Die Zeichen der Zeit noch nicht verstanden

von Klaus Koch

Klaus Koch

Es gibt Gründe, weshalb die Ökumene zwischen Protestanten und Katholiken nicht recht vorankommt. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als lägen diese Gründe alle auf katholischer Seite. Sie beharrt auf ihrem Amtsverständnis und der Unfehlbarkeit des Papstes, lässt nicht alle Christen zur Eucharistie zu, hält an der Unauflöslichkeit der Ehe fest und verehrt Heilige und Reliquien. Mit Sachverstand und Inbrunst verhandeln Ökumeneexperten beider Seiten diese Fragen. Das Ergebnis ist immer gleich, man kommt – in jüngster Zeit meist mit verständnisvollen Worten – überein, dass man nicht übereinkommt. Für die katholische Seite sind diese Fragen keine Verhandlungsmasse, sondern Wesenskerne ihres Kirchenverständnisses.

Über Jahrzehnte spielten diese ökumenischen Haarspaltereien eine eher untergeordnete Rolle. Die Christen bildeten die Mehrheitsgesellschaft, ihre Traditionen prägten das Leben. Da gab es ab und an mal eine Diskussion über die Taufe von Kindern aus konfessionsverschiedenen Ehen, aber ansonsten lebten Protestanten und Katholiken friedlich nebeneinander her.

Das hat sich grundlegend geändert. Die christliche Tradition bricht mit jeder neuen Generation weiter ab, viele Menschen treten aus der Kirche aus, für die meisten verbleibenden Mitglieder verliert der Glaube an Bedeutung, und der Islam spielt eine immer größere Rolle in westlichen Gesellschaften. Wer in dieser Situation vor allem die Differenzen von katholischer Eucharistie und protestantischem Abendmahl diskutiert, hat die Zeichen der Zeit noch nicht wirklich verstanden.

Gerade deshalb war die Diskussion zwischen Kirchenpräsident Schad und Bischof Wiesemann so richtungsweisend. Sie lobten zwar den ökumenischen Leitfaden, der die Chancen, vor allem aber die amtskirchlichen Grenzen der Ökumene darlegt, aber ansonsten sprachen sie vor allem über gemeinsame christliche Werte und Aufgaben jenseits des Kirchenrechts.

Sie rückten die tröstende und hoffnungsspendende Kraft des Evangeliums in den Mittelpunkt. Eine Kraft, die immer wieder spürbar wird beim Verarbeiten von Katastrophen, wenn Gebet und Gottesdienst oft die einzigen Mittel sind, um nicht sprachlos zu bleiben. Eine Kraft, die den Menschen im Zyklus der christlichen Festtage Orientierung gibt und die dem Einzelnen bei Lebensumbrüchen Mut und Zuversicht zuspricht. Und sie definierten gemeinsam den Einsatz in Wort und Tat für die Schwachen als christliche Kernaufgabe. All das müssen die Kirchen gemeinsam tun, wollen sie gehört werden.

Für die Katholiken und Protestanten in den Gemeinden bedeutet dies, enger zusammenzurücken, mehr gemeinsam zu beten, zu feiern und zu helfen. Ihr gemeinsamer Glaube kann ihnen dabei den Mut geben, sich mehr am Evangelium und an den Menschen zu orientieren als an konfessionellen Differenzen, die ihre Mitmenschen nicht mehr verstehen.

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