Mit einem Bein schon im Knast

Traugott Baur reist mit „Senior Brass“ nach Dessau – Kontakte zur Zeit des Eisernen Vorhangs geknüpft

Bei der Probe zum Seniorentag Pfalz in Kaiserslautern Anfang Mai: „Senior Brass“ mit Traugott Baur (stehend). Foto: view

Er unterschreibt seinen Aufruf zur aktiven Teilnahme am Ensemble „Senior Brass“ ganz selbstironisch mit „Kukident Connection“. Und beschreibt damit schon ein wenig, wohin die Reise geht. Gleichwohl – da lässt Traugott Baur, langjähriger, verdienstvoller Posaunenwart der Protestantischen Landeskirche, kaum Zweifel aufkommen: „Wir arbeiten ganz konzentriert an unseren Programmen, und die sind sowohl gottesdienst- wie bühnentauglich.“ Aber klar – der Humor, wie man weiß, traditionell ein Markenzeichen in Blechbläserkreisen, findet reichlich Pflege. „Tut besonders gut in unserem Alterssegment!“

Wenn die 30- bis 55-köpfige Seniorenliga einmal pro Monat aus allen Ecken der Landeskirche in Neustadt-Gimmeldingen aufläuft, sind erst einmal zwei Stunden stramme Proben angesagt. Mit kleiner Andacht als Abschluss. Ab dann wird’s lockerer: Kaffee, Kuchen und Herzhaftes – kulinarisch wie im gegenseitiges Plausch ist Geselligkeit ganz großgeschrieben.

Ein fröhliches Völkchen ist das, an dessen personeller Erweiterung trotz der üppigen Besetzung Baur permanent bastelt. „Es ist ein Alterssegment, in dem das Ausscheiden, auch mal der Tod, naturgegeben stärker an der Tagesordnung ist. Und so freue ich mich stets über Neuzugänge, an deren Eingewöhnung auch alle sehr offensiv mithelfen.“

Gottesdienste aller Art, Serenadenkonzerte, nicht selten zu Benefizzwecken sind dafür hart am Leben, eröffnen musikalisch bunte Spielwiesen. Die klassische Choralliteratur, Doppelchöriges oder Volkslieder sind ebenso auf dem Notenpult platziert wie Ausflüge in die Moderne, zu Pop und Swing. Dergleichen exportiert man auch gerne mal über die landeskirchlichen Grenzen hinaus. So packen die Aktiven von „Senior Brass“ am kommenden Mittwoch Koffer und Instrumente Richtung Osten. Zur Teilnahme am Megakirchentag im Lutherjahr. In Dessau werden sie Station machen, denn dort gibt es ein Partnerensemble mit dem aufschlussreichen Namen „Ü-50“. Und gemeinsam mit den anhaltinischen Musikern wird „Senior Brass“ die Kirchentagsbesucher am 26. Mai in der malerischen Kulisse der Wörlitzer Gärten mit einem Serenadenprogramm unterhalten.

Mancher der Älteren wird sich da unversehens erinnern. An die „Pionierjahre“ der Bläserpartnerschaften Pfalz und Anhalt. Über den Eisernen Vorhang hinweg. Die Episoden, die Traugott Baur heute, im Abstand von fast 40 Jahren, aus der Zeit des „real existierenden Sozialismus’“ zu erzählen weiß, muten an wie Räuberpistolen mit leichtem Slapstick-Unterton. Dabei war der Start alles andere als lustig; damals, als das zarte Pflänzlein inmitten der kommunistischen Steinwüste Deutsche Demokratische Republik zaghaft aber doch stetig zu gedeihen begann.

1978 war Traugott Baur als Teilnehmer einer Tagung in Ostberlin erstmals als Privatmann zur Kontaktaufnahme mit Posaunenwart Werner Gutjahr und Pfarrer Frenzel aus Grimme angereist. Von da an nahm er regelmäßig – auch als Dozent – an Tagungen in Gernrode teil; eine „Einbahnstraße“, wie sich denken lässt, denn Gegenbesuche waren seitens der DDR untersagt, später nur in Einzelfällen und mit entsprechendem Druck auf die Angehörigen zuhause möglich.

