Das Gesicht der Reformation

Wanderausstellung zeigt Lutherbilder aus 600 Jahren – Jedes Jahrhundert hat seine eigene Sichtweise

Der „Kirchenvater“ im Kreise seiner Familie: Kolorierte Radierung von Peter Carl Geißler, um 1825. Fotos: Zentralarchiv

Kämpfer: Luther als „deutsche Eiche“ mit Bismarck auf einer Feldpostkarte, um 1917.

Martin Luther (1483 bis 1546) war der Rummel um sein Konterfei gar nicht recht. Freilich hatte der Reformator erstmals dem berühmten Renaissancemaler Lucas Cranach und später seinem Sohn Modell gesessen – das Porträt von 1520, das ihn als Augustinermönch zeigt, ist das älteste Motiv. Die neue reformatorische Bewegung musste „ein Gesicht“ bekommen. Und der Mann, der 1517 seine kirchenkritischen Thesen an die Tür der Wittenberger Schlosskirche anschlug, war ihr bester Werbeträger.

„Dass seine Bilder zu Propagandazwecken dienten, war dem pragmatisch denkenden Luther klar“, weiß der Kulturhistoriker Andreas Kuhn aus Neustadt-Hambach. Massenhaft wurden Lutherbilder im 16. Jahrhundert durch die neue Buchdrucktechnik unters Volk gebracht: Der meist streng dreinschauende Theologieprofessor wurde als Vorkämpfer des „richtigen“ Glaubens wie ein katholischer Heiliger verehrt. „Die Bilder entwickelten im Dienst der evangelischen Sache ein Eigenleben, Luther konnte sie nicht mehr einfangen“, sagt Kuhn, der für die Wanderausstellung „Lutherbilder aus sechs Jahrhunderten“ zur Geschichte der Lutherdarstellungen geforscht und die Texte zur Ausstellung verfasst hat.

Die Schau des Verbands kirchlicher Archive in der Evangelischen Kirche in Deutschland zeigt anlässlich des 500. Reformationsjubiläums im Jahr 2017, wie sich bildhafte Darstellungen des wichtigsten Reformators im Laufe der Zeit wandelten. Eröffnet wird die Präsentation mit 40 Lutherbildern und Begleittexten auf 15 Rollwänden (Roll-Ups) am 8. März in der protestantischen Magnuskirche in Worms – der Stadt, wo Luther 1521 auf dem Reichstag seine Glaubenslehre verteidigen musste.

Erstellt wurde die Schau von den Archiven der pfälzischen Landeskirche in Speyer und der hessen-nassauischen Landeskirche in Darmstadt. Sie soll in allen 20 evangelischen Landeskirchen gezeigt werden, vier Exemplare sind zeitgleich in ganz Deutschland unterwegs. Ausgeliehen werden kann die Schau etwa von Kirchengemeinden und kirchlichen Einrichtungen.

Jede Zeit habe ihren eigenen Blick auf Luther gehabt und ihn auch für eigene Ziele instrumentalisiert, sagt die Speyerer Archivdirektorin Gabriele Stüber. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Andreas Kuhn und dem Leiter des Kirchenarchivs in Darmstadt, Holger Bogs, zeichnet sie für die Ausstellung verantwortlich. Der jahrhundertelange Lutherkult habe eine riesige Menge von Bildern des Reformators hervorgebracht. Allein 500 unterschiedliche Motive entstanden zu dessen Lebzeiten. Die Lutherhalle Wittenberg bewahrt 2400 verschiedene Lutherbilder auf. Lange Zeit habe die Wissenschaft der aufschlussreichen Bildersprache der Lutherporträts kaum Aufmerksamkeit geschenkt, bemängelt Kuhn. Erst seit wenigen Jahrzehnten richte sich der Blick auf das theologische und politische „Programm“ der Darstellungen, deren Detailreichtum heutigen Betrachtern oft kaum mehr verständlich sei: Der Doktorhut und die aufgeschlagene Bibel als Zeichen für Gelehrsamkeit und theologische Autorität, der Schwan, der ihn als Propheten Christi ausweist.

Prägend bis heute seien die Darstellungen der beiden Cranachs aus der Frühzeit der Reformation, sagt der Historiker Kuhn. Diese zeichneten ein realistisches Bild, wie Luther ausgesehen habe. Luther selbst habe eine Verehrung oder Anbetung von Bildern abgelehnt, sie aber doch als „Hilfsmittel zum Glauben akzeptiert“. Die Lutherporträts in Flugschriften, Büchern, Bibeln oder gar als Altarbilder sollten dazu dienen, die Reformation „von unten aufzubauen“, wie Kuhn sagt. Die meisten seiner Zeitgenossen konnten weder lesen noch schreiben – umso wichtiger war es, den neuen Glauben über die Sprache der Bilder zu vermitteln.

Schon bald wurden Lutherbilder instrumentalisiert, nicht nur als Waffe der Reformation. Im Zuge der Rekatholisierung setzten sie auch die „Altgläubigen“ ein: Das Bild von Luther, der einen Pakt mit dem Teufel schließt, sollte den Kopf der protestantischen Bewegung diffamieren.

Bilder Luthers dienten der Nachwelt über Jahrhunderte zur Selbstverortung, erläutert Kuhn. Während der ­junge Protestantismus bis ins 18. Jahrhundert Luther als „Kirchenvater“, theologische Instanz oder auch aufgeklärten Geist verherrlichte, so wurde er im 19. und 20. Jahrhundert als trutziger Nationalheld vereinnahmt. Auf Lutherdenkmälern – wie in Worms oder in der Vorhalle der Speyerer Gedächtniskirche – erschien er als der standhafte und kämpferische Reformator. Auf Historiengemälden wurde er immer stärker zur Identifikationsfigur des Deutschen schlechthin. Sein Wirken wurde allmählich säkularisiert und auf die rein kulturelle Leistung der Bibelübersetzung verengt.

Im 20. Jahrhundert setzte auch die Kommerzialisierung Luthers ein. Er erscheint heute unter anderem auf Kartenspielen, Schlüsselanhängern oder Briefmarken. Die beiden Weltkriege führten zum Bruch des Verhältnisses der Deutschen zu „ihrem“ Luther.

Zwiespältig sei auch das Verhältnis der evangelischen Kirche zur lange Zeit überlebensgroß gezeichneten Figur Luther, stimmen Kuhn und Stüber überein. Kritisch-distanziert richte sich heute meist der Blick auf seine „dunklen Seiten“, wie die Judenfeindschaft. Neue Sichtweisen auf Luther könnten sich im kommenden Jahr ergeben, wenn sich die Reformation zum 500. Mal jährt. „Auch heute kann Luther ein Vorbild sein in seiner kompromisslosen Suche nach der Wahrheit“, erinnert Andreas Kuhn. Alexander Lang

Luther im Bild

Die Lutherbilder-Ausstellung ist erstmals in der Pfalz 2017 von 24. März bis 7. Mai im Museum Edenkoben zu sehen. Eine Ausleihe ist ab sofort über das Zentralarchiv der Evangelischen Kirche der Pfalz in Speyer möglich unter Telefon 0 62 32 / 667-182/282, e-mail: archiv@evkirche­pfalz.de. Zur Schau erscheint ein Katalog mit 100 Lutherbildern. all

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