Große Offenheit für die Arbeit mit Flüchtlingskindern

Integration in immer mehr Kindertagesstätten der Landeskirche eine neue Herausforderung – Personal mit interkultureller Kompetenz

In sicherem Rahmen den Alltag kennenlernen: Zwei Drittel der protestantischen Tagesstätten arbeiten mit Flüchtlingen. Foto: epd

In den vergangenen beiden Jahren hat sich die Zahl der evangelischen Kindertagesstätten, die auch von Flüchtlingskindern besucht werden, mehr als verdreifacht. Im Februar 2015 hatten knapp 20 Prozent der 244 Kindertagesstätten der Landeskirche Flüchtlingskinder aufgenommen. Im September 2015 waren es bereits über 43 Prozent. Nach der neuesten Erhebung sei die Zahl im September 2016 auf 63,4 Prozent gestiegen, sagte Pfarrerin Sabine Jung, Leiterin der Abteilung Diakonisches Profil und Pflege des Diakonischen Werks Pfalz. Unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus haben Kinder mit Fluchterfahrung nach dem Verlassen einer Erstaufnahmestelle einen Rechtsanspruch auf einen Tagesstättenplatz.

Die Erhebung in den protestantischen Kindergärten hat auch ergeben, dass 38,7 Prozent der Kinder evangelisch, 20,1 Prozent katholisch und zwölf Prozent muslimisch sind. Ein Viertel der Kinder gehört keiner Konfession an. Die meisten der fast 500 Flüchtlingskinder haben in den Kindertagesstätten einen freien Platz bekommen, bei acht wurde eine Überbelegung beantragt, 67 haben einen sogenannten Ausbauplatz. Damit nicht der Eindruck entstehe, Flüchtlingskinder verdrängten einheimische Kinder aus den Tagesstätten, müsse die Vergabe der Plätze absolut transparent vonstattengehen, sagte Jung.

Um die Kindertagesstätten bei ihrer Arbeit mit Flüchtlingskindern zu unterstützen, gibt es mit der Diplom-Pädagogin Annette Wehning seit April 2016 bei der Pfälzer Diakonie eine Fachberatung für kulturelle und religiöse Vielfalt. Die Einrichtungen seien sehr offen für interkulturelle Arbeit und für Familien mit Fluchterfahrungen, sagte Wehning. Pro Flüchtlingskind in einer Kindertagesstätte gebe es 0,2 zusätzliche Stellen für befristetes Personal mit interkultureller Kompetenz. Allerdings sei es angesichts des Fachkräftemangels nicht einfach, die Stellen auch zu besetzen.

Die Arbeit mit Flüchtlingskindern sei jedoch nicht Aufgabe von Einzelpersonen, sondern des ganzen Teams, sagte Wehning. Dabei werden Flüchtlingskinder nicht gesondert betreut. „Sie sollen in einem sicheren Rahmen den Alltag kennenlernen.“ In den Herkunftsländern hätten sie keine kindgerechten Verhältnisse gehabt; nun sei es ganz wichtig, dass die Kinder wieder Kind sein dürften. Die deutsche Sprache würden sie dabei meist sehr schnell, fast nebenbei, erlernen.

Wehning weist darauf hin, dass es keinen fest organisierten Zugang für Flüchtlingskinder zu Kindertagesstätten gebe. Die erste Hürde sei, dass die betroffenen Familien überhaupt erführen, dass es in ihrer Nähe solche Einrichtungen gebe. Meist würden sie in Beratungsstellen darauf aufmerksam gemacht. Die zweite Hürde sei dann die Sprachbarriere. Es sei oft sehr schwierig, die Erwartungen der Eltern an die Kindertagesstätte und umgekehrt die Erwartung der Einrichtung an die Eltern zu kommunizieren.

Unabhängig von den Flüchtlingskindern seien die Anforderungen an die Kindertagesstätten insgesamt stark gewachsen, sagte Sabine Jung. Dazu zählten etwa die Sprachförderung aller Kinder und der Umgang mit dem schwierigen sozialen Umfeld einiger Kinder. Jung hofft, dass langfristig multiprofessionelle Teams in den Einrichtungen arbeiten. Dann könnten je nach Bedarf Ergotherapeuten, Psychologen und Sozialarbeiter eingesetzt werden. Zudem müssten sich die Einrichtungen mehr mit Beratungsstellen und Ehrenamtlichen, die Familien begleiten, vernetzen.

Eigentlich müssten Kindertagesstätten zu Familienzentren ausgebaut werden, sagte die Pfarrerin. Dann könnten etwa auch Sprachkurse für die Mütter der Flüchtlingskinder angeboten werden. Dadurch hätten diese Frauen auch regelmäßig einen geschützten Raum für sich. Jung ist sich sicher, dass die Integration der Migranten die Kindertagesstätten noch viele Jahre beschäftigen werde. Dabei dürfe die Gesellschaft nicht den gleichen Fehler machen wie bei den Gastarbeitern. Damals habe man sich wenig um die Kinder gekümmert, weil angenommen wurde, dass die Menschen wieder zurückkehren. Das sei ein Fehler gewesen. koc

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