Die Besuche der West-Posaunisten firmierten unter dem (in-)offiziellen Etikett „Patenschaften“ und fanden unter strengen Auflagen statt: keine öffentlichen Auftritte, lediglich anlässlich von Gottesdiensten herrschte stille Duldung. Wurde mit Auto angereist, mussten die Fahrzeuge während des Aufenthalts möglichst rasch in Garagen oder Schuppen verschwinden, um die Gastgeber nicht zu gefährden. Instrumente zu transferieren, war verboten, Notenmaterial oder die begehrten Mundstücke einzuschmuggeln, zumindest ein hohes Risiko. Kleinere Bestände, auch an Gebrauchs- und Hygienemitteln waren fein säuberlich zu dokumentieren und passierten die Grenzkontrollen je nach Laune der Diensthabenden. Oder eben auch nicht.

Die strikte An- und Abmelderegelung, jeweils an der ersten Station eines Visum-Zeitraums, bedeutete ein Mehrfaches an Wegstrecke pro Aufenthalt. Wie oft Traugott Baur zudem 80 oder 100 Westmark an Bußgeld zahlen musste für angeblich „permanentes Fahren auf dem linken Fahrstreifen“ der – fast menschenleeren – Autobahn, weiß er schon gar nicht mehr. Dass Baurs Pass durch häufigen Transit eine Vielzahl von Visaeinträgen und Stempeln aufwies, machte ihn zunehmend suspekt. So hielt man ihn an der Grenze, auch bei der Ausreise, mehrfach fest zur soge­nannten „Dieselkontrolle“. „Der Schlauch steckte dann genau so lange im Tank meines Pkw, bis alle meine Unterlagen gefilzt und kopiert waren.“

An einem Wintertag montierte man ihm die Fahrertür ab, um das Auto auf Schmuggelware zu durchsuchen, ließ ihn stundenlang bei Eiseskälte frierend auf dem Fahrersitz verharren. „Die Stasi-Akte Baur ist sicher ziemlich dick“, mutmaßt er. Jeder Schritt wurde von Agenten bewacht. Aber das Engagement für die Freunde in Anhalt hat das nicht ausgebremst. In den 1980er Jahren kamen mit sehr viel Kreativität in einer Riesenspendenaktion, unterstützt von der Landeskirche, 20?000 Mark zum Kauf eines Kleintransporters für die Posaunenarbeit zustande. Damals hat Baur seinen Bart – Markenzeichen von jeher – für eine Wettaktion geopfert. Andere Bläser haben sich Glatzen scheren lassen für die Kollegen im Osten.

Die Partnerschaften von damals zu einem knappen Dutzend Posaunenchören florieren bis heute. Und Steffen Bischoff, einer von drei anhaltinischen Posaunenarbeit-Zivildienstleistenden bei Traugott Baur, ist heute Landesposaunenwart in Anhalt. Gertie Pohlit

Proben in Gimmeldingen

2003 vom damals noch amtierenden Landesposaunenwart Traugott Baur ins Leben gerufen, tritt das Ensemble „Senior Brass“ heute mit 35 bis 55 Blechbläsern an. Das Einzugsgebiet umfasst den Bereich der Evangelischen Kirche der Pfalz und darüber hinaus. Aus der Vorder- und Südpfalz, aber auch aus Kirkel, Kusel, Zweibrücken und dem Elsass reisen Spieler an zu Auftritten und Proben. Letztere finden etwa zehn bis zwölf Mal pro Jahr, jeweils an einem Samstag, 14 bis 17 Uhr, statt. Ort ist das Zuhause von Traugott Baur im Neustadter Ortsteil Gimmeldingen, das bis zu seinem Ruhestandseintritt 2014 auch Amtssitz des Landesposaunenwarts war.

Mehrfach im Jahr wird „Senior Brass“ zur Mitgestaltung von Gottesdiensten eingeladen, spielt Serenaden sowie ein Weihnachtskonzert, gibt nicht selten auch Beerdigungen einen feierlich spirituellen Rahmen. Wer das Ensemble erleben möchte, sei hingewiesen auf einen Serenadenabend in Waldfischbach am 22. Juni. Um 19 Uhr spielen „Senior Brass“ dort an der protestantischen Kirche zugunsten der Orgelrenovierung.

Neue Mitglieder – das betont Traugott Baur mit Nachdruck – sind jederzeit herzlich willkommen. Die Einladung richtet sich an Bläser, egal ob im heimischen Posaunenchor aktiv oder ehemals aktiv, gerne mit Tagesfreizeit. Wer Lust hat, melde sich bei Landesposaunenwart a.?D. Traugott Baur, Telefon 06?32?/?1?96?87?81 oder per E-Mail an posaunengott@gmx.net. Informationen gibt es zudem unter www.posaunenarbeitpfalz.de. gpo

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