Paulus war nicht auf Urlaubsreisen

von Martin Schuck

Martin Schuck

Auch in diesem Jahr ist der Mittelmeerraum Ziel vieler Millionen Urlauber, die dort Erholung suchen und unbeschwert Urlaub machen wollen. Allerdings verlagern sich die Ziele verstärkt in den westlichen Teil, da der östliche Mittelmeerraum wegen des syrischen Bürgerkriegs, der Terroranschläge in der Türkei und der anhaltenden Tragödien um sinkende Flüchtlingsboote als „unsicher“ gilt.

Unsicher und konfliktreich ging es im östlichen Mittelmeer schon immer zu. Aber gerade dort, wo die europäische Kultur ihren Ausgang genommen hat, droht das moderne Europa an seiner Unfähigkeit, gemeinsam Konflikte zu lösen, zugrunde zu gehen. Im Blick auf den politischen Handel mit der Türkei verliert Europa seine moralischen Maßstäbe aus den Augen, wenn das dortige Regime benutzt wird, um unliebsame Flüchtlinge aufzuhalten und die Bevölkerung an der Küste wegen der ausbleibenden Touristen die Zeche zahlen muss.

Die Missionsreisen des Paulus, von denen das Neue Testament berichtet, waren weder antike Urlaubsreisen noch sind sie mit modernen Flucht­geschichten zu vergleichen. Sie haben jedoch eine Verbindung geschaffen, die heute abzubrechen droht: die ­kulturelle Verbindung zwischen Europa und dem Vorderen Orient. Ausgangspunkt der zweiten Missionsreise des Paulus war das syrische ­Antiochia, das heute Antakya heißt und seit einer Volksabstimmung im Jahr 1939 zur Türkei gehört.

Allein dieser Ort besitzt schon einen hohen Symbolwert. Nicht nur, weil dort erstmals der Begriff Christen als Bezeichnung für die Nachfolger Jesu gebraucht wurde, sondern auch, weil dort eines der fünf altkirchlichen Patriarchate entstanden ist, auf das sich unterschiedliche orthodoxe und altorientalische Kirchen berufen. Alle diese syrischen Kirchen leiden aufgrund der aktuellen Konflikte mit dem Islam unter Verfolgung und sind in ihrer Existenz bedroht.

Obwohl das Römische Reich zur Zeit der paulinischen Missionsreisen den Mittelmeerraum zu einem einheitlichen Herrschaftsgebiet geformt hatte, schuf nicht die römische Verwaltung, sondern erst das aus dem Orient durch die paulinische Mission importierte Christentum eine europäisch-abendländische Identität. Diese Identität war zu allen Zeiten angefochten und brüchig, und während die Räume nördlich des Mittelmeers noch christianisiert wurden, breitete sich an der Südküste des Mittelmeers der Islam aus, der jahrhundertelang von der Iberischen Halbinsel und Sizilien aus auch Europa mitprägte. Sowohl die Kulturen Spaniens als auch Siziliens sind ohne den Islam nicht zu verstehen.

Vielleicht könnte dieser Teil der Geschichte des Mittelmeerraums den Stoff liefern für eine gemeinsame Utopie aller angrenzender Regionen: die religiöse und kulturelle Differenz als einen hohen Wert zu schätzen, weil man letztlich dieser Differenz die eigene Identität verdankt.

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