Kathedralen für die Kaiser

Die drei Dome am Rhein versetzen Zeitgenossen seit 1000 Jahren in Erstaunen • von Karsten Packeiser

Der Speyerer Dom ist die größte ­erhaltene romanische Kirche der Welt. In der Krypta fanden acht Kaiser und Könige und vier Königinnen ihre letzte Ruhe. Foto: Landry

Der Mainzer Dom sollte nach dem Willen von Erzbischof Willigis die größte Bischofskirche nördlich der Alpen werden. Foto: wiki

Der Bau des Wormser Doms begann im 11. Jahrhundert. Foto: epd

Mit ihren majestätischen Dimensionen machen sie ihrem Namen alle Ehre – die drei Kaiserdome in Mainz, Worms und Speyer zählen zu den deutschlandweit bedeutendsten Bauwerken des Mittelalters. Aufgereiht am Rhein, entstammen sie einer Epoche, als sich in dieser Region ein großer Teil der politischen Macht des römisch-deutschen Reiches konzentrierte. Bis heute dominieren sie die Silhouette der drei Städte. Alle drei Bauten ähneln sich auch im Grundaufbau. Mit dem kreuzförmigen Grundriss, den langgezogenen wuchtigen Kirchenschiffen, Rundbögen und Flankentürmen wurden sie zu Paradebeispielen der romanischen Baukunst.

Genau genommen sei der populäre Begriff „Kaiserdom“ im Bezug auf Mainz und Worms nicht korrekt, sagt der Mainzer Kunsthistoriker Clemens Kosch, der sich seit Jahren mit den drei Kirchen beschäftigt und darüber publiziert hat. St. Martin in Mainz und St. Peter in Worms verdanken ihre Existenz ehrgeizigen und tatendurstigen Bischöfen. Mit der Domkirche St. Maria und St. Stephan in Speyer liegt der Fall anders. Der Monumentalbau in der Pfalz entsprang dem Wunsch des weltlichen Herrschers Konrad II. Er wollte eine Grablege für seine Dynastie schaffen, wie sie die Welt noch nicht gesehen hatte.

Große Pläne hatte auch der Initiator des Mainzer Dombaus: Dem machtbewussten Erzbischof Willigis ging es um nicht weniger als darum, die traditionelle Krönungsstadt der deutsch-römischen Kaiser Aachen abzulösen. Als er ab 975 direkt neben einem bereits mehrere hundert Jahre alten Dom den Neubau der damals größten Bischofskirche nördlich der Alpen in Angriff nahm, war er bereits einer der einflussreichsten Männer Europas. „Nach dem Tode des großen Kaisers Karl hat Erzbischof Willigis erstmals wieder Türflügel aus Metall anfertigen lassen“, lautet die 1000 Jahre alte Inschrift im imposanten bronzenen Marktportal des Mainzer Doms, die die Zerstörungen der Jahrhunderte überdauerte und bis heute den Machtanspruch des Erbauers unterstreicht. Dass der ursprüngliche Willigis-Dom 1009 noch unmittelbar vor der Weihe komplett niederbrannte, hätten bereits die Menschen im Mittelalter als himmlische Strafe für den Größenwahn des Erbauers gesehen, berichtet Clemens Kosch. In Worms begann Bischof Burchard wenige Jahre nach seinem Mainzer Amtsbruder mit einem ähnlich prunkvollen Bau, der jedoch bald einstürzte und ebenfalls neu errichtet werden musste.

Noch monumentaler als die Bischofskirchen von Mainz und Worms sollte der Dom zu Speyer werden. Auf kreuzförmigem Grundriss entstand in der damals eher dörflich anmutenden Stadt die größte erhaltene romanische Kirche der Welt. Die Bauarbeiten der heute 134 Meter langen und im Mittelschiff 33 Meter hohen Kathedrale zogen sich über Jahrzehnte hin. Salierkaiser Konrad II., an den in der Eingangshalle bis heute eine große Statue erinnert, erlebte die Fertigstellung selbst nicht mehr. Er wurde 1039 inmitten der Großbaustelle beigesetzt. Insgesamt fanden in der Krypta des Speyerer Doms acht Kaiser und Könige und vier Königinnen ihre letzte Ruhe.

Worms und Mainz haben keine derart prominent belegten Gruften vorzuweisen. Allerdings wurde der Mainzer Dom Schauplatz mehrerer Krönungsfeierlichkeiten römisch-deutscher Könige und die unmittelbare Umgebung des Wormser Doms zum Schauplatz wichtiger Gipfeltreffen der deutschen Fürsten, allen voran des Reichstags von 1521, bei dem Martin Luther der versammelten Staatsmacht trotzte und an seiner reformatorischen Lehre festhielt. Schon zuvor hatte sich der kleinste der drei Dome als Schauplatz des Nibelungenlieds einen Platz für die Ewigkeit reserviert: Eine Schlüsselepisode in dem Heldenepos der Deutschen, der Streit Kriemhilds und Brünhilds darüber, wem der Vortritt gebühre, ist in Worms am Nordportal der Kirche verortet: Der berühmte Kircheneingang dient heute allsommerlich als Bühne für die Nibelungenfestspiele.

