Hilfe anderen zurückgeben

Flüchtlingsbeirat engagiert sich seit einem halben Jahr in der Verbandsgemeinde Kirchheimbolanden

Treffen sich mit dem Flüchtlingsbeirat (von rechts): Silvia König und Erich Morschhäuser aus dem Helferkreis. Foto: Stepan

Flüchtlinge helfen selbst anderen Flüchtlingen, diese Idee steckt hinter dem Flüchtlingsbeirat in der Verbandsgemeinde Kirchheimbolanden. Seit einem halben Jahr kümmern sich acht gewählte Männer und zwei Frauen aus Syrien, Iran, Afghanistan und Somalia um Menschen aus dem Ausland, die ihre Hilfe brauchen, etwa bei Behördengängen. Für den Helferkreis Flüchtlingshilfe in der Verbandsgemeinde, der sich 2015 gegründet hatte, ist das die Krone seines Engagements. Schließlich möchten die Ehrenamtlichen Hilfe zur Selbsthilfe anbieten.

„Wir wollten eine Gruppe gründen, die Flüchtlingen hier vor Ort hilft, die aber politisch und konfessionell unabhängig bleibt und ohne fixierte Vereinsstrukturen auskommt“, sagt Presbyter Erich Morschhäuser, der zusammen mit Silvia König der Motor der mittlerweile mehr als 80 Helfer in der Verbandsgemeinde ist. Angesiedelt ist der Helferkreis, der alle 14 Tage zusammenkommt, an das Haus der Familie. „Wir engagieren uns je nach unseren Talenten“, sagt der 66-Jährige. Da die Vernetzung das entscheidende Element des Kreises ist, stehen Morschhäuser und König mit ihren Daten auf einer Liste, die nun um die zehn Flüchtlinge erweitert wurde, die im Flüchtlingsbeirat aktiv sind. Zehn bis 30 Stunden pro Woche engagieren sich die Helfer beider Organe für die 200 Flüchtlinge, die in der Verbandsgemeinde leben. Die Ehrenamtlichen suchen allerdings momentan einen zentral in der Stadt gelegenen Raum. Grund: Im Haus der Familie können sie sich aufgrund der Belegung fast ausschließlich lediglich abends treffen.

Sulaiman Bilal aus Syrien drückt die Motivation, sich selbst im Flüchtlingsbeirat zu engagieren, mit einer alten Weisheit aus seiner Heimat aus: „Wenn du mir einen Fisch gibst, dann werde ich wieder hungrig, nachdem ich ihn aufgegessen habe. Lehre mich deshalb, selbst einen Fisch zu angeln.“ Ähnlich äußert sich Dethie Seye aus der Zent­ral­afri­ka­ni­schen Republik: „Jetzt kann ich die Hilfe, die ich bekommen habe, zurückgeben und anderen helfen.“

Ein Jahr lang habe man während der Treffen des Helferkreises mit den Flüchtlingen das „babylonische Sprachengewirr“ aus Arabisch, Farsi, Kurdisch, Französisch und Deutsch durchgehalten, berichtet Morschhäuser. Auf seine Anregung hin wählten die Flüchtlinge, die in der Verbandsgemeinde leben, in einer Vollversammlung aus ihren Reihen Menschen, die bereit sind, selbst Flüchtlingen zu helfen und Mittler zwischen ihnen und dem Helferkreis zu sein. König und Morschhäuser sind in den Sitzungen des Beirats teilnehmende Gäste. Es sei auch darum gegangen, demokratische Strukturen aufzubauen, erläutert Morschhäuser.

„Helferkreis und Beirat arbeiten gleichberechtigt zusammen“, erklärt König die ähnlichen Strukturen beider Gremien. Man habe Zuständigkeiten geregelt, da jeder seine Talente habe, die er einbringe. Zerin Jafo etwa ist erst seit 14 Monaten hier. Sie ist syrische Kurdin und damit „unser Schlüssel zu den Kurden“, formuliert Bilal. Neben den Treffen und Telefonaten sei ein ständiger Austausch in Whats-App-Gruppen möglich. Die Wege seien kürzer geworden, da die Flüchtlinge inzwischen besser untereinander in Kontakt treten und Informationen schneller transportiert werden könnten. So habe man vor Kurzem für den Umzug Seyes, der eine Ausbildung bei Fahrzeugbau Fischer in Kirchheimbolanden macht, schnell unter den Flüchtlingen Helfer finden können.

