Der Dienst am hilfebedürftigen Nächsten ist die Bibel

Landeskirche lehnt Mission unter muslimischen Flüchtlingen ab – Christen können aber mit ihrem Engagement ein Glaubenszeugnis geben

Werben vor der Kaserne: Mitglieder der „Zeugen Jehovas“ informieren Flüchtlinge über ihre Glaubensgemeinschaft. Foto: Landry

Vor dem Tor der Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge in Speyer haben zwei Mitglieder der „Zeugen Jehovas“ ihr Infowägelchen aufgestellt. „Die Zukunft. Wie sieht sie aus?“ steht auf Broschüren in deutscher, englischer – und arabischer Sprache. Eine Antwort verspricht ein Blick in die Bibel, heißt es dort. Gezielt missioniert die Glaubensgemeinschaft bei muslimischen Flüchtlingen vor der Kurpfalzkaserne, in der momentan rund 400 Flüchtlinge, vor allem Syrer, untergebracht sind.

„Sie haben schon damit begonnen, während wir noch darüber diskutieren“, kritisiert der Speyerer evangelische Militärpfarrer Ulrich Kronenberg. Die evangelische Kirche und ihre Diakonie leisteten nur praktische Flüchtlingshilfe. Für den christlichen Glauben offen einzustehen und zu werben, trauten sie sich nicht, bemängelt er.

Heiß diskutiert wird derzeit in der evangelische Kirche die Frage nach dem Missionsbefehl von Jesus Christus aus dem Matthäus-Evangelium: Darf man auch gläubigen Muslimen, insbesondere Flüchtlingen in ihrer Notsituation, mit der Bibel kommen? Soll man gar versuchen, sie zum Christentum zu bekehren? Sektenvertreter, aber auch manche evangelikale Christen in den evangelischen Landeskirchen und Freikirchen sagen: ja. Die rheinische Kirche preschte nun vor und stellt die christliche Missionierung von Muslimen grundsätzlich infrage.

Eine offensive Mission unter Muslimen lehnt die Evangelische Kirche der Pfalz klar ab: Die freundliche Aufnahme und Begleitung der in Deutschland ankommenden Flüchtlinge sei für die Landeskirche gegenwärtig die „zentrale christliche Mission der Nächstenliebe“, sagt der Pressesprecher, Kirchenrat Wolfgang Schumacher, in Speyer.

Alle Christen würden ermutigt, ihren Glauben und ihre Traditionen kennenzulernen und zu leben, sagt Schumacher. Auch sollten sie „vom Glauben erzählen und so zum Glauben einladen, dass die Freiheit und Würde aller Menschen gewahrt wird“. Die Beziehung der Kirchengemeinden zu Menschen anderer Konfessionen und Religionen sei von Respekt geprägt: „Diese Arbeit ist gelebte Nächstenliebe und fördert den Frieden.“

Wenn Christen nach der Motivation für ihr Handeln gefragt werden, sollten sie selbstverständlich von ihrem Glauben reden, findet Reinhard Schott, der Flüchtlingsbeauftragte von Landeskirche und Diakonie. Jedoch dürfe nicht die Notlage von Flüchtlingen dazu missbraucht werden, um sie für die eigene Religion oder Konfession zu gewinnen. Nicht wenige Muslime hätten allerdings in ihren Heimatländern verbotene Kontakte zu Christen gehabt. Andere seien am christlichen Glauben interessiert. Der Dienst am Menschen, vor allem an den Hilfsbedürftigen, sei „die Bibel, die von allen Menschen gelesen wird“.

Auch Marianne Wagner, die Leiterin für Weltmission und Ökumene der Landeskirche, lehnt es ab, Flüchtlinge „zu Objekten unserer Hilfsbereitschaft oder zu Objekten von Konversionsbemühungen“ zu machen. „Wenn Menschen, bewegt durch unser Zeugnis und Gottes Geist, sich taufen lassen wollen, ist das eine Fügung Gottes, und wir sollten sie in unseren Kirchengemeinden willkommen heißen“, sagt sie.

Für eine „einladende Mission“, die die Freiheit des anderen toleriert, tritt Pfarrer Tilo Brach, der Vorsitzende des theologisch konservativen Evangelischen Gemeinschaftsverbands Pfalz, ein. Als Christ könne man im Dialog mit einem Muslim seinen Glauben bezeugen, sollte aber dessen Glaubenshaltung respektieren.

Eine deutliche Absage erteilt Brach Missionsversuchen unter Flüchtlingen in Aufnahmeeinrichtungen. Es sei nicht angemessen, deren Notlage auszunutzen. Doch könne ein Christ ein „Tatzeugnis“ geben, indem er Flüchtlingen bei der Integration helfe. Bibeln in Flüchtlingsunterkünften zu verteilen, ist ohnehin nicht ganz einfach: Missionsversuchen von Glaubensgemeinschaften haben die Behörden einen Riegel vorgeschoben: Sie sind in den Einrichtungen verboten, und wer es doch versucht, riskiert eine Strafanzeige. all

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