Ein Armutszeugnis: Keine Zeit für Kinder

von Stefan Mendling

Stefan Mendling

Die Kinderarmut nimmt zu, sagt die Bertelsmann-Stiftung. In Rheinland-Pfalz lebten 11,5 Prozent der Minderjährigen von der Grundsicherung, auch Hartz IV genannt. Das sind 0,8 Prozentpunkte mehr als vor fünf Jahren. Kein Wunder, dass diese Nachricht niemanden wirklich beunruhigt. Es sind ja auch viele „Migrantenkinder“ dazugekommen, und außerdem wurden die Regelsätze kürzlich wieder erhöht; auch das Kindergeld wurde um zwei Euro aufgestockt. Das ist immerhin ein Eis mehr pro Monat. Wobei das für das zuständige Bundesamt bereits zum Luxus zählt und so in der Bedarfsberechnung nicht berücksichtigt wurde – wie auch Zimmerpflanzen, Malstifte oder der Weihnachtsbaum. Das alles soll sich eine Familie, die von der Grundsicherung lebt, am besten nicht leisten.

Rheinland-Pfalz bietet aber allen Kindern einen kostenlosen Kindergartenplatz an. Dort kann das Kind mit Luxusgütern wie Malstiften und Zimmerpflanzen in Kontakt kommen. Auch die Schulen versuchen, in die Bresche zu springen und sorgen dafür, dass die Kinder morgens frühstücken, zwischendurch mit Obst versorgt und nachmittags betreut werden. Die Lehrerschaft beklagt indessen, dass den Kindern die Erziehung fehle und sie zunehmend nicht nur bilden, sondern auch noch erziehen müssten.

Doch dafür bleibt der Familie immer weniger Gelegenheit: Die Kinder werden meist schon bevor sie sprechen können in einer Krippe betreut; bis die Kinder ihre Kindergarten- und Schullaufbahn beendet haben, werden sie mehr Zeit in Klassensälen und Gruppenräumen verbracht haben als zu Hause in ihrer eigenen Familie.

Die Kinder leiden deshalb nicht nur an finanzieller Armut, sondern daran, dass ihre Familien immer weniger Zeit mit ihnen verbringen. Es ist eine Armut auf der Beziehungsebene. Wenn die liebevollen Beziehungen verloren gehen, weil die Familie nicht mehr als unverrückbare Konstante von bedingungsloser Liebe wahrgenommen wird, sondern als Intermezzo zwischen Fremdbetreuungsangeboten, dann ist das nicht kindgerecht.

„Lasst die Kinder zu mir kommen“, hat Jesus gesagt, „ihnen gehört das Himmelreich.“ So reich sind die Kinder offensichtlich! Denn Kinder haben eine Eigenschaft, die Erwachsene verloren haben: Sie sind hungrig nach Liebe und Aufmerksamkeit; sie saugen das, was man ihnen an Wertschätzung entgegenbringt, auf wie ein Schwamm. Darum sind sie besonders offen für die Liebe Gottes – aber auch besonders bedürftig nach Liebe.

Es muss daher vor allem darum gehen, Familien mehr Möglichkeiten zu bieten, Zeit mit ihren Kindern zu verbringen: nicht mehr Betreuungsangebote für Kinder, sondern mehr Entlastung für Familien! Ein Eis, das nicht gegessen wurde, ist schnell verschmerzt. Ein Bild, das nicht gemalt wurde, bald vergessen. Aber ein Kind, das nicht spürt, dass es geliebt wird, ist ein Armutszeugnis.

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