Nach Martin Luthers Thesenanschlag geriet der Klerus in allen drei Domkirchen unter Druck; in Mainz predigten mit dem Lutherfreund Wolfgang Capito und Kaspar Hedio zeitweise zwei Anhänger der Reformation. Auch in Worms und Speyer liefen etliche Kirchengemeinden zur protestantischen Bewegung über, die Dome blieben jedoch in katholischer Hand. Selbst im Dreißigjährigen Krieg, als die schwedischen Besatzer Mainz zum Zentrum eines protestantischen Deutschlands machen wollten, wurde die Hoheit der Katholiken über die zentrale Kirche der Stadt nicht angetastet.

Auch die weitere Geschichte der Kirchen verlief recht turbulent. Der Pfälzische Erbfolgekrieg und französische Revolutionstruppen setzten den Kirchen übel zu. Zeitweise wurden die Kathedralen zu Pferdeställen umgewidmet. Der Speyerer Dom war von den Franzosen so arg in Mitleidenschaft gezogen worden, dass sein Abriss Anfang des 19. Jahrhunderts eigentlich bereits beschlossene Sache war. Während die Dome von Mainz und Speyer später wieder Bischofskirchen wurden und bis heute blieben, lösten die Franzosen das Bistum Worms um 1800 komplett auf, nachdem es zuvor bereits durch die Reformation einen großen Teil seines Einflusses verloren hatte. Der Wormser Dom wurde zur gewöhnlichen Pfarrkirche herabgestuft.

Auch in Epochen ohne Kriege und Feuersbrünste wandelte sich das Äußere der drei Kathedralen. Fortlaufend wurden die Kirchen dem jeweiligen Zeitgeist angepasst. So erhielt der Mainzer Dom gotische Fenster und einen barocken Westturm verpasst. In Worms schuf Barockgenie Balthasar Neumann einen prunkvollen Hochaltar. Die Erkenntnis, dass historische Bauwerke nicht fortlaufend nach Belieben umgestaltet werden sollten, setzte sich erst im 19. Jahrhundert durch. Zu diesem Zeitpunkt begannen auch Bemühungen, die mittelalterlichen Kirchen wieder stärker in ihren Ursprungszustand zurückzuversetzen. In Speyer verfolgten Denkmalpfleger diesen Ansatz noch in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, als sie die damals 100 Jahre alten Fresken des Malers Johann Baptist Schraudolph von den Domwänden entfernen ließen. Doch nach jeweils mehr als neun Jahrhunderten andauernder Um- und Neubauten lässt sich die Frage, welche Elemente der drei Dome wirklich authentisch sind, ohnehin nicht mehr seriös beantworten.

Als Zentren der politischen Macht spielen die Dome von Mainz, Worms und Speyer schon lange keine Rolle mehr. Dafür wächst ihre Rolle als Touristenmagnet. Den Unesco-Welterbetitel erhielt bislang allerdings nur der Speyerer Dom. Er wurde bereits 1981 als „Hauptwerk der romanischen Baukunst in Deutschland“ und als das „größte Denkmal dieser Zeit“ in die Liste aufgenommen – als bundesweit zweites Bauwerk überhaupt. In jüngster Zeit hatte das Land Rheinland-Pfalz Pläne vorangetrieben, die drei romanischen Dome im Verbund zu einer gemeinsamen Welterbestätte erklären zu lassen.

Doch das Ansinnen scheiterte schon in einem frühen Stadium: Die Dome von Worms und Mainz schafften es nicht einmal auf die deutsche Vorschlagsliste. Diese Liste – ohne Dome – werde nun von der Unesco zunächst „bis mindestens 2023, möglicherweise aber auch noch darüber hinaus, abgearbeitet“, heißt es im rheinland-pfälzischen Kulturministerium zu den Perspektiven der Welterbeerweiterung. Erst danach wird es möglicherweise einen neuen Anlauf geben. Lediglich in Speyer dürfte sich die Enttäuschung über die Verzögerungen in Grenzen halten, denn ihre herausgehobene Stellung bleibt der Stadt und dem dortigen Dom damit noch auf viele Jahre hin gesichert.

Damit die drei 1000-jährigen Kirchen bis dahin dem Zahn der Zeit trotzen, stehen die katholischen Bistümer, Denkmalschützer und Dombauvereine vor enormen Herausforderungen. Alle drei Dome sind praktisch durchgehend an irgendeiner ihrer Fassaden eingerüstet. Allein für die Instandhaltung des Speyerer Doms fallen pro Jahr durchschnittlich Beträge in Höhe von einer Million Euro an. Der Wormser Dom wird bereits seit 2002 einer kompletten Außensanierung unterzogen. „Voraussichtlich wird die bis 2025 oder 2026 dauern“, berichtet Dompropst Tobias Schäfer, „es geht immer etappenweise, momentan ist gerade der Vierungsturm an der Reihe.“

Nach der 1000-Jahr-Feier des Mainzer Doms 2009 und dem 950-Jahre-Jubiläum in Speyer 2011 steht in Worms die 1000-Jahr-Feier zur ersten Weihe des Doms für 2018 an. Bis dahin soll es in der Umgebung zumindest eine Baustelle weniger geben: Das umstrittene neue Gemeindezentrum „Haus am Dom“ auf der Südseite der Kirche, das nach erheblichen Protesten der Wormser Bevölkerung nun doch gebaut wird, wird bis zum großen Jahrestag voraussichtlich fertiggestellt sein.

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