Willkommenskultur im Einwanderungswald

Mit einem EU-Projekt sollen in den kommenden Jahren wieder Luchse im Pfälzerwald angesiedelt werden

Vor fast 250 Jahren hat der Mensch ihn in weiten Teilen Mitteleu­ropas völlig ausgerottet. Nun soll der Luchs in das Biosphären­reservat Pfälzerwald und Nordvogesen zurückkehren. Foto: Ole Anders

von Klaus Koch

Es ging schon deutlich wilder zu in deutschen Wäldern. Im 18. Jahrhundert waren hier Luchse, Wölfe und sogar Bären heimisch. Doch den hohen Herren passte das nicht. Schließlich konkurrierten die Raubtiere mit den Jägern um das begehrte Wildbret. Historische Daten, vor allem Aufzeichnungen über Abschussprämien, zeigen, dass der Mensch die Tiere willentlich ausrottete. Daneben trieb er Raubbau an den Wäldern. Die Folge war, dass Rehe und Hirsche immer weniger Nahrung fanden und ihr Bestand sank. Luchs und Wolf wichen auf Schafe und Ziegen als Beutetiere aus. Und auch das gefiel dem Menschen nicht. Die Ausrottung beschleunigte sich weiter. Schon Ende des 18. Jahrhunderts war der Luchs, die größte europäische Raubkatze, verschwunden, 1888 wurde in der Eifel der letzte Wolf auf heutigem rheinland-pfälzischen Boden zur Strecke gebracht.

Inzwischen ist der Mensch ein wenig klüger. Er hat den Wert der Artenvielfalt erkannt. „Um das ökologische Gleichgewicht in der Natur aufrechtzuerhalten, ist die Symbiose von Beutetier und Jagdtier wichtig“, sagt Michael Back von der rheinland-pfälzischen Stiftung Natur und Umwelt in Trippstadt. Er ist Mitarbeiter bei dem von der Europäischen Union geförderten „LIFE“-Projekt, mit dem Luchse wieder im Pfälzerwald und in den Nordvogesen angesiedelt werden sollen. Von Januar 2015 bis Dezember 2020 zahlt die EU für das Vorhaben in dem Biosphärenreservat 2,75 Millionen Euro. Wenn alles gut geht, sollen ab diesem Frühjahr bis zum Projektende 20 Luchse ausgewildert werden.

Solche Projekte hatten andernorts schon Erfolg. Zwischen 2000 und 2006 wurden 24 Luchse im Harz angesiedelt. Die Population ist mittlerweile auf über 100 Tiere angewachsen und hat die Grenze nach Hessen überschritten. Das beweisen vor allem Fotofallen in den Wäldern im Werra-Meißner-Kreis und im Landkreis Kassel. Allerdings ist die Zahl der hessischen Tiere eher gering. Es besteht immer noch die Gefahr, dass sich der Bestand wieder auflöst. Auch im Bayerischen Wald gibt es eine stattliche Zahl von Luchsen. Sie sind aus dem Böhmerwald über die Grenze gekommen, wo sie vor Jahrzehnten ausgewildert wurden. Doch in Bayern läuft es nicht rund mit den Raubtieren. Immer wieder werden die streng geschützten Tiere mit Schrot oder Gift getötet. Offensichtlich hat das Tier hier Feinde, die sich jedoch nicht öffentlich zu erkennen geben. Das Töten eines Luchses ist schließlich eine Straftat.

Im Biosphärenreservat Pfälzerwald undNordvogesen soll die Feindschaft zwischen Mensch und Tier von vorneherein verhindert werden. Seit dem Projektbeginn vor einem Jahr arbeitet Back daher an der nötigen Willkommenskultur. „Der Luchs soll hier nicht still und leise wieder angesiedelt werden. Alle Betroffenen müssen offen und ehrlich informiert ­werden und mitziehen.“ Unermüdlich spricht er daher mit Verbänden, Jägern, Landwirten und Nutztierhaltern. Er könne gut verstehen, dass ein Jäger zunächst Bedenken habe, wenn er höre, dass ein ausgewachsener Luchs etwa 60 Rehe im Jahr frisst, sagt Back, der selbst Jäger ist.

