Fremdenhass und die deutsche Vergangenheit

von Wolfgang Weissgerber

Wolfgang Weissgerber

Die Täter sterben aus. Mehr als 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs sind die wenigen verbliebenen Henker und Folterknechte der Nazis allesamt Greise. Zumindest die Justiz wird bald einen Schlussstrich ziehen. Es gibt dann niemanden mehr, den man vor Gericht stellen könnte. Doch nicht nur die Täter, auch die Zeitzeugen werden immer weniger. Bald ist kein Überlebender des Grauens mehr da, der noch der Jugend von heute schildern könnte, wie die Nazis Abermillionen Menschen systematisch vernichteten. Dann muss die Erinnerung anderweitig wachgehalten, das Wissen um die Schrecken aus zweiter Hand weitergereicht werden. Wie Deutschland sich der dunklen Seiten seiner Vergangenheit gestellt hat und weiterhin stellt, ist weitestgehend beispielhaft. Doch 100-prozentig funktioniert hat es dennoch nicht, sonst fänden rechte Parolen nicht neuerdings wieder so große Zustimmung. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass die Beschäftigung mit der Vergangenheit eine niemals endende Aufgabe bleibt, dann ist es der wieder auflebende Fremdenhass.

70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieg ist den Holocaust-Pädagogen dazu wie eine reife Frucht eine irritierende Errungenschaft in den Schoß gefallen: Adolf Hitlers „Mein Kampf“. Urheberrechte erlöschen nach 70 Jahren, Hitler brachte sich am 30. April 1945 um, die Rechte an seiner programmatischen Hetzschrift, bislang beim Freistaat Bayern, sind nunmehr frei. Das Institut für Zeitgeschichte hat eine kommentierte Ausgabe herausgebracht. Sie gehört in jede Schule. Denn gerade die Schulen werden in den kommenden Jahren mehr als genug zu tun haben. Sie müssen nicht nur junge Deutsche mit der offenen, pluralen Gesellschaft und deren Werten, mit Gleichberechtigung, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit vertraut machen, sondern auch eine wachsende Zahl junger Menschen aus anderen Kulturen.

Auch Erwachsene, die derzeit vor allem aus Syrien in großer Zahl ins Land kommen und weiterhin willkommen sind, bringen in dieser Hinsicht eine schwere Hypothek mit. Der Hass auf Israel und die Juden ist dort Staatsdoktrin und wurde in den Schulen in die Hirne gehämmert. Auch viele andere muslimische Einwanderer sind offen antisemitisch. Manche deutsche Juden, die auch sonst gern und ohne eigenes Zutun für die Politik Israels haftbar gemacht werden, beschleicht da zu Recht ein mulmiges Gefühl. Die aus Israel stammende Darmstädter Klarinettistin Irith Gab­riely hat vor ein paar Tagen vorgemacht, wie es anders geht. Gemeinsam mit einem christlichen Organisten spielte die jüdische Musikerin in einem Flüchtlingslager vor Muslimen. Ein Afghane hatte plötzlich ein Saiteninstrument in der Hand und spielte mit. Und machte damit deutlich, dass konfessionelle Unterschiede und religiöse Gegensätze in einer offenen Gesellschaft kein Widerspruch sind.

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