Wieder im Alltag Fuß fassen

Immer mehr Menschen sind wohnungslos – In der Pfalz versuchen verschiedene Einrichtungen zu helfen

Hilft in Neustadt Obdachlosen und von Wohnungslosigkeit bedrohten Männern und Frauen: Hans Eber-Huber. Foto: LM

Kein Dach über dem Kopf – das haben geschätzt rund 39000 Menschen in Deutschland. Meist sind wirtschaftliche Notlagen sowie eine schwierige persönliche Situation der Auslöser, häufig kommen Suchtprobleme hinzu. Verschiedene Einrichtungen, unter anderem von der Evangelischen Kirche der Pfalz, versuchen, dieser wachsenden Bevölkerungsgruppe zu helfen.

„Die Situation hat sich dramatisch entwickelt, die Wohnungslosigkeit nimmt bundesweit ständig zu“, sagt Hans Eber-Huber, Leiter des „Lichtblick“ in Neustadt. Die Tagesbegegnungsstätte, die 2016 ihr 20-jähriges Bestehen feiern konnte und aus einer Bürgerinitiative entstand, betreut insbesondere Obdachlose und von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen. Waren es früher vor allem Durchwanderer, die den „Lichtblick“ als Anlaufstelle genutzt haben, dort geduscht und gegessen haben, sind es jetzt immer mehr Menschen aus der Region. „Allein 217 Männer und 65 Frauen aus Neustadt und Umgebung haben 2016 unsere Einrichtung als Postadresse genutzt“, sagt er.

An der steigenden Nachfrage nach der Postadresse, die für den Erhalt staatlicher Unterstützung notwendig ist, macht Hans Eber-Huber die zunehmende Obdachlosigkeit fest. Denn belastbare Zahlen gibt es nicht. Da es in Deutschland keine Wohnungslosenstatistik gibt, kann die Zahl der wohnungslosen und von Wohnungslosigkeit bedrohten Menschen nur geschätzt werden. Naturgemäß schwanken die Angaben. Etwa 20000 Menschen, so ist es auf der Homepage des Diakonischen Werks Rheinland-Pfalz zu lesen, haben deutschlandweit kein Dach über dem Kopf, mehr als 200000 keine eigene Wohnung. Die Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Wohnungslosenhilfe nennt höhere Zahlen: 2014 seien 335000 Menschen ohne Wohnung gewesen. Verglichen mit 2012 sei dies ein Anstieg um rund 18 Prozent. Auch bei den Menschen, die „Platte machen“, also auf der Straße leben, ist ein Anwachsen zu beobachten. Die BAG Wohnungslosenhilfe nennt hier eine Zunahme um 50 Prozent von etwa 26000 im Jahr 2012 auf circa 39000 im Jahr 2014. Bis 2018 rechnet die BAG mit einem Zuwachs auf über eine halbe Million wohnungsloser Menschen.

Das Diakonische Werk Pfalz unterhält trotzdem keine Beratungsstelle speziell für Obdachlose. „Die Menschen gehen meist in die allgemeine Sozialberatung“, sagt Achim Hoffmann, Leiter der Abteilung Soziales und Freiwilligendienste beim Diakonischen Werk und unter anderem zuständig für Suchtkranken- und Wohnungslosenhilfe. Und da es häufig „eine Schnittmenge zwischen Obdachlosigkeit und Sucht“ gibt, kommen obdachlose Menschen auch in die Suchtberatungsstellen. Sozial- und Lebensberatungsstellen gibt es pfalz­weit in allen Häusern der Diakonie. Die Beratung ist offen für jedermann und kostenlos, die Berater vermitteln an andere Hilfsangebote weiter.

Konkret auf die Wohnungslosenhilfe haben sich in Rheinland-Pfalz zwei Einrichtungen der Diakonie spezialisiert: die Kreuznacher Diakonie mit ihren ambulanten und stationären Angeboten in Bad Kreuznach, Idar-Oberstein und Bretzenheim und die Wohnungslosenhilfe Mainz mit ihren ambulanten und stationären Angeboten für Männer und Frauen.

