Die Kirchen sind auch kein Modell für Europa

von Martin Vorländer

Martin Vorländer

Europa steckt in einer Sinnkrise und muss seine Seele neu finden. In Sachen Seele und Sinn könnten die Kirchen viele Erfahrungen beisteuern. Seit Langem erproben die Kirchen in der Ökumene den Leitgedanken „Einheit in Vielfalt“, der die Gemeinsamkeiten hervorhebt, ohne die Unterschiede unter den Teppich zu kehren. Das könnte ein Modell für Europa sein. Jedoch: Die Christen tun sich selber schwer mit der Einheit. Auch sie ergehen sich lieber in kleinlichem Gezänk und Machtspielen, statt gemeinsam ihren Glauben an Christus zu bezeugen und entsprechend zu handeln. Jüngstes Beispiel für innerchristliche Zwietracht ist das „Panorthodoxe Konzil“, das eine Woche lang auf Kreta getagt hat und am vergangenen Sonntag zu Ende ging.

Es hätte groß werden können. Ein schönes Bild und starkes Zeichen für Verständigung über Ländergrenzen hinweg. Die Oberhäupter aus 14 orthodoxen Kirchen treffen sich und legen alte Streitigkeiten bei. Orthodoxe aus Australien und Bulgarien, Griechenland und Georgien, aus dem alten Konstantinopel und Moskau beraten darüber, was ihre Aufgabe im 21. Jahrhundert ist. Angekündigt jedenfalls war die „Panorthodoxe Heilige und Große Synode“ als kirchenhistorische Sensation. Das bislang letzte Konzil dieser Art fand im Jahr 787 statt. Das Treffen auf Kreta wurde seit mehr als 50 Jahren vorbereitet, doch kurz vor der Zielgeraden krachte es. 19 Tage vor Beginn sagte die orthodoxe Kirche von Bulgarien ab. Ihre Anliegen seien in den Beschlussvorlagen nicht ausreichend berücksichtigt. Als ob sie das nicht schon früher hätte bemerken können. In den Absagereigen reihten sich die Patriarchen von Georgien, Antiochien und schließlich Moskau ein. Offiziell beteuern alle Seiten, dies sei kein Zeichen der Spaltung. Man bete füreinander. Freilich nicht miteinander. So sieht Exit auf orthodox aus.

Hinter den Kulissen geht es zwischen den Patriarchen von Moskau und Konstantinopel weniger um Theologie denn um Macht: Wer hat in der Orthodoxie das Sagen? Russland stellt einen Großteil aller gut 270 Millionen orthodoxen Christen weltweit. Von „panorthodox“, also „all-orthodox“, konnte deshalb bei dem Konzil keine Rede mehr sein. Es fand trotzdem statt. Formal gelten seine Beschlüsse für alle, denn es war ordnungsgemäß einberufen. In den Augen der vier Absager jedoch hat es nicht stattgefunden. Zurück bleibt der Eindruck: Männer mit langen Bärten, im Durchschnitt 59 Jahre und älter, die sich zanken. In ihrer Schlussbotschaft fordern sie Frieden für den ­Nahen Osten. Dialog sei wichtig – insbesondere der mit nicht-orthodoxen Christen. Vielleicht lassen Katholiken und Protestanten leichter mit sich reden als die eigenen orthodoxen Brüder. Glaubwürdig wird der Friedensappell der Kirchen erst, wenn sie selber lernen, wie man Streit überwindet und zur Einheit findet.

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