Der aktive und der kontemplative Papst

von Martin Schuck

Martin Schuck

Als Papst Benedikt XVI. am 11. Februar 2013 seinen Rücktritt erklärte, entstand unter Kirchenrechtlern eine Unklarheit über die Rolle des sich nun „Papst Emeritus“ nennenden Kirchenoberhaupts. Als dann sein Nachfolger Franziskus mit seiner unkonventionellen Art das Papstamt neu zu erfinden schien, trat die anfängliche Sorge schnell in den Hintergrund – zumal sich Benedikt XVI. tatsächlich aus der Amtsführung seines Nachfolgers heraushielt. Allerdings lassen sich rechtliche Unklarheiten nicht ewig in der Schwebe halten, und es bedurfte nur eines geringen Anstoßes, um der alten Frage neue Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.

Auslöser war eine Äußerung von Georg Gänswein, dem persönlichen Sekretär Benedikts, bei der Präsentation eines Buches über das Pontifikat Benedikts XVI. im vergangenen Juni. Gänswein sprach von einem „erweiterten Papstamt“, das nun von zwei Päpsten, einem aktiven und einem kontemplativen ausgeübt werde. Benedikt, so Gänswein, habe das Papstamt nicht verlassen, sondern weiterentwickelt. Er habe „das personale Amt ergänzt um eine kollegiale und synodale Dimension“.

Eine solche Aussage überrascht schon deshalb, weil in dreieinhalb Jahren unter Franziskus wenig von kollegialer Beratung mit Benedikt zu hören war. Tatsächlich hat sich Benedikt, der nach wie vor das weiße Papstgewand trägt, das Wappen mit den Petrusschlüsseln führt und sich als Heiliger Vater anreden lässt, nie kritisch über seinen Nachfolger geäußert. Allerdings gibt es Anzeichen dafür, dass der Theologe Ratzinger mit dem manchmal nicht eindeutigen Umgang des ehemaligen argentinischen Erzbischofs mit dem Kirchenrecht nicht zufrieden ist. So korrigierte Benedikt für die Veröffentlichung seiner „Gesammelten Schriften“ einen Aufsatz von 1972. Damals gehörte der in Tübingen lehrende Ratzinger zu den eher liberal eingestellten Theologen und vertrat die Position, dass unter bestimmten Umständen eine zweite Ehe von Geschiedenen anerkannt werden könnte. Dieser Überlegung erteilte er bei der Wiederveröffentlichung seines Aufsatzes eine klare Absage.

Die Absage erfolgte unmittelbar nach der ersten Bischofssynode über die Familie, in der Franziskus durchblicken ließ, dass er sich eine Liberalisierung im Falle der Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zum Abendmahl vorstellen könne. Tatsächlich lassen sich Aussagen von Franziskus in dem Schreiben „Amoris laetitia“ vom vergangenen März, das die Ergebnisse der beiden Bischofssynoden zusammenfasst, als Öffnung in diese Richtung interpretieren. Seither mehren sich die Stimmen von Kirchenrechtlern, die im Lehramt von Franziskus die Zweideutigkeit regieren sehen. Mit der Vorstellung eines kontemplativen Papstes wird nun denjenigen eine Hintertür offengehalten, die im aktiven Papst nicht das authentische Lehramt verkörpert sehen.

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