Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne

Im Trauercafé Ludwigshafen kommen Hinterbliebene zusammen und suchen Wege des Neuanfangs

Bieten Trauernden ihre Hilfe an (von links): Kerstin Flaxmeier, Martina Dobler, Elfi Thellmann, Kerstin Werz-Schweitzer und Gabriele Kettenhofen. Foto: Konrad

Begleitete Hilfe zur Selbsthilfe für Trauernde – das bietet das Trauercafé in Ludwigshafen an. Jeden ersten Samstag im Monat haben Hinterbliebene die Möglichkeit, ihre Trauer in einem geschützten Raum und unter Gleichgesinnten zu leben, auszudrücken oder einfach nur für sich wahrzunehmen.

„Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.“ Mit diesem bekannten Zitat aus dem Gedicht „Stufen“ von Hermann Hesse leitet Trauerbegleiterin Kerstin Werz-Schweitzer die Gesprächsrunde beim ersten Trauercafé im neuen Jahr ein. Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne – die 18 Besucher im Veranstaltungsraum des Hospiz Elias stutzen. Ein Zauber? Aber doch nicht beim Neuanfang nach dem Tod eines Angehörigen? Doch, genau. Die Antwort findet sich bereits in Hesses Gedicht, denn vor dem viel benutzten Zitat heißt es dort: „Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe?|?Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,?|?Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern?|?In and­re, neue Bindungen zu geben.“ Dann folgt das bekannte Zitat „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“, das noch einen – weithin unbekannten – Nachsatz hat, nämlich: „Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.“

Und genau darum geht es Kerstin Werz-Schweitzer – den Trauernden das Weiterleben mit dem Verlust zu erleichtern und einen Weg aus der Trauer zu weisen. „Wie können wir es schaffen, dem Zauber des Neuanfangs zu vertrauen? Zu vertrauen, dass es weitergeht?“, fragt sie in die Runde. Denn der Neuanfang nach dem Verlust eines Angehörigen sei ja nicht gewollt. Einen Neuanfang zu wagen, erfordere vor allem Mut. Aber bei der Trauer gebe es Dinge und Menschen, die das Gehen erleichtern. „Alles, was mir hilft, ist willkommen und richtig“, erläutert die 47-Jährige.

Eine solche „Gehhilfe“ auf dem Weg durch die und aus der Trauer kann das Trauercafé sein. Bei den monatlichen Treffen, die offen für jedermann sind, können sich die Hinterbliebenen austauschen, können erzählen, was ihnen bei der Bewältigung der Trauer geholfen hat oder was sie sich wünschen. Kerstin Werz-Schweitzer gestaltet die gemeinsamen Stunden mit festen Ritualen. So beginnt das Trauercafé mit einer Gesprächsrunde. Die Mitte des Stuhlkreises gestaltet sie jedes Mal anders und lässt sich dabei von den Jahreszeiten oder Festen inspirieren. Nach einem inhaltlichen Impuls ist dann jeder Besucher eingeladen, eine kleine Kerze für seine Toten anzuzünden. Wer möchte, kann dabei erzählen. Für wen die Kerze ist, wie es ihm gerade geht, was ihn bewegt. Oder aber auch schweigen. Die Besucher an diesem Samstag zünden ihre Kerzen für ihre verstorbenen Männer und Frauen, Eltern, Geschwister und Kinder an. Bei einigen liegt der Tod des geliebten Angehörigen erst wenige Wochen zurück. „Weiter möchte ich nichts sagen“, ist von diesen Menschen meist zu hören. Und das ist in Ordnung so. Andere erzählen von ihrer Einsamkeit, wenn da niemand in der leeren Wohnung ist. Oder von der Familie, die sie auffängt und sehr unterstützt. Es ist eine sehr emotionale Runde, in der Tränen fließen. Aber es wird auch gelacht, etwa wenn ein älterer Herr erzählt, seine Frau habe ihm eigentlich noch eine neue Frau besorgen wollen, damit er nicht so allein sei. „Das hat nun nicht mehr geklappt“, sagt er, und dann kommen doch noch die Tränen. „Lachen und Weinen liegen oft nur einen Wimpernschlag voneinander entfernt“, sagt Kerstin Werz-Schweitzer. Und doch ist das Lachen, wenn auch nur ein kurzer Moment, schon wieder ein erster Schritt zurück ins Leben.

