Geraubte Bücher erzählen Schicksale

Pfälzische Landesbibliothek in Speyer präsentiert seine Funde von NS-Raubgut in einer kleinen Ausstellung

Bücher jüdischer oder NS-feindlicher Autoren: Wissenschaftler haben die Bestände für ein Pilotprojekt untersucht. Fotos: LBZ

„Der Anti-Nazi“: Das Handbuch gehörte dem Speyerer Journalisten Rudolf Joeckle.

Viele Bibliotheken besitzen Bücher, die die Nazis ihren früheren Eigentümern geraubt haben. Die Pfälzische Landesbibliothek in Speyer hat ihre ­Bestände auf Raubgut hin untersucht. Eine Ausstellung präsentiert nun die Ergebnisse.

Ganz zufällig stolperte Armin Schlechter vor drei Jahren über den Fund, der alles ins Rollen brachte. Bei der Durchsicht des Büchermagazins bemerkte der Bibliothekar bei den Geschenkzugängen der Bestände „Schöne Literatur“ aus den Jahren 1941 und 1942 auch Werke pazifistischer und jüdischer Autoren. „Bücher von Tuchols­ky, Wassermann, Remarque und Trotzki, die zu dieser Zeit von den Nazis längst verboten waren – das roch für mich nach Raubgut“, erinnert sich der Mitarbeiter der Pfälzischen Landes­bib­lio­thek beim Landes­bib­lio­theks­zent­rum Rheinland-Pfalz in Speyer.

Wer waren die ehemaligen Besitzer, denen die Bücher gestohlen wurden? Wie kamen sie in den Besitz der Landesbibliothek? Und: Was war das Schicksal der Eigentümer? Diese Fragen ließen dem umtriebigen Bibliothekar keine Ruhe. Gemeinsam mit zwei Mitarbeiterinnen forstete er in einem landesweiten Pilotprojekt zur sogenannten Provenienzforschung die Buchbestände der Landesbibliothek durch. Gefördert wurde das Projekt von der Arbeitsstelle für Provenienzforschung in Berlin.

Rund 60 000 Bände hatte die Landesbibliothek in Speyer durch Ankauf, Geschenke oder Tausch während der Hitler-Diktatur erhalten. Mehr als 30 000 Exemplare, die zwischen 1933 und 1950 erworben wurden, nahmen Schlechter sowie die Germanistin Nadine Kulbe und die Historikerin Nicole Bartels in Augenschein.

Sie suchten nach handschriftlichen Einträgen, Stempeln oder Widmungen, die einen Hinweis auf ihre früheren Besitzer geben können. 1450 davon konnten sie eindeutig als Raubgut identifizieren. Ziel des Projekts sei es, die Werke an die meist jüdischen Besitzer oder deren Nachfahren zurückzugeben und an das Unrecht zu erinnern, sagt Schlechter. Bis 5. September präsentiert eine Ausstellung in der Landes­bib­lio­thek die Ergebnisse der fast dreijährigen Forschungsarbeit.

Dabei wird deutlich: Auch die 1921 gegründete Pfälzische Landesbibliothek war Teil eines deutschlandweiten Systems, das dem millionenfachen Bücherraub diente. Das Haus bereicherte sich unterm Hakenkreuz an Büchern, die verfolgten Personen oder Körperschaften gehörten. Besonders viele Werke waren im Besitz von Speyerer Juden, die 1940 in das französische Konzentrationslager Gurs deportiert und später ermordet wurden. Ihr Eigentum wurde versteigert, aber auch „verwertet“, indem es an staatliche Institutionen abgegeben wurde. Auch Kommunisten, Sozialisten, Freimaurern, Katholiken und Pazifisten wurden ihre Bücherschätze von den Nationalsozialisten genommen. Ein Teil der Bücher wurde vernichtet, ein anderer wanderte in die „Giftschänke“ der Bibliotheken. Ihr Studium war nur einem erlesenen Nutzerkreis erlaubt. „Die Nazis wollten ihre Feinde mit ihren eigenen Waffen bekämpfen“, erläutert Schlechter.

Zudem gab es aus Angst vor staatlichen Repressionen „Buchschenkungen“ von eingeschüchterten Bürgern. So etwa im Fall des nazikritischen Speyerer Zeitungsredakteurs Rudolf Joeckle (1864 bis 1978). Der Chefredakteur der dem politischen Katholizismus nahestehenden „Pfälzer Zeitung“ gab in der Landesbibliothek mehrere Schriften ab. Darunter auch die Broschüre „Anti-Nazi“ – ein Handbuch für den politischen Kampf gegen das NS-Regime. Joeckle, der zuvor verhaftet worden und dessen Wohnung durchsucht worden war, habe sich wohl der für ihn lebensgefährlichen Schriften entledigen wollen, folgert Schlechter.

Nur zehn Raubgut-Exemplare konnten der Bibliothekar und seine Mitarbeiterinnen bisher „restituieren“, also an die Nachkommen der einstigen Besitzer zurückgeben. „Die meisten sind leider nicht mehr zu ermitteln“, sagt Schlechter. Diese Exemplare verwaltet die Landesbibliothek treuhänderisch. Auch ein Exemplar von Viktor von Scheffels „Der Trompeter von Säckingen“ befand sich 75 Jahre lang zu Unrecht in ihrem Besitz. Jetzt bekommt die Erbin Vera Székely aus Schweden den Roman ihrer Mutter zurück: Die Speyrerin Edith Székely, geborene Sussmanowitz, emigrierte nach Schweden, wo sie mit ihrem Ehemann als Psychoanalytikerin arbeitete. Alexander Lang

Meistgelesene Artikel