Doch hier hilft Information. Das Streifgebiet eines Luchses beträgt etwa 400 Quadratkilometer. Das sind 40 000 Hektar und entspricht der Fläche von 80 durchschnittlichen Jagdpachten. Also reißt ein Luchs nicht einmal ein Reh pro Pächter und Jahr. Das überzeugt: Der Landesjagdverband und der Ökologische Jagdverband trügen die Ansiedlung voll und ganz mit, sagt Back. In der Imagebroschüre zum Luchs-Projekt wird sogar ein Jäger aus Trippstadt mit den Worten zitiert, er sehe „den Luchs nicht als einen Konkurrenten, sondern als Jägerkollege, dem ich auch Beute gönne“.

Anders als der Luchs, der sich hervorragend als Werbe-Ikone für intakte Natur eignet, hat der in letzter Zeit wieder häufiger in Erscheinung tretende Wolf jedoch ein Imageproblem. Ihm hänge immer noch das von den Brüdern Grimm erschaffene Wort vom bösen Wolf nach, sagt die rheinland-pfälzische Umweltministerin Ulrike Höfken. Dabei ist der Wolf wie der Luchs für den Menschen ungefährlich. Und für beide Tiere gibt es zudem sogenannte Managementpläne. Wenn sich ein Wildtier also an einem Nutztier vergreift, wird der Halter entschädigt.

So steht also beiden Tieren das Biosphärenreservat Pfälzerwald und Nord­vogesen als Einwanderungswald offen. Doch bei der Ansiedlung gibt es gravierende Unterschiede. Isegrim ist einfach nur willkommen, wenn er denn kommt. Der Luchs hingegen wird geholt. Das habe nichts mit einer unterschiedlichen Wertschätzung für die Tiere zu tun, beteuern unisono die Verantwortlichen der hessischen und rheinland-pfälzischen Luchs- und Wolfprojekte. Dem Wolf wird vielmehr zugetraut, dass er von selbst aus anderen Regionen einwandert. Was er in Deutschland auch immer häufiger macht. Und wenn es ihm irgendwo gefällt, bleibt er und vermehrt sich, wenn er nicht erschossen oder überfahren wird.

Der Luchs hingegen kommt nicht von selbst. Er muss geholt werden. Und er bleibt nur, wenn in seiner Nachbarschaft Artgenossen leben. Also reicht es nicht, ein Pärchen anzusiedeln und abzuwarten. Und da kommen dann wieder das Luchs-Projekt im Pfälzerwald und Michael Back von der Stiftung Natur und Umwelt ins Spiel. Der Projektmitarbeiter ist in diesem Frühjahr auf Luchsfang. Vor wenigen Wochen war er in den Schweizer Alpen. Gesehen habe er dort ein Weibchen mit Jungtieren. Doch die Fallen blieben leer. Bisher gibt es lediglich ein Männchen, Kuder genannt, das in der Schweiz mit einem Sender ausgestattet umherschweift und im kommenden Jahr in die Pfalz übersiedeln soll.

Doch ein Männchen macht natürlich noch keine Population. Also zieht Back wieder los. Das nächste Mal in die Karpaten in der Slowakei. Auch hier gibt es so viele Luchse, dass bei ein paar Entnahmen der Bestand nicht gefährdet ist. Das Frühjahr ist die beste Zeit, einen Luchs zu fangen, der normalerweise die Deckung liebt und laut Back zwar nicht scheu ist, aber doch sehr heimlich lebt. Im Frühjahr jedoch ist Ranzzeit: Luchsmännchen sucht Luchsweibchen. Und da wird der Kuder schon mal unvorsichtig und tappt vielleicht in eine der Fallen. Bei den Weibchen ist das schwieriger. Die suchen nämlich nicht nach Männchen, die warten, bis eins kommt.

