Mit Möhrenbund und Marktgeflüster

Marktkonzerte in der Stiftskirche Neustadt laufen seit über 30 Jahren – Chronik einer Erfolgsgeschichte

Musiker aus den USA zu Gast: Mit einem Sonder-Marktkonzert hat das Streichorchester der Okemos High School Michigan vergangene Woche in der Stiftskirche Neustadt einen Vorgeschmack auf die Konzertreihe gegeben, die Ende des Monats startet. Foto: LM

Für dieses Konzertereignis kann das „kleine Schwarze“ hübsch im Schrank bleiben. Im Gegenteil. Alltagstauglich angezogen und vor allem ausstaffiert mit Korb und Einkaufsnetz, meist schon prall gefüllt mit allem, was Feld und Lebensmittel-Handwerk hergeben, betreten sie die Stiftskirche: Frauen, Männer, Kinder, Menschen jeden Alters, jeder Herkunft, eben noch vom samstäglichen Markttrubel verschluckt, Preise vergleichend, Waren prüfend, Salat, Lauch, Tomaten, Brot und Feta-Käse für den Wochenendschmaus eintütend. Wenn das Portal der Stiftskirche sich hinter ihnen schließt, die Tüten neben dem Stuhl platziert sind, fällt wie auf ein Zeichen alle Hektik in sich zusammen. Kehrt Ruhe ein, darf für kostbare 30 Minuten einfach abgeschaltet und der Musik gelauscht werden. Augen zu und genießen.

Seit mehr als drei Jahrzehnten, ins Leben gerufen durch den damaligen Neustadter Stiftskantor Ulrich Loschky, zählen die Marktkonzerte in Neustadt längst zum festen Kanon des kirchlichen Kulturangebots. Und erfreuen sich ungebrochener, ja stetig wachsender Beliebtheit. Zwischen 150 und 300 Besucher sind nach Auskunft von Bezirkskantor Simon Reichert stets versammelt, in der Adventszeit gar ist der Andrang so gewaltig, dass man dazu übergegangen ist, die halbstündigen Kurzkonzerte gleich im Doppelpack laufen zu lassen.

Als Programmmacher der kleinen, erfolgsverwöhnten Reihe ist Reichert, seit mehr als einem Jahrzehnt Kantor des Kirchenbezirks Neustadt mit Sitz an der Stiftskirche, ebenso kreativ wie zielorientiert: „Wir bieten bewusst ein niederschwelliges Angebot, anspruchsvoll im Niveau der Ausführung und passend zum sakralen Kontext. Ganz klar.“ Aber es solle für jeden Geschmack etwas dabei sein. Das Prinzip der „offenen Stiftskirche“ spiele da eine vorrangige Rolle, bekräftigt er. „Wir möchten Menschen, die sich eben noch dem ganz profanen Alltagsgeschäft gewidmet, eingekauft, über Speisepläne und Salatsorten nachgedacht haben, einladen, kurz mal abzutauchen, auszuschnaufen und dabei einen kleinen, feinen musikalischen Genuss mit auf den Nachhauseweg zu nehmen“, sagt Reichert.

Das Spektrum des Programms bewegt sich innerhalb der im kirchlichen Rahmen zu verortenden Zonen und beschreibt einen Bogen von Chor- und Kammermusik über Posaunenchor und Modern Brass hin zu Alter Musik und groovigem Jazz. Lange schon kann sich Reichert aus dem Pool der Anfragen bedienen, sich seine Protagonisten frei wählen. Publikumszuspruch und Attraktivität der Marktkonzerte haben sich herumgesprochen, sind für Solisten wie Ensembles auch ein Aktivposten im Werbegeschäft.

Feste Honorare kann Reichert allerdings nicht anbieten, die Konzerte werden auf Spendenbasis angeboten. „Wie hoch die Kollekte am Ende ausfällt, hängt natürlich sehr von der Qualität des Gebotenen ab. Insofern ist das ein gewisses Feedback für die Ensembles und Solisten“, konstatiert der Bezirkskantor ganz pragmatisch. Ein kleiner Betrag werde einbehalten als Kostenausgleich für die Bereitstellung des Raumes, das anschließende Putzen und Aufräumen. Aber in der Regel seien die Ausführenden sehr zufrieden mit dem Betrag, den sie bekämen.

