Kampf der Kulturen im Mittelalter

Die christliche Reconquista will Spuren des Islam in Spanien verwischen

Blick auf die Mezquita-Cathedral in Córdoba: Ab 1523 wurde in die ­ehemalige Moschee eine christliche Kathedrale gebaut. Foto: wiki

Heute ist die Mezquita eine der wichtigsten Touristenattraktionen ­Andalusiens, vor allem wegen ihres prächtigen Innenraums. Foto: wiki

von Martin Schuck

Der Besuch in nahezu jeder spanischen Stadt regt zur Auseinandersetzung mit dem Islam an. Zwischen dem 8. und dem 13. Jahrhundert stand fast die gesamte iberische Halbinsel – je nach Region unterschiedlich lange – unter muslimischer Herrschaft. Zeugen muslimischer Baukunst entdeckt man in beinahe jeder größeren Siedlung, ebenso wie den Hinweis im Reiseführer, dass viele bedeutende Kirchen auf den Grundmauern von Moscheen errichtet wurden.

Zentrum des Islam in Spanien war Andalusien, das noch heute stark von der islamischen Vergangenheit geprägt ist. Die weißen Dörfer sind im maurischen Baustil gehalten, und auch die Kirche im Mittelpunkt des Ortes weicht davon nicht ab. Gerade an der Architektur der Kirchen wird deutlich, dass sich im Mittelalter ein andalusischer Stil entwickelt hat, der vom weitgehend friedlichen Zusammenleben der Religionen zeugt und scheinbar keine durch aggressive Symbolik dokumentierte Gegnerschaft der Kirche zur Moschee erkennen lässt. Schaut man jedoch genauer hin, lassen sich sehr wohl christliche Bemühungen der Zeit nach der Rückeroberung, der sogenannten „Reconquista“, erkennen, wichtige Zeichen der islamischen Herrschaft zu verwischen. Besonders deutlich wird das in Córdoba, der Hauptstadt des maurischen Spaniens, das zeitweise Sitz eines Kalifats war.

Spanien wurde im zweiten vorchristlichen Jahrhundert römische Provinz und blieb es mehr als 600 Jahre lang bis zur Völkerwanderung im 5. Jahrhundert. 711 begann die islamische Invasion, als ein Heer von Berbern von Tanger in Marokko nach Spanien übersetzte und von Gibraltar aus große Teile der iberischen Halbinsel eroberte. Innerhalb der nächsten Jahre drängten die Berber die seit der Völkerwanderung das Land beherrschenden Westgoten immer weiter zurück.

Die islamische Invasion wurde durch verschiedene Faktoren erleichtert: eine heterogene Bevölkerung, die aus alteingesessenen, mehr oder weniger romanisierten Kelten und Iberern bestand, aus ihrer Stammestradition verhafteten Westgoten und eingewanderten Orientalen, die den Mittelmeerhandel kontrollierten. Daneben gab es Juden, die in den letzten Jahrzehnten der westgotischen Herrschaft unter einer antijüdischen Politik zu leiden hatten. Die Juden unterstützten deshalb die Muslime beim Aufbau ihrer Herrschaft, nachdem die Eroberungszüge abgeschlossen waren. Dazu kam die Rivalität zwischen den westgotischen Adelsgeschlechtern, die den Muslimen den Sieg leicht machte.

Bald war die iberische Halbinsel – mit Ausnahme des äußersten Nordwestens – vollständig erobert, und die Muslime überquerten die Pyrenäen und drangen durch das Rhônetal bis nach Burgund vor. 732 wurde ein Teil der Truppen durch Karl Martell bei Tours gestoppt, ab 777 griff Karl der Große mit einem Heer ein und Narbonne und andere Städte in Südfrankreich wurden zurückerobert. Das Heer Karls des Großen eroberte 785 Girona zurück und 801 Barcelona.

Die Errichtung des Emirats in Córdoba durch Abd ar Rahman aus der aus Damaskus stammenden Omayyadendynastie 756 bedeutete den Beginn einer planmäßigen Herrschaft des Islam. Später wurde unter der Herrschaft der Omayyaden seit 929 aus dem Emirat ein Kalifat als Gegenpol zum Kalifatssitz der Abbasiden in Bagdad. Ab 1035 zerfiel das Kalifat. Gleichzeitig erstarkten die katholischen Königreiche Aragón und Kastilien, und es begann im 11. Jahrhundert die große Zeit der Reconquista. Diese war Mitte des 13. Jahrhunderts abgeschlossen, und es existierte nur noch eine kleine islamische Herrschaft ganz im Süden, das nasridische Königreich Granada.