„Lange Jahre gab es noch das Bodelschwingh-Haus in Neustadt“, berichtet Achim Hoffmann. Die Obdachloseneinrichtung musste am 1. August 2013 allerdings geschlossen werden, da die Stadt Neustadt als Hauptzuschussgeber keine zusätzlichen finanziellen Mittel für den Erhalt aufbringen konnte. Generell, so erläutert Achim Hoffmann, sei in der Pfalz eher die Caritas für Wohnangebote zuständig, wie zum Beispiel das Haus St. Martin für Wohnungslose in Ludwigshafen. In den Kommunen seien die Ordnungsämter für Obdachlose zuständig und hielten Notunterkünfte bereit.

Ganz anders in Zweibrücken. Dort ist das Diakonische Werk Pfalz Träger einer Wohngemeinschaft für Haftentlassene und Obdachlose. Fünf Plätze gibt es hier in zwei Wohnungen. In der ambulanten Einrichtung für Männer und Frauen werden die Bewohner dabei unterstützt, wieder im Alltag Fuß zu fassen. Die Bewohner müssen etwa selbst kochen und auch mit Geld haushalten können. „Wer etwa massive Suchtprobleme oder psychiatrische Störungen hat, ist in anderen Institutionen besser versorgt“, erläutert Diplom-Psychologin Eleonore Weber-Krauss, die die Wohngemeinschaft leitet.

Die fünf Plätze sind heiß begehrt und werden nicht nur von Haftentlassenen der JVA Zweibrücken nachgefragt, sondern sogar bundesweit. Für die Bewohner ist es ein Startplatz in eine hoffentlich eigenständige Zukunft. „Manche bleiben sechs Wochen, andere ein Jahr“, verdeutlicht Eleonore Weber-Krauss die unterschiedlichen Bedürfnisse der Bewohner. Die Wohnungsgemeinschaft befindet sich im Haus der Diakonie, sodass die Wege zu den Beratern – sei es Sozial, Sucht- oder Schuldnerberatung – kurz sind. Anette Konrad

Neues Projekt zugunsten obdachloser Frauen

Für zweieinhalb Jahre finanziert das Land Rheinland-Pfalz zwölf Plätze für dezentrales stationäres Wohnen für obdachlose Frauen und junge Obdachlose. Fünf dieser Plätze stehen seit November in Ludwigshafen bereit. Träger des Modellprojekts ist das Caritas-Förderzentrum St. Martin, ein Haus für wohnungslose Männer.

Das Modellprojekt sieht vor, dass sich die Frauen selbst versorgen, aber in ihrem Alltag und bei Problemen begleitet werden. Die Ein-Zimmer- und die beiden Zwei-Zimmer-Wohnungen wurden von Bewohnern des Caritas-Förder­zent­rums Haus St. Martin renoviert und neu möbliert. Mit einer halben Stelle kümmert sich Sozialarbeiterin Katja Nieske um die Frauen und hilft ihnen, wieder im normalen Leben Fuß zu fassen. „Ich sehe mich als Alltagsbegleiterin“, definiert die 45-Jährige ihre Rolle. Um in das Modellprojekt aufgenommen zu werden, müssen die Frauen mitarbeiten wollen. „Das ist eine zwingende Voraussetzung“, betont Nieske. Auch Kinder dürfen nicht mit in den Wohnungen wohnen.

Schon seit bestimmt 15 Jahren gebe es die Idee, in Ludwigshafen speziell etwas für obdachlose Frauen anzubieten, berichtet Stefan Syren, Leiter des Hauses St. Martin. Doch von politischer Seite habe es immer geheißen: „kein Bedarf“. Dass der Bedarf jedoch da ist, zeigt die große Resonanz. So hat es allein in den ersten Monaten über 20 Anfragen gegeben, wie die Projektverantwortliche, Katja Nieske, sagt.

Das Projekt dient auch zur Prüfung, welche Hilfsformen speziell für obdachlose Frauen sinnvoll sind. „Ich wünsche mir, dass ein solches Angebot nach Ablauf der zweieinhalb Jahre in Ludwigshafen fest verankert wird“, fordert Stefan Syren.

Finanziert wird das Modellprojekt durch Pflegesätze des Landes für die teilnehmenden Frauen. Eine größere zweckgebundene Spende der BASF half bei der Realisierung ebenso wie der Förderkreis vom Haus St. Martin. Der Caritasverband übernimmt die Personalkosten. rad

Meistgelesene Artikel