Das Einfangen von Wildtieren sei eben nicht programmierbar, sagt Back. Dennoch ist es sein Ziel, mindestens ein Pärchen noch in diesem Jahr im Pfälzerwald auszusetzen. Dass diese zufällig zusammenkommenden Tiere sich nicht leiden können, ist unwahrscheinlich. „In der Ranzzeit verstehen sich Männchen und Weibchen immer. Das ist in der Tierwelt so“, sagt Back. Nach seinen Worten kann das Biosphärenreservat Pfälzerwald und Nordvogesen mit seiner Fläche von etwa 303 000 Hektar, davon 250 000 Hektar mögliches Luchshabitat, nach Ende des Projekts im Jahr 2021 einer stabilen, gesunden Population von rund 45 Luchsen Lebensraum bieten. Doch das ist zu wenig, um den Bestand zu garantieren. Die jungen Luchse haben eine hohe Sterblichkeit. Bei einem Wurf von vier Luchsen überleben höchstens zwei. Außerdem sind die Tiere durch den Verkehr gefährdet.

Deshalb ist es nötig, möglichst viele Lebensräume von Luchsen zu vernetzen. Ideal wäre eine Verbindung von Harz, Biosphärenreservat Pfälzerwald, Jura, Schweizer Alpen, Bayern und Böhmerwald. Doch dafür wären zahlreiche Querungshilfen für die Tiere nötig, um Straßen, Bahntrassen und Kanäle überwinden zu können.

Die Stiftung Natur und Umwelt wird jedenfalls in den ersten Jahren über jeden Schritt der ausgesetzten Waldbewohner informiert sein. Bevor sie in ihr neues Jagdgebiet entlassen werden, erhalten sie einen Sender um den Hals, der ihren jeweiligen Standort anzeigt. Damit ist es möglich, die Streifwege der Luchse nachzuvollziehen und verletzte oder tote Tiere zu finden. Hierfür hat Michael Back auch seine beiden Schweißhunde ausgebildet. Mithilfe der Luchse im Tierpark Kaiserslautern hat er ihnen beigebracht, die Wildtiere aufzuspüren. Doch diese Fürsorge für die Luchse wird nicht von Dauer sein. Die Sender sind so konstruiert, dass sie nach ein paar Jahren abfallen.

Ob es dem Luchs danach tatsächlich gelingt, seine alte Heimat in der Pfalz und in den Nordvogesen auf Dauer zurückzuerobern, hängt dann vor allem von zwei Faktoren ab: der Vernetzung mit anderen Luchsvorkommen und der Toleranz der Menschen.

Der Luchs

Der Eurasische Luchs (Lynx lynx) wird etwa so groß wie ein Schäferhund: Kopf-Rumpf-Länge 80 bis 120 Zentimeter, Schulterhöhe 50 bis 70 Zentimeter, Gewicht 17 bis 25 Kilogramm. Kuder (männliche Luchse) werden meist größer als Katzen (Weibchen). Auffällige Merkmale sind die bis zu vier Zentimeter langen Haarbüschel („Pinsel“) an den Ohren, der Stummelschwanz, der Backenbart und das dunkel gefleckte, grau-gelbe bis rötlich-braune Fell.

Das Gebiss hat 28 Zähne. Die Eckzähne sind zu langen Reißzähnen entwickelt. Durch eine Verkürzung der Kiefer entsteht der kräftige Biss, der dem Luchs das rasche Töten größerer Beutetiere ermöglicht. Luchse orientieren sich vorwiegend akustisch und optisch; ihre Augen sind sechsmal lichtempfindlicher als die des Menschen, was vor allem nachts einen großen Vorteil bringt. Der Geruchssinn dient vorwiegend der Kommunikation innerhalb der Art.

Der Luchs braucht deckungsreiche Vegetation zum Anschleichen an seine Beute. Er ist Einzelgänger und duldet in seinem Wohngebiet kein anderes erwachsenes Tier gleichen Geschlechts. Ein Luchsrevier ist mehrere hundert Quadratkilometer groß. Als Anschleichjäger muss er seine Beute überraschen; auf eine längere Distanz verfolgen kann er sie nicht. Nach einem missglückten Angriff muss er meist mehrere Kilometer weiter wandern, um erneut auf unvorsichtige Beute zu stoßen. Seine Hauptnahrung bei uns sind Rehe; aber auch kleine Nager, Kaninchen, Füchse, Wildschweinfrischlinge und Hirschkälber stehen auf dem Speisezettel. red

Quelle: Pädagogisches Zentrum Rheinland-Pfalz (PZ-Information 11/2001)

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