Die muslimischen Herrscher praktizierten eine Herrschaft, die man aus heutiger Sicht als tolerant bezeichnen kann. Die eroberten christlichen Städte durften ihre bisherigen Herrschaftsstrukturen beibehalten und mussten lediglich Tribut zahlen. Es wurde keine religiöse Unterwerfung gefordert, weshalb das Christentum in Spanien auch weiterexistieren konnte und die kirchlichen Strukturen sogar ausgebaut wurden. Es gab während der Hochzeit der muslimischen Herrschaft auf der iberischen Halbinsel drei Erzbistümer, 18 Bistümer und eine ganze Anzahl von Klöstern.

In den knapp drei Jahrhunderten des Emirats und Kalifats entwickelte sich Córdoba zu einer der größten und bedeutendsten Städte der damaligen Welt. Die Zahl der Einwohner dürfte die heute in Córdoba lebenden knapp 330 000 Menschen um mindestens die Hälfte übertroffen haben. Die Ausdehnung des Siedlungsgebiets wird mit sämtlichen Vorstädten auf etwa 14 Quadratkilometer geschätzt. Insgesamt gab es in Córdoba 45 Moscheen, wobei die von Abd ar Rahman am Ende seiner Herrschaft gebaute Mezquita als die größte und prächtigste Moschee der Welt galt.

Die Mezquita wurde über einen Zeitraum von zwei Jahrhunderten ständig erweitert und umfasste um 960, als der Kalif Hakam II. eine Gebetsnische mit byzantinischen Mosaiken einbauen ließ, eine Fläche von fast 24 000 Quadratmetern. Getragen wurde der riesige Bau von insgesamt 860 Marmorsäulen.

Noch bevor die Moschee gebaut wurde, ließ Abd ar Rahman einen Alcázar als Herrschersitz mitten in der Stadt errichten, der unter den nachfolgenden Emiren immer wieder erweitert wurde. Mit der Ausrufung des Kalifats unter Abd ar Rahman III. war der alte Alcázar der neuen Würde des Herrschers nicht mehr angemessen, und ab 936 wurde mit dem Bau eines neues Palastes etwa acht Kilometer außerhalb Córdobas begonnen. Diese Medina Azahara, die nicht einmal ein Jahrhundert lang Bestand hatte, wird von Zeitgenossen als architektonisches Meisterwerk beschrieben und dürfte in ihrer opulenten Pracht allenfalls mit der Jahrhunderte später entstandenen, aber viel kleineren Alhambra in Granada vergleichbar sein.

Mit dem Ende des Kalifats um 1035 und dem Auseinanderfallen von Al-Andalus in verschiedene kleinere Herrschaftsbereiche, Taifas genannt, begann die Reconquista als ideologisches Unternehmen der Christenheit. Die frühen Versuche, den Islam zurückzudrängen, etwa bis zur Eroberung Barcelonas, waren als rein politische Kriege geführt worden, die nichts als die Abwehr eines Feindes zum Ziel hatten. Die Herrschaft des Islam sollte so weit als möglich zurückgedrängt und vom übrigen Europa ferngehalten werden. Die drei Fürstentümer Aragón, ­Navarra und Katalonien entstanden aus Widerstands­nestern gegen muslimische Truppen in den Pyrenäen.

Die ersten Versuche der Rückeroberung muslimischen Gebiets wurden in Nordspanien mit der Sicherung der Pilgerwege nach Santiago de Compostella begründet, wo seit dem 9. Jahrhundert das Grab des Apostels Jakobus verehrt wurde. Die Jakobuskirche in Compostella wurde in ihrer überregionalen Bedeutung ab dem frühen 12. Jahrhundert vom Papst höchstpersönlich gefördert. Durch die päpstliche Kirchenpolitik im Zusammenhang mit der Jakobuskirche wurde die Reconquista immer mehr zu einem nicht mehr nur politischen, sondern religiösen Unternehmen. Sie stand Pate sowohl für die Kreuzzüge als auch für die Rückeroberung des unter muslimischer Herrschaft stehenden Siziliens durch von Papst Benedikt X. beauftragte normannische Ritter. Es ging nun darum, die Muslime, die „Ungläubigen“, zurückzudrängen und Spanien unter christliche Herrschaft zu stellen. Überhaupt sollte Europa frei werden von jeder muslimischen Herrschaft.

