Hort universeller Bildung und bürgerlichen Lebens

Mit frommem Wandschmuck und Luther als Spieluhr – Ausstellung zur Geschichte des Pfarrhauses im Historischen Museum der Pfalz eröffnet

Kurator Ludger Tekampe führt in die Ausstellung ein: Im Hintergrund Pfarrerin Gölzer in ihrem Pfarrgarten. Foto: Landry

Bei aller Idealisierung des Pfarrhauses als Hort universeller Bildung und bürgerlichen Lebens sei nicht zu leugnen, welche große wissenschaftliche, philosophische und künstlerische Kraft ihm zu verdanken sei, sagte Kirchenpräsident Christian Schad bei seiner Ansprache anlässlich der Eröffnung der Ausstellung „Leben nach Luther“ im Historischen Museum der Pfalz in Speyer. „Auch wenn sich das Berufsbild und das Familienverständnis der Pfarrerschaft heute grundlegend verändert haben, so bleibt doch die Bedeutung des Pfarrhauses als Mitte der Gemeinde, als offenes Haus und als Anlaufstelle für soziale und seelsorgerliche Fragen bestehen“, so Schad weiter.

Die Ausstellung, die noch bis zum 10. Januar 2016 zu sehen ist, bietet 29 Bild- und Texttafeln sowie Hör- und Mitmachstationen. Sie ist eine Übernahme des Deutschen Historischen Museums in Berlin und wird ergänzt durch pfälzische Exponate, die hauptsächlich aus dem Archiv der Landeskirche, aber auch aus privaten Sammlungen bestehen. Während zwei überlebensgroße Fensterbilder mit Pfarrerin Christine Gölzer von der Speyerer Dreifaltigkeitskirche und Pfarrer Christoph Braun aus Frankenthal-Mörsch den Blick auf heutige Bewohner von Pfarrhäusern lenken, zeigen 30 Schwarz-Weiß-Fotografien, wie unterschiedlich pfälzische Pfarrhäuser aussehen können. Mit den Worten von Kirchenpräsident Schad: „Das eine Pfarrhaus gab es nie. Es ist so unterschiedlich wie seine Architektur und seine Bewohner.“

Die einzelnen Tafeln zeichnen die Entwicklung des Pfarrhauses seit der Reformation nach. Dabei wird deutlich, dass die idealisierende Darstellung der Familie Luther als erste Bewohner eines evangelischen Pfarrhauses der romantischen Fantasie des 19. Jahrhunderts entsprungen ist – schon deshalb, weil Martin Luther niemals das Amt eines Gemeindepfarrers innehatte. Die Ausstellung präsentiert mit Luthers Weggefährten Johannes Bugenhagen den ersten reformatorischen Theologen, der 1518 heiratete, dann eine Pfarrstelle übernahm und zusammen mit seiner Frau ein Pfarrhaus bezog. In den folgenden Jahrhunderten des landesherrlichen Kirchenregiments übernahm der Pfarrer nicht nur kirchliche Amtshandlungen, sondern auch hoheitliche Aufgaben. Nicht zuletzt deshalb wurde das Pfarrhaus zu einem öffentlichen Gebäude.

Die Ausstellung zeigt, dass das evangelische Pfarrhaus bis weit ins 20. Jahrhundert besonders im ländlichen Raum der Mittelpunkt des kulturellen Lebens gewesen ist. Das Pfarrhaus war der Ort von universeller Bildung, und die Pfarrfamilie lebte exemplarisch Bürgerlichkeit vor. Die Ausstellung vermittelt aber auch, dass gerade der Landpfarrer ebenso wie die meisten seiner Gemeindemitglieder von den Erträgen der ihm zugewiesenen Grundstücke, der sogenannten Pfründe, leben musste.

Breiten Raum nimmt die Politisierung des Protestantismus im 20. Jahrhundert und deren Auswirkung auf die Rolle des Pfarrers ein. Nach der Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg endete auch das landesherrliche Kirchenregiment. Der Pfarrerstand blieb mehrheitlich deutschnational, und das Pfarrhaus wurde zu einem Bollwerk gegen die Demokratie der Weimarer Republik. Die Ausstellung dokumentiert, wie sich nach 1933 in Pfarrhäusern der „Bekennenden Kirche“ Widerstand formierte gegen die Eingriffe des Nationalsozialismus in das kirchliche Leben. In der Nachkriegszeit beriefen sich viele Pfarrer auf diesen Widerstand bei ihrem Kampf gegen Wiederbewaffnung und Atomraketen. Ebenso deutlich wird hingewiesen auf die Rolle der Pfarrhäuser und anderer kirchlicher Räume für die Entstehung einer Friedens- und Bürgerrechtsbewegung in der DDR, die 1989 zur friedlichen Revolution führte.

Pfälzische Bezüge bietet die Ausstellung mit Exponaten aus dem Nachlass des pfälzischen Pfarrers und spätromantischen Schriftstellers Friedrich Blaul (1809 bis 1863) sowie mit frommem Wandschmuck und Bildern aus pfälzischen Pfarrhäusern – sogar Luther als Spieluhr, die „Ein feste Burg ist unser Gott“ spielt, ist zu bestaunen. mas

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