Verzicht auf sakrale Formensprache

Glasmaler Johannes Schreiter feiert 85. Geburtstag – Gestaltung von Kirchenfenstern revolutioniert

Arbeitet mit seiner Frau Barbara an einem gemeinsamen Buchprojekt: Der Langener Ehrenbürger Johannes Schreiter. Foto: epd

Die über neun Meter hohen Fenster der Sakramentskapelle des Mainzer Doms sind eine Einladung zum Gebet und zur Meditation. Mächtig bahnt sich auf ihnen das endlose Blau des Himmels den Weg. Das ewige Licht erreicht die Menschen aber nur durch das Leben und Sterben Christi, das mit einem glühenden Rubinrot angedeutet ist. Die zwei Kirchenfenster stammen von Johannes Schreiter, dem wohl bedeutendsten Glasmaler der Gegenwart. Am 8. März feiert er im südhessischen Langen seinen 85. Geburtstag.

„Meiner Seele und meinem Geist geht es gut, nur das Gehäuse hat einige Baustellen“, sagt der Maler, Zeichner und Grafiker mit heiterer Gelassenheit. Gleichwohl arbeitet er derzeit parallel an fünf bis sechs Glasfensterprojekten und an einem gemeinsamen Buchprojekt mit seiner Ehefrau Barbara. Zu dem Gedichtband, der im Mai erscheinen soll, hat er einige Bleistiftzeichnungen beigesteuert.

Die Glasfensterprojekte haben allesamt eine Vorgeschichte: So feilt er an den Entwürfen für vier neue Fenster in der evangelischen Stadtkirche in Langen, für die er bereits 2001 Fenster gestaltete. Auch in der evangelischen St. Marienkirche in Osnabrück bekommt das 1992 vollendete Fenster demnächst ein Gegenstück.

„Wie dieser zweite Auftrag zustande kam, ist unglaublich“, erzählt der Künstler. Er habe vor etwa zwei Jahren in einem Buch geblättert, in dem sein erstes Osnabrücker Glasfenster abgebildet war. Daraufhin habe er ein stilles Gebet gesprochen, „dass das Fenster ein Gegenüber bekommen möge“, und nur zwei Tage später habe der Pfarrer der Mariengemeinde angerufen und ihn um ein solches gebeten. „Ich kann nur jedem empfehlen, diesen heißen Draht zu nutzen“, sagt Schreiter und lacht. Der Langener Ehrenbürger hat den heißen Draht seit seiner „Umkehr zu Jesus Christus“ im Jahr 1983 oft genutzt. So auch fünf Jahre später: Nach einer Viruserkrankung verlor er seine Stimme und musste in der Folge seine Professur an der Frankfurter Städelschule an den Nagel hängen. „Die Ärzte hatten mich bereits aufgegeben.“

Doch dann begegnete er am Rande eines Bibelabends einem Prediger aus der Schweiz. „Dieser 83 Jahre alte Mann sprach mit mir über meine Krankheit und segnete mich danach mit folgenden Worten: Der Geist Gottes ist über dir, du bist geheilt. Nach einem ungewöhnlichen Brennen in den Bronchien konnte ich wieder sprechen und wenige Tage später wieder arbeiten. Härter und intensiver denn je.“

Das „Heilungswunder“ verändert nicht nur Schreiters Leben, sondern auch seine Kunst. Das Dunkle und Düstere verlieren an Gewicht, helle, strahlende Farben gewinnen die Oberhand. Schreiter beginnt, sich „auf die Tatsächlichkeit des Heiligen zu konzentrieren“, wie der Hallenser Kunstgeschichtler Holger Brülls es beschreibt.

Johannes Schreiter wird 1930 in Annaberg-Buchholz im Erzgebirge geboren. Seine Liebe zum Malen entdeckt er bereits als kleines Kind. 1949 nimmt Schreiter in Münster ein Kunststudium auf, das er in West-Berlin und Mainz fortsetzt. 1960 erhält er vom Bistum Würzburg den Auftrag, die Kirchenfenster für St. Margareta in Bürgstadt bei Miltenberg am Main zu entwerfen. „Das war die Initialzündung für meine Karriere als Glaskünstler“, erinnert sich Schreiter. Im selben Jahr wird er Lehrbeauftragter an der Kunstschule Bremen. Von 1963 bis 1987 wirkt er als Professor für Malerei und Grafik an der Frankfurter Städelschule.

