Beliebter Klassiker mit Zukunft

Das „Chorheft Pfalz“ wird 65 Jahre alt – Ab dem Jahr 2018 soll es als ökumenische Publikation erscheinen

Hat mehrfach Metamorphosen erlebt: Das „Chorheft Pfalz“, das auch Nachbarkirchen in Baden und im Rheinland nutzen. Foto: Pohlit

In diesem Jahr darf es seinen 65. Geburtstag begehen, das „Chorheft Pfalz“. In den Ruhestand wird es deshalb aber keineswegs entlassen, nicht wirklich jedenfalls. Aber davon etwas später im Text. Seit 1952 erwacht es alljährlich, wenn sich der Winter allmählich dem Ende neigt, zu neuem Leben, sprich: wird ein neues Heft mit mittlerweile jeweils gut 30 Chorsätzen für den gottesdienstlichen Gebrauch aufgelegt. Herausgeber des Periodikums, das bei Dauerabonnenten mittlerweile Fluchten von Notenschränken füllt, ist der jeweilige Landeskirchenmusikdirektor im Auftrag des Landesverbands für Kirchenmusik in der Evangelischen Kirche der Pfalz.

Das Chorheft versammelt Sätze für den Gottesdienst in verschiedenen Schwierigkeitsgraden; sozusagen für jeden etwas. Traditionelle Kirchenlieder in älterer oder auch zeitgenössischer Bearbeitung, aber auch Liedgut aus dem Bereich Popularmusik fließen ein. Die musikalischen Beiträge bilden eine stabile Basis für das gesamtkirchliche Musizieren, sind die inhaltlichen Säulen für festliche kirchliche Anlässe, Dekanats- und Landeskirchenmusiktage.

Gleichzeitig ist das Chorheft ein konkurrenzloses Unikat, schaut man sich bei den Landeskirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) um. Dort hat es seine Liebhaber, berichtet Kirchenmusikdirektor Jochen Steuerwald. Denn nicht allein der Großteil der in der Landeskirche verorteten Chöre ordert das Heft alljährlich gleich nach Erscheinen, sondern auch Gruppen etwa in den Nachbarkirchen Baden und Rheinland.

Der Ursprung des Hefts liegt nicht ohne Grund in der Nachkriegszeit. In den Trümmerjahren nach dem Zweiten Weltkrieg strömten die Menschen in Scharen wieder in die Kirchen, das Bedürfnis nach Spiritualität war immens, der Zulauf in den Chören gewaltig. Aber es fehlte überall an Material, die Notenbestände aus der Vorkriegszeit waren zu großen Teilen vernichtet. Adolf Graf, Lehrer und leidenschaftlicher Organist, von der pfälzischen Landeskirche gleich nach Kriegsende mit einer Beauftragung für die Belange der Kirchenmusik eingesetzt, erkannte den Notstand der Gemeinden. 1952, ein Jahr nachdem er die Evangelische Jugendkantorei gegründet hatte und drei Jahre, bevor er offiziell in das frisch geschaffene Amt des Landeskirchenmusikdirektors berufen wurde, gab er mit dem ersten Jahrgang des „Chorhefts Pfalz“ den Startschuss für eine beispielhafte Erfolgsgeschichte. Die Chorleiter griffen begierig zu, das Heft – in seiner Aufmachung protestantisch schlicht, noch auf dünnem Papier gedruckt – ging weg wie warme Semmeln.

Seither hat die Publikation mehrfach Metamorphosen erlebt, sowohl inhaltlicher Art als auch das Outfit betreffend. Hatte Adolf Graf, Gründervater und im Übrigen erster Landeskirchenmusikdirektor einer protestantischen Landeskirche in der damaligen Bundesrepublik überhaupt, noch ganz auf die „alten“ Meister gesetzt – alle Literatur jenseits von Mozart war ihm suspekt –, kam mit seinem Amtsnachfolger Heinz Markus Göttsche ab 1969 etwas frischer Wind in die Satzauswahl. Göttsche entstammte der Lübecker Kirchenmusiktradition. So erweiterte sich die Literatur der Fixsterne Schütz, Bach und Mendelssohn um Musik von Karl Kraft, Johannes Petzold, Hugo Distler, und sogar Volksliedhaftes à la Gottfried ­Wolters.

