Wie Europa seine Werte verrät

von Wolfgang Weissgerber

Wolfgang Weissgerber

Europa steckt beim Thema Flüchtlinge in einem Teufelskreis, an dessen Zustandekommen es nicht ganz unbeteiligt war. Ein Entrinnen scheint kaum möglich. Den Vormarsch der Terrormiliz IS in Syrien und Irak, das Scheitern des arabischen Frühlings, die Korruption und den Verfall staatlicher Ordnung in Teilen Afrikas sowie das Afghanistan-Desaster – das alles haben die Europäer nicht unmittelbar zu verantworten. Durch eine halbherzige Politik des Wegschauens, durch ihr Paktieren mit Diktaturen und Despoten, durch unentschlossenes Handeln im Kampf gegen Hunger und Armut haben sie aber jene Entwicklungen und Verhältnisse zumindest begünstigt, die den Flüchtlingsstrom an ihre Grenzen spülen.

Und nichts hilft. Auf absehbare Zeit ist keine Lösung in Sicht, wie Millionen verzweifelter Menschen in der Heimat zu Frieden und einer bescheidenen Existenz verholfen werden könnte. Ebenso wenig scheint es möglich und ist gewiss auch nicht statthaft, den reichen Europäern die armen Schlucker aus aller Welt zuverlässig und dauerhaft vom Leib zu halten.

Mit den Dublin-Abkommen wird das ja schon versucht. Sie legen fest, dass Flüchtlinge in demjenigen Mitgliedsstaat der Europäischen Union Asyl beantragen müssen, dessen Boden sie als Erstes betreten haben. Das hält sie von den wohlhabenden Ländern im Norden fern und bürdet die Verantwortung den ärmeren Staaten am Südrand auf. Zugleich soll es eine Flucht nach Europa unattraktiv machen, wenn der Weg nach Deutschland auf dem Verwaltungsweg versperrt wird.

Doch selbst die humanitäre Hilfe hat Nebenwirkungen. Es mussten erst Hunderte jämmerlich ersaufen, die mit altersschwachen Kähnen den gefahr­vollen Weg übers Mittelmeer wählten, ehe den Flüchtlingen Hilfe zuteil wurde. „Mare Nostrum“ hieß das Programm, unter dessen Namen Italien das Meer systematisch nach in Seenot geratenen Seelenverkäufern absuchte. Die Aussicht auf Rettung ließ den Flüchtlingsstrom indes erst recht anschwellen. Auch ließ die Europäische Union die Italiener auf den Kosten sitzen, sodass die Aktion nach nur einem Jahr auslief.

Mit der deutlich weitmaschigeren Hilfsaktion „Triton“ unter EU-Regie nimmt Europa den Tod zahlloser Menschen nun wieder billigend in Kauf. Spanien schickt sich an, seine illegale Praxis zu legitimieren, an den hoch umzäunten Afrika-Exklaven Ceuta und Melilla Flüchtlinge kurzerhand zurückzuschicken. Griechenland hingegen erpresst im Finanzstreit die Deutschen mit der Drohung, ihnen seine Flüchtlinge zu schicken. Krasser kann Europa seine Werte nicht verraten.

Solange die Welt noch so ist, wie sie ist, muss sich Europa schon aus humanitären Gründen um jene kümmern, die ihr Heil in der Flucht sehen. In Deutschland mühen sich Bürger, Kirchengemeinden und Wohlfahrtsverbände in vielen Fällen beispielhaft um jene, die es bis hierher schaffen.

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