Im Zeugnis eine Eins in Glück

Neues Wahlpflichtfach in zwei Pfälzer Schulen eingeführt – Pilotprojekt geht in die zweite Runde

Auf der Suche nach dem Glück: Schüler der Realschule plus in Kandel mit Glückslehrerin Susanne Gerdon. Foto: Iversen

Sie sitzen im Stuhlkreis, die Augen geschlossen, leise Entspannungsmusik erfüllt den Klassensaal. Die neun Schülerinnern und Schüler der Realschule Plus in Kandel genießen es ganz offenbar, wenn Lehrerin Susanne Gerdon mit ihnen zu Beginn der Stunde eine Fantasiereise unternimmt. Für sie steht dann nämlich Glück auf dem Stundenplan. Jeden Montag treffen sie sich in der fünften und sechsten Stunde zum schuleigenen Wahlpflichtfach Glück – und finden dabei heraus, was das für sie bedeutet. „Die Kerninhalte sind Lebensführung, Lebenskompetenz, Persönlichkeitsentwicklung und Lebensfreude“, erklärt die Pädagogin.

Die Weiterbildung zur Glückslehrerin dauerte ein Jahr, in dem sie an zwölf Wochenenden durch das Fritz-Schubert-Institut in Heidelberg geschult wurde. Die Kosten von rund 3000 Euro musste sie aus eigener Tasche bezahlen. „Damit habe ich mir einen Lebenstraum erfüllt“, freut sich die Glückslehrerin. Und Lebensträume sind auch für die Schüler im Glücksunterricht ganz wichtig. „Es geht darum, vom Erdulder zum Gestalter seines Lebens zu werden“, sagt Gerdon.

Sie habe durch den Glücksunterricht gelernt, mit Niederlagen umzugehen, erklärt etwa die 14-jährige Luisa Fath aus Bad Bergzabern. „Glück ist mein Lieblingsfach“, gibt die Achtklässlerin zu. Die Schüler scheinen zu spüren, dass sie das, was sie sich im Unterricht erarbeiten, auch umsetzen können. „Das bringt mir was“, sagt Luisa. Die glücklichsten Momente seien für sie bisher der Besuch im Boxstudio gewesen, bei dem sie ihre Wut an einem ­Boxsack auslassen konnte. Außerdem schwärmt sie von dem Vortrag von Jacqueline Fritz im Unterricht, die mit nur einem Bein die Alpen überquerte. „Das war für mich wirklich inspirierend.“ Ihre Begeisterung für das Fach zeigt sich im Zeugnis: „Ich habe eine Eins in Glück.“ Denn auch Klassenarbeiten gehörten zum Unterricht, sagt Lehrerin Susanne Gerdon. Vor allem Kreativität, die Fähigkeit zur Selbstreflexion und das eigene Engagement seien bei der Benotung ausschlaggebend.

Vor einem Jahr hatte die Realschule zunächst eine Glücks-AG ins Leben gerufen. Nachdem die Schüler daran starkes Interesse gezeigt hatten, wurde der Glücksunterricht als Pilotprojekt gestartet. „Das Projekt ist sehr erfolgreich“, sagt Schulleiterin Cornelia Geiser. So werde auch im nächsten Schuljahr Glück im Stundenplan stehen. Konrektor Uwe Zeeb zufolge wirke sich der Glücksunterricht auch auf die Schulgemeinschaft aus. „Seit wir dieses Fach haben, gibt es weniger Konflikte unter den Schülern, die Gewaltbereitschaft hat spürbar abgenommen“, stellt er fest. Auch die Achtsamkeit habe zugenommen, sodass die Schüler ihre Umwelt wie zum Beispiel das Schulgebäude mehr wahrnehmen und Verschmutzungen vermeiden würden.

Das Konzept zum Schulfach Glück stammt von Ernst Fritz-Schubert, der eine Berufsschule in Heidelberg leitete. Vor zehn Jahren hatte er die Idee zum Glücksunterricht. „Es geht um das Wohlbefinden, um die psychische Gesundheit“, beschreibt der pensionierte Lehrer sein Anliegen. „Wir helfen den jungen Menschen, viele Gründe zum Glücklichsein zu finden.“ Gerade diese nicht akademischen Ziele seien sehr wichtig, um den Jugendlichen zu einer stabilen Persönlichkeit zu verhelfen. Dabei sei die Sinnfrage sehr entscheidend. Sinn könne man auch im Leiden finden, so der Pädagoge. So habe Glück nicht nur mit Glücksempfinden oder einem Glücksgefühl zu tun, es sei in erster Linie Kopfsache. Schließlich ginge es auch darum, eigene Stärken zu entdecken und auf sie zurückzugreifen. Statt der Problemorientierung stehe für ihn in der Pädagogik die Ressourcenorientierung an erster Stelle.

