Öffentliche Buße ist Aufgabe aller Christen

von Martin Schuck

Martin Schuck

In der ersten seiner 95 Thesen über Ablass und Gnade betonte Martin Luther, das gesamte Leben des Glaubenden solle Buße sein. Ein solcher Satz kann jedoch im gläubigen Menschen nur dann wirklich werden, wenn Buße in einem weiteren Sinn verstanden wird, als es damals und weithin auch noch heute üblich ist. Buße wird von Luther nicht mehr als sakramentaler Akt verstanden, dessen Vollzug und Wirksamkeit im Kirchenrecht geregelt ist, sondern als eine grundsätzliche Haltung des Christen Gott gegenüber.

Verlangt wird von Luther nicht weniger als die tagtägliche Selbsterkenntnis, Gottes Ansprüchen durch eigenes Handeln nicht gerecht werden zu können und auf dessen vergebende Gnade angewiesen zu sein. Buße als Grundhaltung des gläubigen Lebens ist somit die Antwort des Menschen auf das Wissen, dass er gleichzeitig ein Gerechter und ein Sünder ist.

In der Theorie ist also alles ganz einfach, aber im Alltag wird auch ein tiefgläubiger Christ Probleme haben, sein Leben in einer permanenten Haltung der Buße zu gestalten. Der Weg über fromme Leistungen ist jedenfalls dem evangelischen Christen seit Luthers Kritik am Ablass abgeschnitten. Aus der Sicht katholischer Theologie hat der Ablass, der auch im aktuellen katholischen Kirchenrecht noch Teil des Bußsakraments ist, eine klar geregelte Funktion: Er soll Gewissheit schaffen, dass durch Leistungen der Buße ein „Nachlass zeitlicher Strafen vor Gott für Sünden, deren Schuld schon getilgt ist“, erreicht werden kann. Evangelische Theologie kann diese Sicherheit nicht vermitteln, sondern nur darauf vertrauen, dass Gott die Gebete der Gläubigen erhört.

Damit aber ist die Buße in den Bereich des Gottesdienstes verlegt und zu einem gemeinsamen Anliegen der versammelten Gemeinde geworden. Deshalb ist es nur konsequent, dass die Evangelischen schon früh Buß- und Bettage einführten, in deren Mittelpunkt ein Bußgottesdienst der Gemeinde stand. Diese öffentlichen Bußgottesdienste konnten natürlich niemals das persönliche Gebet mit der Bitte um Vergebung der Sünden ersetzen. Aber sie haben über lange Zeit ein Bewusstsein dafür erhalten, dass die Bitte um Vergebung der Sünden auch ein öffentliches Anliegen ist, weil Gesellschaften und Staaten immer wieder in die Irre gehen können. Die Geschichte bietet viele Beispiele dafür.

Öffentliche Buße ist sicherlich nicht auf einen gesetzlichen Feiertag angewiesen. Aber die Zustimmung der Evangelischen Kirche in Deutschland und fast aller Landeskirchen zur Abschaffung des Buß- und Bettages vor gut 20 Jahren legt einen Verdacht nahe: Wenn die Preisgabe eines Feiertages damit begründet wird, dass das an diesem Tag zusätzlich erwirtschaftete Geld der Finanzierung einer Pflegeversicherung zugute kommen soll, dann betrachten die Kirchen die Sozialpolitik für wichtiger als ihre ureigensten geistlichen Aufgaben. Eigentlich eine Art evangelischer Ablasshandel.

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