Schon in den 1960er Jahren schreibt Schreiter Kunstgeschichte. Als revolutionär gilt seine Um-Interpretation der Bleiruten in Kirchenfenstern. Schreiter befreit die Metallstäbe, die die Glasstücke zusammenhalten, von ihrer rein technischen Funktion und nutzt sie als autonomes Mittel der Gestaltung. In seinen Kirchenfenstern entsagt er der gotischen Bilderfolge und wendet sich der Abstraktion zu. „Schreiters Kompositionsstil ist sachlich, streng, fast technisch“, urteilt Brülls. Auf eine sakrale Formensprache verzichtet Schreiter, das Kreuz findet sich nur angedeutet in wenigen seiner Werke.

Seine Fensterentwürfe fertigt Schreiter im Maßstab 1 : 10 auf Kartons oder Hartfaserplatten an. Werden sie vom Auftraggeber akzeptiert, erstellt er das Fenster auf Papier in Originalgröße. Die sogenannten Werkkartons bilden die Vorlage für die oft mehrere Monate dauernden Arbeiten im Glasstudio, bei denen er in der Regel anwesend ist und jedes gefertigte Teil persönlich prüft.

S.D.G. – Soli Deo Gloria, Gott allein zur Ehre, signiert der Glaskünstler seit 1995 seine Entwürfe. Zur Ehre Gottes möchte er weiterarbeiten, solange es geht. Angst vor dem Sterben hat Schreiter nicht. Er zitiert ein Bibelwort: „Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben.“ Dieter Schneberger

Die alte Botschaft wird neu wiedergegeben

Auch in der Pfalz sind zwei protestantische Kirchen mit Schreiter-Fenstern ausgestattet. Sowohl die Friedenskirchengemeinde in Wörth als auch die Christuskirchengemeinde in St. Ingbert haben sich für die abstrakten Glasfenster von Johannes Schreiter entschieden. Kunsthistorikerin Anke Elisabeth Sommer befasste sich in ihrem Buch „Glasmalereien der Protestantischen Landeskirche der Pfalz“ unter anderem mit den schreiter’schen Kirchenfenstern und analysierte deren künstlerisch-religiösen Wert.

Die Glasmalereien in der Wörther Friedenskirche wurden nach Angaben Sommers 1985 gefertigt. Gemeinsam mit dem damaligen Gemeindepfarrer Adolf Schmitt habe Schreiter die Gestaltung der Fenster geplant. Schmitt habe mit Schreiter theologische Gespräche führen können, die der Künstler in seine eigene Formsprache übersetzte. Aus den Glasmalereien Schreiters spreche genau die Wahrheit, der auch ein Pfarrer verpflichtet sei.

Das gemeinsame Thema für die Gestaltung der Kirchenfenster seien insbesondere Gemeinde und Frieden. So habe Pfarrer Schmitt die vielen kleinen Klammern als Symbole für die Gemeindemitglieder verstanden. Der Fingerabdruck signalisiere, dass der Einzelne zwar zu einer Gemeinde gehöre, aber ein unverwechselbares Geschöpf Gottes sei.

Schmitt sei überzeugt gewesen, dass der Beobachter spüren könne, dass die alte Botschaft Gottes mithilfe des Glases neu wiedergegeben werde. „Die Bilder helfen beim Predigen und sorgen gleichzeitig dafür, dass es schön ist“, schreibt Schmitt in einem Heft zu den Glasmalereien Schreiters.

Auch in St. Ingbert kommt die Kunst Schreiters gut an. 1992 wurden im Zuge eines Umbaus neue Kirchenfenster in Auftrag gegeben. In einer Veröffentlichung zu den Glasmalereien schrieb der damalige Pfarrer Fred Schneider-Mohr, dass es Schreiter gelungen sei, ein Kunstwerk zu schaffen, in dem die Religiosität mit der Ästhetik eine überzeugende Symbiose eingeht. scs

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