Anhand dieses Beispiels wird deutlich, wie sich Hilfe zur Selbsthilfe positiv auswirkt: Mitglieder des Helferkreises haben inzwischen fünf Flüchtlinge darin unterstützt, den deutschen Führerschein zu erwerben. Zweien von ihnen wurde ermöglicht, ein Auto zu erwerben. Jetzt können sie selbst Flüchtlingen, die im Umland wohnen, Fahrdienste anbieten. „Wir helfen uns selbstverständlich unentgeltlich“, sagt der Syrer Bilal. „Wenn wir unsere Landsleute bei Behördenbesuchen begleiten, geht es vor allem darum, zu vermitteln, wie die Leute eben denken.“ Man merke, wie sich Vertrauen entwickle. „Die Flüchtlinge vertrauen den Beiratsmitgliedern, die Behörden vertrauen den Flüchtlingen, weil sie merken, dass sie sich auf uns als Begleiter verlassen können, dass wir zuverlässig sind“, sagt Bilal.

Auch Sara Hosseini engagiert sich im Beirat. Sie kam vor sieben Jahren aus Afghanistan, hat die Mittlere Reife gemacht und beginnt im Sommer eine Ausbildung als Bauzeichnerin. Unterstützung wie heute habe es damals noch nicht gegeben, erklärt sie. „Das war anfangs schwierig. Ich habe Erfahrungen gesammelt, die möchte ich weitergeben, und ich kann Persisch übersetzen“, begründet sie ihr Engagement im Beirat. Mosi Vakilinia wiederum kam erst vor sechs Monaten aus dem Iran. Er ist ein wichtiger Helfer in praktischen Angelegenheiten, erklären die Mitglieder des Beirats. Noch ist Vakilinia in den Beiratssitzungen auf Hosseinis Übersetzungen angewiesen, in denen alle Deutsch sprechen. Davon profitieren wiederum alle Beiratsmitglieder. Schmunzelnd merkt Sam Khodarahmi aus dem Iran an: „Das ist unser zweiter Deutschkurs hier.“

Für die nächste Zeit hat sich der Beirat mehrere Projekte vorgenommen. Die Flüchtlinge möchten den Bewohnern der Verbandsgemeinde im Frühjahr einen Dreck-weg-Tag schenken. Im März werden sie beim Frühlingsfest auf dem Römerplatz Speisen und Spezialitäten zugunsten des Beirats verkaufen, „damit die Menschen unsere Kultur kennenlernen, auch beim Reden, Singen und Tanzen“, erklären sie. Morschhäuser möchte eine Ausschreibung des Bundesministeriums für Landwirtschaft aufgreifen und den Beirat anregen, ein Projekt zu planen, das zeigt, warum und wie Flüchtlinge gerne auf dem Land bleiben, statt in die Großstädte zu streben. Vielleicht sei auch schon der Beirat an sich ein solches Projekt, mutmaßt Morschhäuser. Schließlich hatte Anne Spiegel, Ministerin für Familie, Frauen, Jugend, Integration und Verbraucherschutz in Rheinland-Pfalz, das Projekt bei der Verleihung des Integrationspreises des Donnersbergkreises im vergangenen Herbst während der interkul­turellen Woche besucht. Und dabei erklärt, ihr sei nicht bekannt, dass es etwas Vergleichbares wie den Flüchtlingsbeirat in Rheinland-Pfalz noch einmal gibt. Lisa Elben

 

Frust im Ehrenamt beklagt

Laut statistischem Bundesamt haben zwischen Januar und November 2016 insgesamt 36 190 Flüchtlinge einen Asylerstantrag in Rheinland-Pfalz gestellt. Reinhard Schott, Integrationsbeauftragter der Evangelischen Kirche der Pfalz, geht davon aus, dass etwas mehr als ein Drittel davon im Gebiet der Landeskirche leben.

„Ehrenamtliche mit Migrationshintergrund haben sich immer schon für Landsleute eingesetzt“, sagt Schott, seit 1988 in der Migrationsarbeit tätig. Neben Begegnungscafés oder bei den Kommunen angesiedelten Integrationsbeiräten sei ein gewählter Flüchtlingsbeirat eine von vielen Möglichkeiten. Er hält dies allerdings nur für sinnvoll, wenn darin Personen sitzen, deren Aufenthaltsstatus geklärt ist. „Ansonsten ist keine Kontinuität gegeben.“ Außerdem sei in jedem Fall eine fachliche Begleitung der Helfer wichtig. Generell sei die Stimmung unter vielen Ehrenamtlichen in der Flüchtlingsarbeit im Moment getrübt. Hintergrund sind die Abschiebungen in den Balkan und nach Afghanistan. „Ich erlebe hier viel Frust bei Leuten, die sich zum Teil zwei Jahre lang um Flüchtlinge gekümmert haben, die jetzt gehen müssen.“ flor

 

 

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