Franziskus schafft Entscheidungsraum

von Martin Schuck

Martin Schuck

Katholische Bischöfe üben mit dem Papst gemeinsam das Lehramt in der Kirche aus. Da dem Papst der Lehrprimat zusteht, dürfen die Bischöfe bei der Auslegung der Grenzen des Erlaubten nicht über das hinausgehen, was der Papst gerade noch als möglich anerkennt. Das war in der Frage nach der Zulassung wiederverheirateter Geschiedener nie ein Problem, denn die früheren Päpste lehrten, dass diese Menschen, auch wenn sie sich als treue Glieder der katholischen Kirche verstehen, in einer „irregulären Situation“ lebten und damit vom Empfang der Eucharistie ausgeschlossen seien.

Mit der Veröffentlichung des Nachsynodalen Apostolischen Schreibens „Amoris laetitia“ hat sich dieses klare Verhältnis umgedreht. Jetzt ist es plötzlich Papst Franziskus, der „in gewissen Fällen“ wiederverheiratete Geschiedene zur Eucharistie zulassen will. Obwohl er sich der Eindeutigkeit des Rechtsgrundsatzes bewusst ist, schreibt er von „mildernden Bedingungen und Umständen“, die es nicht mehr erlaubten zu urteilen, dass alle, die in einer „irregulären“ Situation lebten, „sich in einem Zustand der Todsünde befinden und die heiligmachende Gnade verloren haben“.

Die deutschen Bischöfe haben reagiert und ein Schreiben vorgelegt, in dem sie Regeln für den Umgang mit den neuen Möglichkeiten des Kirchenrechts geben. Der entscheidende Satz im Schreiben der Bischöfe lautet, dass „Amoris laetitia“ „von einem Prozess der Entscheidungsfindung“ ausgehe, „der von einem Seelsorger begleitet wird“. Damit ist als Regel vorgegeben, dass es keinen Automatismus der Zulassung zur Kommunion gibt. Der Seelsorger, gemeint ist im Regelfall der Priester, soll den individuellen Fall betrachten und danach entscheiden, ob eine Zulassung zur Eucharistie der richtige Weg ist, jemandem, der „objektiv irregulär“ lebt, „subjektiv aber nicht oder zumindest nicht völlig schuldhaft ist“, die Zugehörigkeit zur Kirche zuzusprechen.

Eine wichtige Kategorie zur Beurteilung des Einzelfalls ist den Bischöfen die Schuld, die jemand beim Scheitern einer Ehe auf sich geladen hat. Damit wird deutlich, dass das Kirchenrecht in dieser Frage niemals der Logik des deutschen Zivilrechts folgen kann, das die Schuldfrage bewusst ausklammert. Von daher merkt man der Argumentation der Bischöfe regelrecht an, dass die Annullierung einer Ehe für sie der bessere, weil kirchenrechtlich klarere Weg ist. So ist die Ermutigung zu verstehen an „alle, die begründete Zweifel“ am gültigen Zustandekommen ihrer Ehe haben, die kirchlichen Ehegerichte in Anspruch zu nehmen. Auch nach dem Schreiben der deutschen Bischöfe besteht deshalb die paradoxe Situation fort, dass der Papst das Kirchenrecht öffnet, die Bischöfe der Sache aber nicht so recht zu trauen scheinen. Wer weiß, vielleicht wird ja mit dem nächsten Papst das Rad wieder in die entgegengesetzte Richtung gedreht. Es wäre nicht das erste Mal.

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