Wohlfühlatmosphäre und wenig politische Debatten

Kirchentag in Dortmund hat Impulse in Klimapolitik und für Seenotrettung gesetzt – Kritiker bezeichnen Protestantentreffen als „linksgrün“

Kirchentag: Szene aus dem Zuspruch zur Nacht mit Nachtsegen und Kerzenmeer auf dem Friedensplatz in Dortmund. Foto: epd

Gemeinschaftserlebnis: Kirchentagsbesucher beim Abschluss im Westfalenpark. Foto: epd

Über den Ausschluss der AfD von den Bühnen des evangelischen Kirchentags und über eine Veranstaltung mit dem Titel „Vulven malen“ wurde im Vorhinein wohl am lautesten debattiert – Kritiker nannten beides in einem Atemzug und sprachen dem Kirchentag deswegen seine Glaubwürdigkeit ab. Doch so einfach ist es nicht. Der 37. Deutsche Evangelische Kirchentag in Dortmund unter der Losung „Was für ein Vertrauen“ hat einige politische Impulse gesetzt. In der öffentlichen Wahrnehmung von außen hat die Diskussion um die AfD vieles überlagert, wofür der Kirchentag sonst noch steht. Der Ausschluss sei richtig gewesen, erklärte die Präses der gastgebenden westfälischen Landeskirche, Annette Kurschus, abschließend. Und der Dortmunder Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD) erklärte den Ausschluss kurzerhand zu einer „fürsorglichen Maßnahme“ für die Vertreter der AfD. Die hätten sich in Dortmund ohnehin nicht wohlgefühlt, sagte er. Dennoch ist die Frage berechtigt, ob die Diskussion darüber nicht zu viel Raum eingenommen hat.

Auch die FDP hatte vor Beginn moniert, faktisch nicht zum Kirchentag eingeladen worden zu sein und das „linksgrüne“ Programm kritisiert. Dem Kirchentag wird immer wieder der Vorwurf gemacht, er sei zu links und zu grün – und das nicht nur wegen der Farbe der Banner. Der Kirchentag wende sich keiner Partei ausdrücklich zu, er widme sich Themen mit gesellschaftlicher Relevanz, sagte Kirchentagspräsident Hans Leyendecker. Aber auch er räumte in seiner Bilanz ein: „Die Debatten hätten stärker geführt werden können.“ Kontroverse Veranstaltungen gab es tatsächlich kaum, bis auf ein Podium zu „neuem Konservatismus“ und ein Barcamp für Unzufriedene. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) überraschte mit einem unangekündigten Besuch bei der evangelischen Militärseelsorge und vermied damit Proteste christlicher Friedensgruppen, mit denen sie sonst hätte rechnen müssen. Das Thema Klimawandel durchzog den Kirchentag von Anfang bis Ende. Kaum ein Podiumsgast aus Politik oder Kirche – über alle Parteigrenzen hinweg – äußerte sich nicht dazu. Daran zeigt sich, dass der Kirchentag politische Wirkung entfaltet hat. Die nachdrückliche Forderung nach einem nationalen Klimaschutzgesetz wurde von der Politik nicht überhört. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) versprach, an der Klimaneutralität bis 2050 festzuhalten. Und auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) sagte, der Druck der Klimabewegung helfe der Politik, überfällige Entscheidungen zu treffen. Auch zur Seenotrettung im Mittelmeer sendete der Kirchentag politische Impulse. Der Bürgermeister von Palermo, Leoluca Orlando, war der heimliche Held des Kirchentags. Er kam kurzfristig nach Dortmund und wurde für seine Haltung zur Flüchtlingspolitik gefeiert, wo immer er auftauchte. Dortmunds Oberbürgermeister gab bekannt, dass er sich dem offenen Brief an Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) angeschlossen hat, in dem das „Bündnis Städte Sicherer Häfen“ ein Ende der Seeblockade der „Sea-Watch 3“ fordert und sich bereiterklärt, die Flüchtlinge an Bord aufzunehmen.

Theologische Impulse zu den drängenden Themen Mitgliederschwund, sexualisierte Gewalt in der Kirche und Ökumene konnte der Kirchentag hingegen kaum setzen. Vielleicht wird das auf dem Ökumenischen Kirchentag in zwei Jahren in Frankfurt anders. Der Kirchentag ist zwar ein Labor für neue kirchliche Formate, aber auch er muss sich mit einem veränderten Besucherverhalten beschäftigen. Mit 121000 Gästen kamen zwar etwas mehr als die erwarteten 118000. Aber die Zahl der Dauergäste ging zurück. 80000 waren es in Dortmund, 100000 waren es je in Berlin 2017 und Stuttgart 2015. Zahlen sind nicht alles. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) sagte, es gebe keine größere Veranstaltung in Deutschland, wo Menschen miteinander ins Gespräch kommen können. Es war ein gefühlvoller Kirchentag, es ging um Angst und Ohnmacht, aber auch um Hoffnung und Vertrauen. Egal, ob es um Klimawandel, Rechtspopulismus oder den weiblichen Körper geht, Jung und Alt, Menschen mit und ohne Behinderung, Katholiken, Protestanten, Muslime – sie alle diskutierten mit in einer freundschaftlichen Atmosphäre. Franziska Hein

Protestantentreffen für Alltag fruchtbar machen

Kirchenpräsident Schad ermuntert jugendliche Kirchentagsteilnehmer – Positives Fazit der Mitwirkenden

Als gelungenes Fest des Glaubens und zentralen Ort der Debatte über kirchliche und gesellschaftliche Fragen der Zeit haben der Vorsitzende des Landesausschusses Pfalz, Till Strang, und Kirchenpräsident Christian Schad den Kirchentag in Dortmund bezeichnet.