Mittlerweile gab es zwei wichtige regionale Mächte im Norden Spaniens: Kastilien und Aragón. Die Grafschaft Kastilien hatte sich 1037 mit dem Königreich Léon vereinigt; Aragón vereinigte sich etwa zeitgleich mit Katalonien. In der Folgezeit konnten einige wichtige Städte eingenommen werden; entscheidend war die Eroberung Toledos 1085, aber auch das portugiesische Coimbra 1064 war ein Meilenstein.

Die Könige Kastiliens und Aragóns lagen in ständigem Streit miteinander, deshalb konnten auch die Muslime einige Schlachten gewinnen. Das Blatt wendete sich erst, als Innozenz III. eingriff, indem er die spanische Christenheit unter seinen Schutz stellte. Pedro II. von Aragón ließ sich 1204 von Innozenz III. in Rom krönen und erkannte sein Königreich als Lehen des Papstes an. Der Papst wiederum finanzierte die nun kräftig auflebende Reconquista. Die drei Königreiche Aragón, Kastilien (mit Léon) und Portugal vereinten nun ihre Kräfte und konnten durch geschickte Arbeitsteilung innerhalb eines halben Jahrhunderts die Herrschaft des Islam brechen.

Folgende wichtige Eroberungen konnten in dieser Phase der Reconquista gemacht werden: Alfons III. gliederte die bis dahin muslimisch beherrschte Algarve in Portugal ein und gab dem Land damit die Ausdehnung, die es bis heute hat. Jakob I. von Aragón setzte sich auf den Balearen fest und eroberte von dort 1238 Valencia. Das Gebiet der heutigen Region Valencia kam daraufhin zu Aragón. Ferdinand III. von Kastilien griff vom Norden her an und eroberte 1236 Córdoba, 1243 Murcia, 1248 Sevilla, und unter Alfons X. eroberte Kastilien 1262 Cádiz.

Danach gab es nur noch das junge Königreich Granada, das entstanden war, als sich Mohammed ibn Yusuf ibn Nasr 1236 Ferdinand III. unterstellte und diesem Tributzahlungen leistete. Ferdinands Nachfolger Alfons X. versuchte, Granada zu erobern, was ihm aber nicht gelang. Erst die Vereinigung der beiden Königreiche Kastilien und Aragón durch die „katholischen Könige“ Ferdinand V. von Kastilien und Isabella I. von Aragón 1479 brachte die nötige militärische Durchschlagskraft zur Eroberung des Königreichs Granada, die mit der Eroberung der Stadt Granada am 2. Januar 1492 abgeschlossen wurde.

Die meisten muslimischen Prachtbauten Andalusiens wurden abgerissen und durch christliche Bauten ersetzt. So steht die ab 1401 erbaute größte gotische Kathedrale der Welt in Sevilla auf den Grundmauern der früheren Moschee. Der Kalifenpalast Medina Azahara wurde, da er nicht im Stadtgebiet lag, verfallen gelassen und als Steinbruch für ein nahegelegenes Kloster benutzt; derzeit ist erst ein Teil der Ruine wieder freigelegt. Auch der heutige Alcázar in Córdoba ist ein Bau aus dem 14. Jahrhundert auf dem Grundriss des alten Herrschersitzes der Emire.

Lediglich die Mezquita blieb als Bauwerk erhalten, wurde aber sofort nach der Eroberung Córdobas als christliche Kirche geweiht. Ab 1523 wurde, mit Erlaubnis Kaiser Karls V., die dieser beim Anblick des Bauwerks angeblich bitter bereute, damit begonnen, ein Kirchenschiff in die ursprüngliche Moschee hineinzubauen. Der Umbau dauerte 234 Jahre. Die Mezquita-Cathedral, eine der größten Touristenattraktionen Andalusiens, ist somit in ihrer heutigen Form erst Mitte des 18. Jahrhunderts fertiggestellt worden.

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