Kinder haben bereits von klein auf Verpflichtungen

Karin Wildberger hat ein Jahr lang im afrikanischen Kamerun in einer Vorschule mitgeholfen – Von Hilfsaktion „Brot für die Welt“ vermittelt

Sie sind der beste Beweis für spielerisches Lernen: Zwei aufgeweckte Vorschulkinder mit ihrer Betreuerin Karin Wildberger. Foto: pv

Neugierig auf ein anderes Leben ging Karin Wildberger aus Kaiserslautern nach dem Abitur für ein Jahr nach Kamerun. Sie wollte neue Erfahrungen sammeln und etwas für andere tun. Vermittelt durch die evangelische Hilfsaktion „Brot für die Welt“ absolvierte sie bei „In-Service-Training-Program“ (ISTP) einen Freiwilligendienst in einer Vorschule. Wieder zurück, hat sie die unterschiedlichsten Erlebnisse, Begegnungen und Erkenntnisse im Gepäck.

Einen anderen Kulturkreis kennenlernen, mit Einheimischen in Kontakt treten, das will die 20-Jährige schon lange. Ein Jahr vor dem Abitur bewirbt sich die Pfarrerstochter bei „Brot für die Welt“ um einen Auslandsaufenthalt. Neben Kambodscha, Georgien, Kamerun ist auch Costa Rica im Angebot. „Dort wäre ich am liebsten hin, weil ich Spanisch als Leistungskurs hatte. Aber ich bekam den Zuschlag für Kamerun.“

Das afrikanische Land empfängt sie mit einer Welt, in der die Uhren anders ticken und die Gesellschaft ihren eigenen Regeln folgt. In Bamenda, der viertgrößten Stadt Kameruns, tritt sie den Freiwilligendienst in einer Vorschule an. „In Kamerun geht es ganz anders zu als bei uns. Die Kinder werden schon mit drei Jahren im Lesen gedrillt. Sie stehen unter einem enormen Druck. Außerdem ist Gewalt ein großes Thema. Körperliche Strafen sind an der Tagesordnung.“ Umstände, denen die Lehrer von ISTP, einer Bildungseinrichtung der englischsprachigen evangelischen Kirche in Kamerun, entgegenwirken wollen. „Indem sie die Kinder gewaltfrei, spielerisch und kreativ an die Inhalte heranführen und sie auch Kind sein lassen.“ Das Konzept stößt nicht bei allen Eltern auf Gegenliebe. Die Familie stehe zwar hoch im Kurs, aber in der Hierarchie rangierten die Kinder ganz unten, weiß Wildberger. „Sie müssen gehorchen, mithelfen, haben kein Mitspracherecht und kaum Freiheiten. Umso mehr genießen sie es, wenn man in der Schule auf sie eingeht, zumal die Klassen bei ISTP maximal 28 Schüler haben und nicht 100, wie sonst üblich.“

Die Aufgabe der Hospitantin ist, die Lehrer zu unterstützen. Nach dem Schulschluss um 12.30 Uhr hat sie Zeit zur freien Verfügung. Anfangs sei es ihr schwergefallen, sie auszufüllen. Zu Frauen Kontakt zu bekommen, sei schwierig. Sie hielten sich meistens zu Hause auf. Denn das klassische Rollenbild sei noch weitverbreitet, ebenso wie Polygamie. „Und sich mit einem jungen Mann zu treffen, ist nicht ohne. Da wird man schnell als Freundin oder künftige Ehefrau gesehen.“ Deshalb ist sie froh, mit vier anderen Freiwilligen zusammen zu wohnen und in ihnen Gleichgesinnte zu haben.

Um trotzdem Einheimische kennenzulernen, macht sie einen Tanzkurs und schließt sich einem Kirchenchor an. „Viele Aktivitäten gehen in Kamerun von der Kirche aus“, sagt Wildberger. 70 Prozent der Bevölkerung seien Christen: Katholiken, Presbyterianer oder Baptisten. Allerdings hätten sie ein anderes Religionsverständnis als wir, reflektierten kaum. Das Bibellesen und den Kirchgang sähen sie als gesellschaftliches Muss. Die Kulturunterschiede seien groß und trotz guten Willens nicht immer zu überbrücken. Nicht nur diese Erkenntnis bringt sie nach zwölf Monaten mit. „Ich habe gelernt, mit anderen zusammenzuleben und weiß jetzt, wie wichtig Bildung auch für die Meinungsbildung ist. Vor allem habe ich gesehen, wie anders die Kinder dort aufwachsen, wie viele Verpflichtungen sie von klein auf haben.“ Diesen Erfahrungsschatz möchte sie erweitern. Doch zunächst geht’s zum Bauingenieurstudium nach Aachen. fdj

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