Es folgten Udo-Rainer Follert, 1987 bis 2008 Landeskirchenmusikdirektor, schließlich Jochen Steuerwald. Das schlichte Chorsatzmuster erweiterte sich im epochalen Spektrum um Zeitgenössisches, Raritäten, kleine Kantaten, auch mit instrumentaler Begleitung oder Überstimme sowie Sangbares aus der Popularecke. Englische Texte fanden Einlass ebenso – wie im aktuellen Heft – mal ein freches „Schnibedi-babedi-bub“. Das alphabetische Inhaltsverzeichnis ist jeweils ergänzt durch die Gebrauchsordnung zum Einsatz der Literatur im Kirchenjahr. Ebenso gibt es zu jedem Stück knappe Hinweise zur Aufführungspraxis.

Die Chorhefte, über viele Jahre beim renommierten Kirchenmusikverlag Merseburger in Berlin gedruckt, wechselten während der Amtszeit von Heinz Markus Göttsche zum Münchner Verlag Strube. Was blieb, war das handliche Format und der von Jahrgang zu Jahrgang unterschiedliche kräftige Farb­ein­band, der Sortierung und Archivierung erleichtert. Udo Follert peppte das Outfit fotografisch auf, seither schmückt das Konterfei einer schönen Pfälzer Kirche die Front. Auf der Rückseite wirbt nicht selten deren Orgel um Aufmerksamkeit. Ein Erläuterungstext zum Abgebildeten fand unter Steuerwalds Herausgeberschaft zusätzlich Einlass – Pfälzer Kirchengeschichte mit orgelkundlichem Akzent.

Der Inhalt des jährlichen Hefts entsteht auf mehreren Wegen, erklärt Kirchenmusikdirektor Steuerwald. Natürlich sammle er selbst im Laufe des Jahres, außerdem erhalte er Vorschläge von den Bezirkskantoren. Dabei fließe manche eigene Komposition, darunter Bearbeitungen für bestimmte Anlässe, ein. Material sei stets reichlich vorhanden. Im Vorfeld dann trifft sich die Kommission aus Vertretern vom Amt für Kirchenmusik, Verbandsrat und Kantoren. Diese singen gemeinsam, proben quasi den Ernstfall. Und entscheiden ganz demokratisch und nach chorpraktischen und qualitativen Gesichtspunkten. Sobald das Material steht, die Druckfahnen korrigiert sind und das Heft in Produktion geht, werden die Vorstellungsrunden organisiert.

Dazu sind die jährlichen Tagungen der Kirchenmusiker, die jeweils mit Jahresbeginn in den Kirchenbezirken starten, prädestiniert. Eingeladen sind Chorleiterinnen und Chorleiter, zusammen mit den jeweiligen Obleuten oder Chorvorständen. Dann wird wiederum gemeinsam gesungen – die beste Werbung für die jeweils neue Sammlung, die viele Chöre schon im Dauerabo Jahr für Jahr ordern; zum günstigen Vorzugspreis übrigens von drei Euro pro Heft im Gegensatz zu den fünf Euro, die Gruppen in der weiteren Gesangskommune dafür bezahlen müssen.

Mittlerweile sei das Chorheft als solches allerdings etwas in die Jahre gekommen, sagt Jochen Steuerwald. „Aber das hängt einzig mit dem deutlichen Wandel der Chorlandschaft zusammen.“ Auch wenn bei den Aktiven – aktuell rund 13?000 Personen – die Tendenz immer noch steigend sei, habe sich doch die Ausrichtung modifiziert, erläutert er. „Immer mehr Jugend- und Gospelchöre gründen sich, Gruppen, die sich ausschließlich mit neuem Liedgut beschäftigen und erst mal das Füllhorn Internet plündern, ehe sie Anschaffungen tätigen.“ Diese Gruppen erreicht man nur zögerlich. Inhaltlich wird deshalb, wie oben erläutert, bereits verstärkt reagiert. Aber eine weitere Idee hat inzwischen Gestalt angenommen. Ab 2018 nämlich wird das „Chorheft Pfalz“ erstmals und zunächst befristet auf drei Jahre als ökumenische Publikation erscheinen. In enger Zusammenarbeit mit der Dommusik unter Federführung von Domorganist Markus Eichenlaub. Gertie Pohlit

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