„Glück ist für mich, sich selbst kennenzulernen, daraus Visionen zu entwickeln und diese zu realisieren“, erklärt Glückslehrerin Gerdon. Manchmal gehe es aber auch einfach darum, gelassen zu bleiben und die Dinge so anzunehmen, wie sie sind. Auch der Glaube sei ihr persönlich sehr wichtig. Im Glücksunterricht werde sie ihren Schülern auch von ihren Taizé-Erfahrungen berichten und ihnen die Möglichkeit geben, die eigene Spiritualität zu entdecken.

Für Kirchenrat Thomas Niederberger stellt das Schulfach Glück keine Konkurrenz zum Religionsunterricht dar. „Es ist wichtig, den Jugendlichen bei ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu helfen“, sagt Niederberger. Fritz-Schubert sieht Glücksunterricht als Ergänzung. Der konfessionsgebundene Religionsunterricht habe das Manko, dass er nicht alle Schüler erreiche, bemängelt der Heidelberger Pädagoge. Im Glücksunterricht könnten die Schüler dagegen voneinander lernen, gerade wenn sie unterschiedlichen Glaubens sind.

Außerdem sei im Fach Glück das erreichbare, unvollkommene Glück Thema. Religionen gehe es zumeist um das vollkommene Glück, das aber im Diesseits für den Menschen nicht erreichbar sei. „Es gibt jedoch große Schnittmengen mit dem Fach Religion“, gibt Fritz-Schubert zu. „Aber das Wichtigste ist für mich, dass ich die Einstellung der Lehrer verändere“, betont er. Aus „Fehlerfahndern“ wolle er „Schatzsucher“ machen. Dies sei für ihn im Umgang mit Kindern und Jugendlichen oberstes Gebot, schließlich könne man Kinder nicht „entfalten“ oder „bilden“. „Sie müssen sich selbst entfalten, und zwar so wie es ihnen entspricht“, sagt er. Die Schule sei aber in der Pflicht, ihnen bei ihren Entwicklungsaufgaben zu helfen.

Neben der Realschule plus Kandel hat auch die Albert-Schweitzer-Realschule plus Winnweiler Glück als Wahlpflichtfach eingeführt. Die Weiterbildung zum Glückslehrer wird vom Fritz-Schubert-Institut in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Roten Kreuz angeboten. An mehr als 100 Schulen in Deutschland, Österreich und der Schweiz wird Glück unterrichtet. Stefan Mendling

Anleitung zum Glücklichsein

Ernst Fritz-Schubert kann als Begründer des Glücksunterrichts aus dessen Inhalt ein Rezept zum Glücklichsein in drei Schritten formulieren. „Glücksgefühle motivieren uns und treiben uns an“, sagt Fritz-Schubert. Schlechte Gefühle, zum Beispiel Angst, könnten wiederum Menschen schützen, aber auch daran hindern, eigene Ziele zu verwirklichen. Zum Glücklichsein gehöre daher die Fähigkeit, eigene Gefühle wahrzunehmen, benennen und einordnen zu können. Wer glücklich sein wolle, habe dafür zu sorgen, dass die schlechten Gefühle nur dann eine Bedeutung haben, wenn sie vor Gefahren schützen.

Zweitens sei die Beziehung zu anderen Menschen wichtig. „Die Begegnung mit einem Gegenüber ist wie ein Spiegel“, erklärt der Pädagoge. „Der andere hilft mir, meine Entwicklungsaufgaben zu erkennen und wahrzunehmen.“ Der dritte Schritt sei die Selbstachtung. „Wer sich selbst wertschätzt und seine Stärken und Ressourcen kennt, hat gute Chancen, glücklich zu werden.“

Der rote Faden in allen Entwicklungsaufgaben sei die Sinnfindung. Dabei geht es ihm nicht um „den Sinn des Lebens“, sondern um einen „Sinn im Leben“. Auch Niederlagen könnten den in sich bergen, „sodass sie wie das Podest sind, um selber wachsen zu können“. Das Leben solle in seinen Zusammenhängen begriffen werden. „Dazu gehört, dass ich kontemplativ mit meiner Umwelt in Verbindung trete und eine Resonanz entwickle, also achtsam bin und auch die kleinen Dinge wahrnehme, die glücklich machen können.“ Wem der Sinn im Leben fehle, der werde süchtig nach Macht oder Besitz. Doch beides mache bekanntlich nicht glücklich. stm

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