Unterstützt wird die Trauerbegleiterin von ehrenamtlichen Hospizbegleitern. An diesem Samstag sind Kerstin Flaxmeier (57), Elfi Thellmann (57), Gabriele Kettenhofen (61) und Martina Dobler (63) dabei, die bei der anschließenden Kaffee-und-Kuchen-Runde für Gespräche bereitstehen. „Zu sehen, wie die Leute kommen und nach zwei Stunden in besserer Verfassung gehen, das zeigt, dass das Café etwas bringt“, sagt Martina Dobler. Ihr gebe die Mitarbeit „ganz viel Zufriedenheit“. Etwa wenn sie sieht, dass sie jemandem geholfen hat. „Vielleicht nur dadurch, ihm einfach die Hand auf die Schulter zu legen“, erläutert sie und ergänzt: „Ich hätte nie gedacht, dass es mir selbst so viel gibt. Die Arbeit hat mich verändert. Ich bin stärker geworden.“

Und wenn am Ende der zwei Stunden jeder seine Kerze wieder ausgelöscht hat, dann hat sich für den einen oder anderen doch ein Licht, ein Hoffnungsschimmer in seiner Trauer gezeigt. Das ist es, was Kerstin Werz-Schweitzer mit ihrem Angebot erreichen möchte: „Ein Neuanfang ist möglich, auch wenn der Einzelne momentan nur ein tiefes, dunkles Loch vor sich sieht“, sagt sie. Jedem Anfang wohnt eben doch ein Zauber inne. Anette Konrad

Trauercafés: Hospiz Elias, Steiermarkstraße 12, Ludwigshafen, erster Samstag im Monat, 15 bis 17 Uhr; Ökumenische Sozialstation Kirchheimbolanden, Dannenfelser Straße 40b, dritter Freitag im Monat, 15 bis 17 Uhr; Räume der Gemeinde Heilig Kreuz in Landau, Augustinergasse 1, dritter Mittwoch im Monat, 15 bis 17 Uhr; Pfarrheim St. Ägidius in Kusel, Lehnstraße 12, erster Montag im Monat, 16 bis 18 Uhr; Hohenburgschule Homburg, Schulstraße 2, erster und dritter Freitag im Monat, 9.30 bis 11.30 Uhr.

Kontakt halten und trotzdem Trauernde nicht bedrängen

Rolf Kieninger gibt als Leiter des Hospizes Ludwigshafen Tipps zum Umgang mit Hinterbliebenen – Immer wieder Unternehmungen anbieten

Wohl jeder war schon einmal in der Situation: Da sind Vater oder Mutter guter Freunde gestorben, der Partner der Freundin oder das Kind der lieben Tante. Klar, dass man da helfen möchte, für die Trauernden da sein will. Doch an der Umsetzung dieses guten Vorsatzes hapert es oft. Denn viele Menschen wissen nicht, wie sie mit dem Tod umgehen sollen, sind verunsichert, wie sie den Hinterbliebenen begegnen sollen. „Eine pauschale Antwort“, sagt Rolf Kieninger, der Leiter des Ludwigshafener Hospizes Elias, „gibt es darauf nicht. Denn Trauer läuft ganz individuell bei jedem Menschen anders ab.“

Gerade nach der Beerdigung, wenn nichts mehr zu organisieren ist, fallen die Hinterbliebenen in ein Loch. „Viele machen den Fehler und sagen: Du hast es schwer, wir lassen dich allein. Oder: Melde dich, wenn du Hilfe brauchst“, sagt Rolf Kieninger. Dem Trauernden gehe es in der Regel jedoch so schlecht, dass er es nicht schaffe, um Hilfe zu bitten. „Es ist wichtig, seine Hilfe immer wieder anzubieten, den Kontakt zu halten und für den Trauernden da zu sein“, sagt der Hospizleiter. „Rufen Sie an, bieten Sie Ihre Hilfe an, unternehmen Sie etwas zusammen“, gibt er konkrete Tipps. Das müssten keine großartigen Aktionen sein, ganz im Gegenteil, auch das Kleine, Alltägliche, Banale helfe schon. „Vielleicht trinken Sie einfach eine Tasse Kaffee zusammen oder gehen gemeinsam einkaufen, weil ihr Freund früher auch immer zu zweit einkaufen gegangen ist“, nennt er Beispiele. Oder man schreibt eine Karte oder ruft einfach kurz an und spricht einen Gruß auf den Anrufbeantworter. Solche kleinen Zeichen helfen schon weiter und zeigen dem Hinterbliebenen, dass er mit seiner Trauer nicht alleine ist. Ganz wichtig dabei sei, den Trauernden nicht zu bedrängen: „Ob der Mensch die Angebote annimmt, bleibt ihm überlassen“, betont Rolf Kieninger. Das gilt auch für die Menschen, deren Angehörigen im Hospiz Elias sterben. Da gibt es manche, die noch einige Zeit zum Mittagessen ins Hospiz kommen, andere kommen einfach vorbei und setzen sich mit einem Kaffee ins Wohnzimmer, um sich dem Ort ganz nahe zu fühlen, wo ihr Liebster gestorben ist. rad

Meistgelesene Artikel