Haupt zur Glatze. Eremiten und Wüstenmönche scherten sich dennoch bald nur noch wenig um die jüdischen Regeln. Ihnen war wichtiger, mit einem kahlen Kopf Buße und Demut sichtbar zu machen. In der westlichen Kirche setzte sich die Tonsur als Zeichen der Weltentsagung immer mehr durch. Ab dem 7. und 8. Jahrhundert wurde sie zur allgemeinen Regel beim Eintritt in den geistlichen Stand. Erst 1972 schaffte Papst Paul VI. die Pflicht zur Ersttonsur ab.

Warum liefen in der Bartfrage die Dinge im Westen und Osten so auseinander? Eine Rolle dürfte gespielt haben, dass sich die meisten Römer rasierten. Die erste Rasur – oft verbunden mit dem erstmaligen Anlegen der Männertoga – galt als Beginn der Mannbarkeit: Man feierte ein Bartfest und opferte das abgeschnittene Gesichtshaar einem Gott. Und wo die Griechen sich im Trauerfall den Bart schoren, ließen ihn die Römer stehen.

Am kontinuierlich heftiger werdenden Streit um den Priesterbart wurde im frühen Mittelalter immer deutlicher, wie sehr sich Ost- und Westkirche auseinandergelebt hatten. Man kann es am besten so vergleichen: Fragt man irgendwo auf der Welt, worin sich Protestanten und Katholiken unterscheiden, wird man kaum eine abendmahlstheologische Antwort bekommen. Sondern ziemlich sicher die, dass bei den einen die Priester heiraten dürfen (oder sogar selbst Frauen sind) und bei den anderen nicht. Nicht einmal in Worms oder Wittenberg dürfte man da heute andere Ergebnisse erhalten.

Vor 1000 Jahren war die Bartfrage das sichtbare Zeichen des Unterschieds: Während in der griechischen Ostkirche der Klerikerbart als unumstößliche Norm galt, hatte sich im lateinischen Westen das Gegenteil zur Regel entwickelt. Und beide Seiten waren felsenfest überzeugt, dass der jeweilige Umgang mit dem Priesterkinn dem Willen Gottes entsprach.

Vor diesem Hintergrund wird klar, dass es – jedenfalls fürs gemeine Volk – ein Bartskandal war, der sich am 16. Juli 1054 in der Hagia Sophia von Konstantinopel ereignete: Es war neun Uhr, als drei römische Kleriker (als solche gut erkennbar, weil frisch rasiert) kurz vor Beginn des Gottesdiensts die Kirche betraten und auf dem Hauptaltar die Bannbulle gegen den amtierenden Patriarchen Michael Kerularios niederlegten. Eine unerhörte Frechheit der Bartlosen aus dem Westen!

Eigentlich ging es ja um theologische Fragen wie die, ob man in der Eucharistiefeier ungesäuertes Brot verwenden muss (wie es im Westen galt) oder gesäuertes (wie es die Ostkirchen praktizierten, um sich vom Judentum abzusetzen).

Doch nun reichte es. Kerularios zettelte einen Volksaufstand gegen den Kaiser an, der die römischen Legaten unterstützt hatte. Der byzantinische Kaiser versuchte den Aufstand der Bärtigen zu besänftigen, indem er die bartlosen Gesandten aus der Stadt warf. Ihre Übersetzer lieferte er dem Patriarchen aus, der nun seinerseits die Lateiner exkommunizierte.

Das Tischtuch zwischen West- und Ostkirche war zerschnitten – und die Folgen des Streits „um des Priesters Bart“ sind bis heute in der Weltchristenheit sichtbar.

Jörg Scheller und Alexander Schwinghammer (Hrsg.): Anything Grows. 15 Essays zur Geschichte, Ästhetik und Bedeutung des Bartes. Franz Steiner Verlag Stuttgart, 2014. 315 Seiten, 29,90 Euro. ISBN 978-3-515-11410-3 

Streit um des Kaisers Bart

Die Redewendung „um des Kaisers Bart streiten“ geht auf das christliche Ringen mit dem Bart zurück. Und auf den Kampf um die vorherrschende Religion im römischen Reich Mitte des 4. Jahrhunderts.

Kaiser Julian, dem die Christen später den Schmähtitel „Apostata“ (der vom Glauben Abgefallene) verpassten, war ein Neffe Konstantins. Die „konstantinische Wende“ hatte den politisch-staatlichen Siegeszug des Christentums eingeläutet. Doch noch hatten die alten Götter und Philosophen viele Anhänger. Julian war einer von ihnen. Das zeigte er durch sein asketisches Auftreten – und indem er einen Kinnbart in der Manier der griechischen Philosophen trug.

Im stark christianisierten Antiochia wurde Julian angefeindet und verspottet. Der heidnische Kaiser antwortete mit einer feinen Satire, dem „Misopogon“ (der Barthasser), in der er sich einerseits über sich selbst und seinen Bart lustig machte (der sei voller Ungeziefer und gerate beim Essen immer in den Mund), andererseits den Antiochinern ihre moralische Verkommenheit vorwarf. Ein Streit „um nichts“, der zum Sprichwort wurde. Markus Springer

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