Die ganze Bibel ist Zeugnis von Christus

von Martin Schuck

Martin Schuck

„Theologieprofessor will das Alte Testament aus der Heiligen Schrift verbannen“, lautet die Überschrift einer jüngst veröffentlichten Stellungnahme von Friedhelm Pieper, dem evangelischen Präsidenten des Deutschen Koordinierungsrats der Gesellschaften für Christliche-jüdische Zusammenarbeit. Nichts weniger als einen „handfesten theologischen Skandal im gegenwärtigen deutschen Protestantismus“ sieht der hessen-nassauische Pfarrer am Werk, denn der Berliner Professor Notger Slenczka verlasse „einen Grundkonsens christlicher Theologie“. Macht er das wirklich?

Tatsächlich hat Slenczka in einem wissenschaftlichen Sammelband vor zwei Jahren einen Aufsatz mit dem Titel „Die Kirche und das Alte Testament“ veröffentlicht, in dem er die Frage stellte, ob sich nicht im gegenwärtigen kirchlichen Bewusstsein eine Haltung durchgesetzt habe, wie sie vor gut 100 Jahren von dem Theologen Adolf von Harnack formuliert wurde, dass nämlich das Alte Testament in der Kirche keinen kanonischen Rang habe, sondern den apokryphen Schriften, also den Makkabäerbüchern oder dem Buch Tobit, gleichzustellen sei.

Das Pikante an der Sache besteht darin, dass Pieper in seiner Stellungnahme Slenczkas Aufsatz als „antijudaistisch“ qualifiziert, Slenczka selbst aber seine Frage vor dem Hintergrund der Ergebnisse des christlich-jüdischen Dialogs stellt. Diese Ergebnisse laufen darauf hinaus, dass die jüdische Bibel, die auch die Bibel Jesu war, als eigenständige Heilige Schrift zu verstehen ist und eben nicht nur, wie in der christlichen Bibel, als Altes Testament und somit als Vorgeschichte zu einem Neuen Testaments und dessen Bekenntnis zu Jesus Christus.

Die Stellung des Alten Testaments war immer ein Thema in der Kirche. Die Väter der Pfälzer Kirchenunion wollten nur das Neue Testament als Bekenntnisgrundlage behalten und mussten sich vom bayerischen König das Alte Testament verordnen lassen. Dieser argumentierte, es ginge nicht an, dass eine Regionalkirche sich mit so einer Entscheidung gegen den Rest der Christenheit stelle.

Trotz gelegentlicher Kontroversen ist es unbestritten, dass das Alte Testament ein unverzichtbarer Teil der christlichen Bibel ist. Aber das Alte Testament ist auch nicht identisch mit der Bibel der Juden, sondern eine christlich gedeutete Neuordnung der ursprünglich jüdischen Bibel, die auf das Neue Testament bezogen ist. Klar erkennen kann man das daran, dass in der jüdischen Bibel die Prophetenbücher in der Mitte zwischen dem Gesetz und den Weisheitsschriften stehen; im Alten Testament stehen sie jedoch am Ende, weil sie, so die christliche Deutung, auf Jesus hinweisen.

Nach christlichem Verständnis ist Jesus Christus die Mitte der Schrift, und die ganze Heilige Schrift ist Zeugnis von Christus – das Alte Testament, indem es auf das Kommen Christi hinweist, und das Neue Testament, indem es das Gekommensein Christi bezeugt.

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