Evangelikale feiern Trumps unsoziale Politik

von Wolfgang Weissgerber

Wolfgang Weissgerber

Liberal ist in konservativen Kreisen der USA ein Schimpfwort. Es bezeichnet aber nicht etwa freidemokratische Marktfetischisten, sondern verbohrte Linke. Die sind für Abtreibung und für Bürgerrechte, gegen zügellosen Waffenbesitz und gegen die Todesstrafe, sie befürworten eine Krankenversicherung für alle und den freien Handel. Sie sorgen sich um die Umwelt und um arme Leute. Rassismus und Homophobie sind ihnen zuwider. Sie sind also eigentlich fast schon Kommunisten. Oder Angehörige der großen evangelischen Kirchen der USA, der Lutheraner, Presbyterianer oder Methodisten. Auch die United Church of Christ, die partnerschaftliche Beziehungen zu evangelischen Kirchen in Deutschland unterhält, gehört zu diesen sogenannten Mainline-Kirchen. Prominente Mitglieder sind beispielsweise Barack und Michelle Obama, die TV-Moderatorin Oprah Winfrey und der Milliardär Bill Gates.

Seit der Wahl von Donald Trump zum 45. US-Präsidenten weht ihnen der Wind ins Gesicht. Sie sind der komplette Gegenentwurf zu dessen großspurigen, rassistischen und sexistischen Äußerungen. Bei seiner ­Amtseinführung fehlten die Mainline-Churches vollkommen, obwohl Trump selbst einer presbyterianischen Kirche angehört. Evangelikale Theologen dominierten die Gestaltung der Feier. Trump steht denn auch für eine sehr spezielle Art des Christentums. Reichtum und Erfolg sind für ihn – und die evangelikalen Kirchen, die sich ihm verbunden fühlen – der Ausweis von Gottes Gunst. Wer arm ist und arbeitslos, den, nun ja, liebt Gott eben nicht. Er wird seine Gründe haben. Selber schuld.

Das in der US-Verfassung festgeschriebene Prinzip, wonach jeder Amerikaner das Recht hat, sein persönliches Glück zu machen („pursuit of Happyness“), steht dem europäischen und vor allem dem deutschen Sozialstaatsgedanken diametral entgegen. Trump und einige evangelikale Bewegungen in den USA predigen es in Reinkultur. Jeder muss selbst sehen, wie er zurechtkommt.

In Deutschland beäugen die verfassten Kirchen daher die künftige Politik Trumps eher skeptisch. Die evangelikale Bewegung hingegen jubelt. Ihr Sprachrohr „idea“ freut sich über „die neue Bedeutungslosigkeit der liberalen Traditionskirchen in den USA“.

Ob es christlich ist, das Land mit einer Mauer gegen Mexiko abzuschotten und Muslimen die Einreise zu verweigern, stellt das Organ der Evangelischen Allianz hingegen nicht infrage. Aber bei der Amtseinführung wurde „bibeltreu“ gebetet. Halleluja! „Soziale Kälte“ ist ein ziemlich abgegriffenes Schlagwort. Doch der von Trump angestrebte radikale Kurswechsel steht genau dafür. Es muss den liberalen Traditionskirchen wie Hohn in den Ohren klingen, wenn ihre theologisch wie politisch konservativen Glaubensbrüder von den evangelikalen Bewegungen solch eine Politik auch noch als gottgefällig preisen.

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