Was Jan Hus von Luther unterscheidet

von Martin Schuck

Martin Schuck

Der böhmische Kirchenreformer Jan Hus, der vor 600 Jahren auf dem Konzil von Konstanz auf dem Scheiterhaufen vebrannt wurde, wird heute noch in Tschechien als Nationalheld verehrt. Wie 100 Jahre später Martin Luther verurteilte auch Jan Hus den Ablasshandel, und auch Hus hielt Gottesdienste in der Landessprache, stellte das Wort der Bibel über den Papst und teilte beim Abendmahl den Kelch an die Gemeinde aus. Das sind wichtige Gemeinsamkeiten. Der Unterschied scheint darin zu bestehen, dass Luther dank des Einsatzes seines Landesherrn den Wormser Reichstag überlebte, während Hus von seinem vermeintlichen Gönner König Sigismund für den Erfolg des Konzils geopfert wurde.

Bei genauer Betrachtung gibt es aber zwischen Luther und Hus noch einen Unterschied, der entscheidend dafür ist, warum sich die lutherische Reformation durchsetzen konnte und die des Jan Hus ein Jahrhundert zuvor nicht. Sicher liegt es an einer für Luther günstigen politischen Konstellation: Der Kaiser war weit weg in Spanien und betrachtete andere Aufgaben als vordringlicher. Auch der Papst bemerkte erst spät, wie gefährlich die lutherische Lehre für ihn und seine Kirche war.

Aber diese zufällige Konstellation kann nicht alles erklären. Wichtiger war der Umstand, dass Martin Luthers "reformatorische Entdeckung" der frei von Gott geschenkten Gnade nicht die Reform kirchlicher Missstände zum Ausgangspunkt hatte. Es war genau umgekehrt. Anders als Jan Hus konnte Luther zeigen, dass die Reform der kirchlichen Missstände eine notwendige Folge seiner theologischen Grundentscheidung ist.

Der Anfang des reformatorischen Werks Luthers ist die Frage nach dem gnädigen Gott, und erst die Antwort auf diese Frage gibt der Kritik am Ablasswesen einen Sinn. Wenn Jesus Christus den Menschen ein für allemal aus der Macht der Sünde befreit hat und Gottes Gnade unverdient, also ohne fromme Werke, dem Gläubigen zugeeignet wird, verliert nicht nur das Ablasswesen seinen Sinn, sondern jede Form von frommen Werken. Diese Vorordnung der Theologie vor die Kirchenkritik machte Martin Luther für seine Gegner unangreifbar, denn diese mussten ihn mit Argumenten der Schrift widerlegen.

Luther fand einen theologisch begründeten Weg, dem Papsttum als der geistigen Großmacht seiner Zeit die Stirn zu bieten, indem er die Unvertretbarkeit des Einzelnen vor Gott zum Programm seiner Theologie erhob. Und in der Logik dieser Grundentscheidung fühlte er sich in der Lage, notfalls alleine gegen den Rest der Christenheit auf einer als richtig erkannten Sache zu verharren. Das ist nicht, wie ihm auf dem Wormser Reichstag vorgeworfen wurde, ein Akt der Sturheit oder Größenwahns, sondern liegt in der Sache selbst begründet, was seine Gegner aber damals nicht verstanden haben und teilweise noch heute missverstehen.

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