Es sei Aufgabe aller Besucher, „die Begeisterung, die wir hier erfahren und zu der wir selber beitragen, weiterzutragen und an andere weiterzugeben“, sagte Schad in einer Diskussion mit Kirchentagsteilnehmern der Evangelischen Jugend. Der nächste Kirchentag 2021 in Frankfurt werde ein ökumenischer Kirchentag sein, „sodass ich mir wünsche, dass die evangelische und katholische Jugend in den beiden kommenden Jahren lokal und regional gemeinsame Akzente setzen“, erklärte der Kirchenpräsident.

Strang, der für 3600 ehrenamtliche Helfer verantwortlich war, lobte die gute Atmosphäre. Begeistert zeigte sich auch Philipp Wendel vom Verband Christlicher Pfadfinder (VCP) Rheinland-Pfalz-Saar. Rund 200 Pfadfinder aus der Pfalz waren im Einsatz und betrieben unter anderem das „Café zur besonderen Ver(sch)wendung“. „Aus übrig gebliebenen Lebensmitteln haben wir dort Essen zubereitet“, sagte der VCP Landesführer.

Auch für Annekatrin Schwarz von der Evangelischen Arbeitsstelle Bildung und Gesellschaft hat sich der Einsatz beim Markt der Möglichkeiten gelohnt. Die Erwachsenenbildner aus den Landeskirchen luden die Besucher zu einer Umfrage über deren Wünsche zu kirchlichen Bildungsangeboten ein. Die Ergebnisse seien im Blick auf Seminar- und Veranstaltungsangebote aufschlussreich. Zufrieden zeigte sich auch Dagmar Pruin, Geschäftsführerin der Aktion Sühnezeichen-Friedensdienste. Sie dankte Kirchenpräsident Schad dafür, dass sich die pfälzische Landeskirche seit nunmehr drei Jahren in der Aktion engagiert. Wie Hilfe über Ländergrenzen hinweg aussehen kann, demonstrierte die Partnerschaft von Protestanten an der Saar mit der Lutherischen Kirche Georgiens. Neben der St. Ingberter Presbyterin Gisela Helwig-Meier informierte Bischof Markus Schoch über das ökumenische Projekt. KB

Rotes Sofa der Kirchenpresse erweist sich als Publikumsmagnet

Kurze und hintergründige Interviews mit Prominenten aus Kirche, Politik und Gesellschaft – Veranstaltung des Evangelischen Medienverbands

Der Kirchentag hat Kraft. Das sah man in Dortmund in diesen fünf Tagen. Beten, Singen, Feiern überall. Aber Kraft hat die evangelische Laienbewegung nicht nur für den Glauben. Sondern auch in Gesellschaft und Politik. Wie groß diese Kraft sein kann, zeigte sich, als Joachim Gauck aus seiner Vergangenheit in der DDR berichtete.

Auf dem Roten Sofa der Kirchenpresse erzählte der Pastor und frühere Bundespräsident davon, welchen Stellenwert evangelische Kirchentage in der DDR hatten: „Der Staat hatte Angst vor der Kirchentagsbewegung.“ Deshalb seien auch nur regionale Christentreffen erlaubt gewesen, keine großen, wie beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dortmund. Die meisten Kirchentagsbesucher kamen bei ihrem Weg von der Innenstadt zum Messegelände an den Westfalenhallen dabei automatisch an der Bühne des „Roten Sofas“ vorbei – und blieben stehen.

Diese Veranstaltung, die der Evangelische Medienverband auf die Beine stellte, hat sich im Laufe der Jahre zu einem Markenzeichen des Kirchentags entwickelt: kurze knackige Interviews; Talks, mal bunt und spritzig, mal hintergründig und tief. „Wenn es bei Ihnen in Stuttgart oder in Köln oder Dortmund DDR gegeben hätte, das hätte genauso mit Ihnen funktioniert wie mit den Leipzigern und Rostockern“, richtet sich der Politiker und evangelische Theologe Gauck an die Zuhörerinnen und Zuhörer beim Roten Sofa. Es gebe gewachsene Unterschiede. Man müsse nicht alles gut finden, was dort anders sei, aber man müsse die Herkunft verstehen und sie nicht aus einem „minderen Charakter“ herleiten.

Starke Worte sind Kennzeichen des Roten Sofas, auf dem 30 Prominente Platz nahmen und sich den Fragen der Redakteurinnen und Redakteure der evangelischen Zeitungen, Nachrichten- und Rundfunkagenturen stellten. Die Schauspielerin Uschi Glas erzählte von ihrer Sozialarbeit in München: Sie gab Essen für hungernde Schulkinder aus. Bundesaußenminister Heiko Maas warnte eindringlich vor einem Krieg mit Iran. Der Arzt und Friedensnobelpreisträger Denis Mukwege berichtete von systematischen Vergewaltigungen, die im Kongo als Kriegswaffe eingesetzt werden; Kriege, die auch durch den deutschen Waffenhandel befeuert würden. Und Kardinal Reinhard Marx wand sich sichtlich unter den bohrenden Fragen, die ihm zum Thema „Zölibat“ gestellt wurden. Auch Politikerinnen und Politiker standen Rede und Antwort. Dortmunds Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD) zeigte sich resolut. Angesichts von rechtsextremen Drohungen gegen ihn sagte er: „Man darf diesen Vögeln nicht nachgeben. Ich werde nicht einknicken.“ gmh

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