Entwicklungspolitik entdeckt die Religion

von Wolfgang Weissgerber

Wolfgang Weissgerber

Die deutsche Entwicklungspolitik entdeckt das Thema Religion. Das ist nicht nur eine weitere von zahlreichen Volten, sondern ein grundlegender Paradigmenwechsel. Vor allem aber ist es höchste Zeit. Denn die Zusammenarbeit mit lokalen Akteuren – auch mit den Religionsgemeinschaften – ist eigentlich selbstverständlich.

Unterstützung für arme Länder war eine der Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg, griff aber zunächst nur zögerlich Platz. Die Geburtsstunde der klassischen Entwicklungshilfe schlug 1961 mit der Gründung der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Umstritten war die Entwicklungshilfe des Westens an die sogenannte Dritte Welt von Anfang an. Den einen galt sie als reine Verschwendung, andere kritisierten sie als Ausfluss des schlechten Gewissens der einstigen Kolonialmächte, Nichtregierungsorganisationen war sie stets zu niedrig. Vom bereits 1970 international vereinbarten Ziel, dafür 0,7 Prozent ihres Bruttosozialprodukts auszugeben, sind die meisten Länder noch immer weit entfernt, auch Deutschland.

Tatsächlich sind in der Entwicklungshilfe über Jahrzehnte Unsummen sinnfrei verbrannt worden. Sie flossen in wirkungslose Projekte, landeten in den Taschen von Potentaten oder dienten verdeckter Exportförderung. Zugleich hat die Entwicklungshilfe auch unglaublich viel Segensreiches bewirkt. Jedenfalls immer dann, wenn das Geld nicht zweckfrei in den Staatshaushalt der Nehmerländer fließt, sondern gezielt investiert wird.

Neben staatlichen Stellen sind es in Deutschland vor allem die Kirchen mit ihren Entwicklungsorganisationen und viele weitere Gruppen, die sich vor Ort engagieren. Sie haben die regionalen Akteure immer mit einbezogen. Schön, dass auch der Staat das jetzt kapiert hat. Überraschend ist zudem, dass mit Gerd Müller zum zweiten Mal ausgerechnet ein Minister der bayerischen Regionalpartei CSU eine Kehrtwende in der Entwicklungspolitik herbeiführt. 1991 hatte Carl-Dieter Spranger das Ressort übernommen und schlimmste Befürchtungen ausgelöst. Er galt als rechter Wadenbeißer und schien frei von Fachkenntnis.

Die Empörung war groß, als der neue Minister ankündigte, die Vergabe von Mitteln künftig an fünf Bedingungen zu knüpfen: Beachtung der Menschenrechte, Beteiligung der Bevölkerung am politischen Prozess, Rechtssicherheit, marktfreundliche Wirtschaftsordnung und eigene Entwicklungsanstrengungen im Interesse der Bevölkerung. Das war natürlich eine Bevormundung der Entwicklungsländer und eine Einmischung in deren innere Angelegenheiten. Doch es musste sein. Seitdem sind diese Vergabekriterien Standard in Deutschland und der gesamten westlichen Welt. Mehr noch: Es wirkt geradezu unglaublich, dass sie es nicht schon immer waren. Über die Zusammenarbeit mit den Religionsgemeinschaften vor Ort wird man bald genauso denken.

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