Jugend von heute will so sein wie alle anderen

von Klaus Koch

Klaus Koch

Bei manchen Begriffen entstehen Bilder im Kopf. Ist von muslimischen Jugendlichen die Rede, denken viele Deutsche an Gruppen aggressiver Jungs, die merkwürdig reden und „Ich mach’ dich Krankenhaus“ sagen, wenn sie Schläge androhen. Diese Jugendlichen, so ist immer wieder zu hören, drohen in Parallelgesellschaften abzudriften und sind sogar anfällig für Terrorwerber. Solche Jugendliche gibt es natürlich. Doch sie sind eine verschwindend geringe Minderheit. Die große Mehrheit muslimischer Jugendlicher in Deutschland ist genauso wie die deutsche Jugend: weitgehend angepasst, friedlich und tolerant. Das jedenfalls hat die neueste Sinus-Studie über die Lebenswelten der Jugendlichen in Deutschland ergeben.

Seit vielen Jahrzehnten wollte keine Jugend mehr so sehr Teil der Mehrheitsgesellschaft sein wie die heutige. Und nach Meinung der Jugendlichen ist es Teil dieses Mainstreams, die religiöse und kulturelle Vielfalt in der modernen Gesellschaft zu akzeptieren. Speziell die befragten muslimischen Jugendlichen lehnen einen radikalen Islamismus und Gewalt ab. Der Studie zufolge wollen die heutigen Jugendlichen die Welt nicht aus den Angeln heben, sie haben nichts mit Revolution oder wenigstens Revolte am Hut. Nein, sie wollen einen auskömmlichen Beruf und ein gutes Leben mit Häuschen, Familie und Auto. Gerne darf es ihnen ein bisschen besser gehen als den Eltern, aber sehr viel besser muss es auch nicht sein.

Nun ist es natürlich erfreulich, dass es der Jugend in dieser Gesellschaft gefällt, dass sie dazugehören wollen und in der Mehrheit strebsam danach trachten, gut zu leben und mit ihrer Umgebung einvernehmlich auszukommen. Aber ein bisschen ratlos macht der Sinus-Befund schon auch. So toll sind die herrschenden Verhältnisse denn doch nicht, dass alles so bleiben könnte, wie es ist. Gerade die Jugend hat in der Vergangenheit durch Widerständigkeit und lautstarken Protest immer wieder dafür gesorgt, dass verkrustete Strukturen und verkrustetes Denken aufgebrochen wurden. Dieser gesellschaftliche Schub kommt von der derzeitigen jungen Generation ­ offenbar nicht.

Doch in einem unterscheiden sich die heutigen Jugendlichen nicht von ihren Vorgängergenerationen: Sie sind auf der Suche nach Sinn und nach verbindlichen Werten für ihr Leben. Sie sind, so sagte es einer der Autoren der Studie, religiöse Touristen. Sie suchen sich aus der Vielfalt der spirituellen Angebote etwas aus und basteln daraus ihren persönlichen Glauben. Für die christlichen Kirchen ist das zunächst eine Chance. Wenn es ihnen gelingt, im Alltag der Jugendlichen präsent zu sein, können sie darauf hoffen, dass ihren Antworten auf Werte- und Sinnfragen Interesse entgegengebracht wird. Allerdings dürfen sie sich dabei wohl nicht der Illusion hingeben, dass aus diesen Kontakten rasch eine feste Bindung an die Institution und ihre Strukturen wird.

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