So wenig Aufbruch war nie in der Ökumene

von Martin Schuck

Martin Schuck

Als Mitte der 1970er Jahre in Neckargemünd, Würzburg-Lengfeld und Frankenthal-Pilgerpfad die ersten ökumenischen Gemeindezentren entstanden, war der Aufbruch, den das Zweite Vatikanische Konzil (1962 bis 1965) brachte, mit Händen zu greifen. Vielerorts wagten evangelische und katholische Gemeinden vorsichtige Schritte zu mehr Gemeinschaft. Die katholischen Bischöfe hatten Empfehlungen gegeben zur Umsetzung der Konzilsbeschlüsse, und die evangelischen Landeskirchen waren durch die Arbeit des Weltkirchenrats und der Leuenberger Lehrgespräche zumindest im Blick auf die Überwindung der innerprotestantischen Gegensätze längst ökumeneerprobt. Was lag also näher, als eine engere Gemeinschaft zwischen den evangelischen und katholischen Gemeinden zu erproben?

Die Pfarrer, Presbyterien und Pfarrgemeinderäte der ökumenischen Zent­ren leisteten echte Pionierarbeit. In neu entstandenen Wohnsiedlungen, wo keine alteingesessenen Gemeindestrukturen vorhanden waren, wollte man alles gemeinsam machen, was nicht unbedingt getrennt gemacht werden musste. Die Gottesdienste am Sonntagvormittag bildeten zwar eine Grenze, aber in der Euphorie des Anfangs wurde diese Grenze auch mal überschritten – man sagt, sogar mit stillschweigender Duldung durch den zuständigen katholischen Bischof.

Mit dem Beginn des Pontifikats von Johannes Paul II. ab 1978 begann sich der Wind zu drehen. Spätestens mit dem Amtsantritt des deutschen Theologen Joseph Ratzinger als Präfekt der römischen Glaubenskongregation 1981 begann eine konservative Interpretation des Konzils, und darunter hatte in erster Linie die Ökumene zu leiden. Die Verbotszäune wurden wieder höher gezogen, und besonders die gottesdienstliche Gemeinschaft litt unter der fehlenden Perspektive für ein gemeinsames Abendmahl. Aber noch versuchten viele, durch Agapefeiern und Taizé-Andachten gottesdienstliche Gemeinschaft unterhalb der Verbotsgrenze zu praktizieren.

Heute sind die meisten ökumenischen Zentren normale kirchliche Orte, die allenfalls auf eine außergewöhnliche Geschichte zurückblicken können. Vorreiter sind sie nur noch für die anstehenden Einsparungen in den Haushalten, die es nahelegen, sich von überflüssigen Gebäuden zu trennen. Die ökumenischen Zentren finden ihre neue Rolle darin, Zeugnis zu geben von der Möglichkeit, dass sich zwei Kirchengemeinden ein Gemeindezentrum teilen können. Vorbilder für eine Ökumene des Sparzwangs zu sein, ist aber ein ziemlich unrühmliches Ende für Einrichtungen, die einmal einen Aufbruch symbolisieren wollten. Aber vielleicht ist das die einzige Begründung, die den Kirchen für die Ökumene noch geblieben ist: Angesichts der immer kleiner werdenden Zahl der Christen ist es doch nur vernünftig, langfristig organisatorisch zusammenzugehen. So wenig Aufbruch war nie in der Ökumene.

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