Nicht selten stellen die Marktkonzerte auch eine Art Probebühne für nachfolgende größere Auftritte dar, sind Ausgangspunkt für eine Konzertreise – wie im vergangenen Jahr die England-Tournee der Landauer Kantorei – oder Teaser für Folgekonzerte in der Region. Simon Reichert stellt das Programm mit Bedacht zusammen, ist auch stets bemüht, selbst im Rahmen der Reihe gelegentlich präsent zu sein, beispielsweise an der Orgel zu begleiten und auf diese Weise Lücken sinnvoll zu füllen.

Auf jeden Ort allerdings wäre das Modell Neustadt möglicherweise nicht zu übertragen. Hier sind gleich mehrere glückliche Faktoren vereint. Vor allem die räumliche Nähe der Stiftskirche zum allsamstäglichen Marktgeschehen sei eine Idealvoraussetzung für das Konzept, sagt Reichert. „Man passiert quasi im Vorbeigehen die offene Kirchentür, warum nicht auch kurz eintreten und verweilen.“ Auch lockt das Sak­ral­ge­bäu­de seit der 2013 abgeschlossenen Restaurierung mit seinen wiederentdeckten Deckenmalereien stets aufs Neue neugierige Besucher. Und so erfahren die Marktkonzerte über die Saison zwischen Mai und Ende September auch immer frischen Besucher-Input, regeneriert und erweitert sich die Fan-Gemeinde stetig.

Der ökumenische Aspekt – angesichts der historischen Teilung der Stiftskirche in einen protestantischen und (kleineren) katholischen Teil ein nicht unwesentlicher Faktor - stimmt ebenfalls immer mal wieder harmonisch ins große Konzert der Aktivitäten mit ein. Während der Renovierungsphase im Westteil beispielsweise fanden die Marktkonzerte im katholischen Ost-Chor, der seit 2010 von der tridentinischen Gemeinde genutzt wird, freundlich Aufnahme. „Natürlich war das Raumangebot eingeschränkt, die Akustik auch recht problematisch“, räumt Reichert ein. Aber wenigstens blieb die Klientel treu bei der Stange. Dass gerade die vier Adventskonzerte so überbordend nachgefragt sind, ist auch für den Kantor ein Phänomen. Beim Konzert der „Pfälzischen Kurrende“ am vierten Advent 2016 etwa habe man aus Sicherheitsgründen trotz Doppeldurchlauf dem Andrang irgendwann Einhalt gebieten müssen. Gleichwohl: Mit solchen Erfolg lässt sich schwungvoll in die neue Saison starten.

Ist der letzte Ton verklungen, der Beifall abgeebbt, so macht sich im Nachklang meist eine ansehnliche Gruppe zum geführten Aufstieg Richtung Südturm auf den Weg. Das eben Gehörte immer noch in Herz und Ohr. Und, wenn’s geschafft ist, schon wieder ein wenig konterkariert durch das Treiben zu Füßen, den Markt mit seiner ganz eigenen Melodie. Gertie Pohlit

Die kommenden Marktkonzerte

Start der samstäglichen Marktkonzerte ist am 29. April mit der Jazz-Sängerin Nicole Metzger, an der Orgel begleitet von Simon Reichert. Es schließen sich an der Gospelchor Burrweiler (6. Mai), das Flötenensemble „Si dolce“ unter der Leitung von Heidrun Baur (13. Mai) und die „New Gospel Singers“ Murg (20. Mai). Am Samstag nach Himmelfahrt, 27. Mai, singt ein Vokalquintett Stücke der Renaissance- und Barockmusik.

Weiter geht es mit Barbershop-Klängen und dem Chor „4nmore“ (3. Juni), gefolgt vom Vokalensemble „Cantiemus“ unter Leitung von ­Eckart Kirsten (10. Juni), Musik für Posaunenensembles, dirigiert von Kirchenmusikdirektor Traugott Baur (17. Juni), sowie dem Duo Falk Zimmermann und Stephan Rahn an Trompete und Orgel am 24. Juni.

Der Juli startet mit einem Cello-Recital und Musik von Max Reger (Renata Soraya Schoepflin, 1. Juli). Am 8. Juli spielt das Kammerensemble „Concerto Cantabile“ unter der Leitung von Christiane Michel-Ostertun. Das Trio Sandra Marks (Alt), Daniel Reichert (Trompete) und Simon Reichert (Orgel) konzertiert am 15. Juli.

Beginn in der Stiftskirche Neustadt ist jeweils um 11.30 Uhr, anschließend wird zur Turmbesteigung geladen. Nach der Sommerpause geht das Programm weiter. gpo

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