Respekt vor Gefühlen und Erfahrungen der Bewohner

Friederike Reif ist seit vier Jahren Altenheim-Seelsorgerin im Paul-Gerhardt-Haus Neustadt – Träger ist der Landesverein für Innere Mission

Nimmt sich Zeit fürs Zuhören: Friederike Reif bei einer Heimbewohnerin. Foto: LM

Neustadt. „Ich bin nicht gläubig, aber Sie sind so nett und hören mir zu“, sagte einmal ein Bewohner des Altenheims Paul-Gerhardt-Haus in Neustadt, der 30 Jahre zuvor aus der Kirche ausgetreten war, zu Friederike Reif. Das sei eine der vielen schönen Bestätigungen ihrer Arbeit als Pfarrerin und Seelsorgerin gewesen, sagt sie im Gespräch.

Reif wurde vor vier Jahren von der pfälzischen Landeskirche freigestellt zum Dienst beim Landesverein für Innere Mission in der Pfalz. Halbtags arbeitet sie als fest angestellte Seelsorgerin im Paul-Gerhardt-Haus auf der Hambacher Höhe. Damit ist sie fünf Tage in der Woche vormittags präsent. Für die 43-jährige Mutter von drei Kindern (acht und elf die Söhne, 16 Jahre die Tochter) eine ideale Konstruktion, zumal sie je nach Bedarf ihre Arbeitszeit flexibel gestalten kann und auch mal am Wochenende für einige Stunden in der Einrichtung ist.

Die Mitarbeitenden im Haus betrachten Reif als Kollegin. „Ich bin zwar Vertreterin der evangelischen Kirche, muss aber bei den Menschen im Haus nicht auf die Konfession achten“, sagt sie. Sie wisse, dass alle Menschen vor allem beim Umzug ins Heim und erst recht, wenn es um Fragen des Sterbens und Trauerns gehe, ähnliche Gefühle, Ängste und Gesprächsbedürfnisse hätten.

„Zeit für Gespräche oder geduldiges Zuhören können die Pflegerinnen eben nur begrenzt aufbringen, weil der gesetzliche Pflegeschlüssel das nicht erlaubt.“ Neulich sei sie von einer Mitarbeiterin gerufen worden, weil eine alte Dame ein Lied im Radio gehört habe, das schmerzvolle Erinnerungen in ihr wachrief, gibt Reif ein Beispiel. Sie hatte die Zeit und konnte die verzweifelte Bewohnerin beruhigen.

Kraftspendend und beruhigend wirkten nicht nur das Mittagsgebet im Speisesaal, sondern eben auch das Zuhören, das gemeinsame Lachen und vor allem der Respekt vor den Gefühlen der Menschen. Achtung hat Reif auch, wenn ihr eine Bewohnerin sagt: „Ich habe zu Gott gebetet, dass er mich bald holen möge.“ Die alte Dame sei nicht suizidgefährdet gewesen, war aber „im wahrsten Sinn des Wortes erleichtert, dass sie dies aussprechen konnte“. Die Pfarrerin sprach ihr einen ganz persönlichen Segen zu, „der ihr offenbar sehr guttat“.

Möglich ist das, weil Reif bei den monatlichen Leitungs-, Betreuungs- sowie den Wochenbesprechungen dabei ist. Dabei erfährt sie vieles über den gesundheitlichen und psychischen Zustand der 108 Bewohner. Unter anderem danach stellt sie ihren Besuchsplan zusammen – das gilt auch für Besuche im Krankenhaus. Bewohner und deren Angehörige können von sich aus natürlich jederzeit das Gespräch mit ihr suchen.

Die Seelsorgerin ist oft besonders gefordert, wenn ein Leben zu Ende geht. „Sterben und Trauern sollen in einem Heim nicht den Alltag bestimmen, aber den notwendigen Raum bekommen, um ein liebevolles Gedenken zu ermöglichen“, sagt sie. Mit gleichem Engagement organisiert sie im Paul-Gerhardt-Haus Programme, Projekte und Praktika für die Kindergartenkinder der Paulusgemeinde und die Schüler des Käthe-Kollwitz-Gymnasiums. Dann wird gebastelt, gesungen, gespielt, der Gottesdienst gemeinsam gestaltet, spazieren gegangen oder über die Lebenserfahrungen der Bewohner gesprochen. „Das ist für alle Beteiligten eine Bereicherung“, weiß Reif.

Eine „erhebliche Arbeitsverdichtung“ sieht sie auch im kirchlichen Bereich. „Während sich inzwischen viele Gemeindepfarrer um 2000 und mehr Gemeindemitglieder kümmern, zu denen auch die Seniorenheime gehören, bin ich ausschließlich für die 108 Bewohner, deren Angehörige und auch unsere eigenen Mitarbeitenden zuständig“, sagt sie. Das sei ein gewisser Luxus, den sich der Landesverein für Innere Mission leiste, weil die Menschen, die hier wohnten, besondere Zuwendung und Ansprache bräuchten. Gisela Stieve

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