Wo weiße Mönche Schabernack treiben

Bei den belgischen Winterfesten verbinden sich christliche und heidnische Traditionen • von Ulrich Traub

Tradition verpflichtet: In Stavelot verteilen die weißen Mönche großzügig Konfetti. Foto: Traub

Die Kostüme gehen auf das Jahr 1449 zurück. In Geraardsbergen werden seit 1599 ­insgesamt 5000 Krakelinge, Namensgeber des Fests, unter das Volk gebracht. Foto: Traub

Wer am historischen Umzug beim zweiten Teil des Fests, dem mehr als 600 Jahre alten Tonnekensbrand, teilnimmt, kleidet sich vorher enstprechend ein. Foto: Traub

Zuvor genehmigen sich die Druiden einen Schluck, um angeblich Fische zu verschlucken. Foto: pv

Wie unterschiedlich man winterliches Brauchtum begehen kann, lässt sich am Beispiel zweier belgischer Städte ablesen. Im flämischen Geraardsbergen soll dem Winter mit den unterschiedlichen Riten eines Doppelfests, das zum Immateriellen Weltkulturerbe zählt, der Garaus gemacht werden. Ein schriller Karneval steht in Stavelot in der Wallonie im Mittelpunkt des nur noch wenig bekannten Fests des Mittfastens.

Der Name der Stadt Geraardsbergen, die westlich von Brüssel liegt, ist wahrscheinlich nur Radsportfans geläufig. Im einzigen flämischen Ort mit einer erwähnenswerten Erhebung müssen die Sportler die sogenannte Muur bewältigen, den steilen Anstieg zum Oudenberg, der nur wenige Schritte hinter dem Marktplatz „aufragt“. Am vorletzten Sonntag vor dem ersten Montag im März wiederum ist der 110 Meter hohe Hügel Schauplatz eines gänzlich anderen und äußerst ungewöhnlichen Spektakels.

Die Menschenmenge der Teilnehmer und Zuschauer des Festzugs, der durch die Stadt gezogen ist, versammelt sich rund um einen Pavillon auf der Spitze des Oudenbergs. Hier treffen bald drei bärtige Druiden in weißen Gewändern und Perücken ein. Sie tragen große, mit Wein gefüllte Glasgefäße. Ihnen folgen kirchliche und weltliche Würdenträger der Stadt in historischer Kleidung sowie Kinder mit bis obenhin gefüllten Brotkörben. Zuvor war die Gruppe in der Kapelle zusammengekommen, um zu beten.

Zu Beginn der Zeremonie im Pavillon trinken die Druiden und danach die Honoratioren jeder einen kleinen Schluck aus den Gläsern, in denen kleine Fische schwimmen, die angeblich verschluckt werden. Dann reicht man ihnen die Brotkörbe. Im Publikum schnellen die Arme in die Höhe. Minutenlang rieseln Gebäckkringel, die Krakelinge, auf die Menge nieder. Es sollen 5000 Stück sein. Aber nur in einem steckt ein Gutschein für einen Krakeling aus Gold, der jedes Jahr von einem Juwelier gestaltet wird. „Dieser seit dem Jahr 1599 dokumentierte Brauch, der nach dem Gebäck Krakelingen benannt ist, symbolisiert durch die Verwendung von Brot und Fisch das Leben, das durch den nun anbrechenden Frühling neu entsteht“, erklärt Frederika Schollaert vom Festkomitee. „Die runde Form der Krakelinge verweist auf den Kreislauf des Lebens.“ Aber auch an die Speisung der Fünftausend im Matthäusevangelium mag sich manch Festteilnehmer erinnert fühlen.

Damit der Frühling auch wirklich Einzug halten kann, folgt am Abend der zweite Teil des Doppelfests, der Tonnekensbrand, dessen Tradition sich bis ins Jahr 1393 zurückverfolgen lässt. Vor der Kapelle auf dem Oudenberg ist ein Tanzboden aufgebaut worden, drumherum ragen große Fackeln in den Himmel. Zunächst zeigen Fahnenschwinger ihr Können, dann betritt eine folkloristisch gekleidete Tanztruppe die Bühne, die zu Livemusik einen wilden Reigen traditioneller Tänze aufführt.

Schließlich werden die Fackeln nach und nach entzündet. Ihre Flammen, die dem Winter sozusagen den Rest geben sollen, werden durch Feuer in den umliegenden Dörfern unterstützt. „Bei unserem Doppelfest, das die Unesco 2010 zum Weltkulturerbe erklärt hat, verbinden sich christliche und heidnische Traditionen – und das schon seit Jahrhunderten“, fasst Frederika Schollaert nicht ohne Stolz zusammen.

Seit einigen Jahrzehnten wird der Festtag mit einer langen und stimmungsvollen Prozession durch das Städtchen am Fluss Dender eingeleitet. Hunderte Teilnehmer stellen Szenen aus der reichen Geschichte dar. Vorher trifft man sich in einer Mehrzweckhalle, wo ein gut sortierter Kostümverleih seinen Fundus ausbreitet. Hier kleidet man sich ein, wird geschminkt, sucht die passende Perücke aus und probt ein paar Tanzschritte. Mit dabei sind neben Fürsten, Edelfrauen und ganz normalen Bürgern auch Goliath, Gerarda und Baba. Sie sind Riesenfiguren, sogenannte „Reuzen“, und gehören in Belgien zum Inventar fast jeden Orts. In ihrem Inneren versteckte Träger bugsieren sie durch die Straßen. Goliath ist mit 4,77 Meter einer der größten seiner Zunft.

Ist das Fest in Geraardsbergen trotz der vielen Teilnehmer ein eher stilles, sieht man von der parallel stattfindenden Kirmes ab, so werden beim Winterfest im wallonischen Stavelot lautere und schrillere Töne angeschlagen. An Laetare, dem vierten Sonntag nach Aschermittwoch, dieses Jahr am 22. März, legt die Fastenzeit in der kleinen Stadt in den Ardennen an einem Wochenende eine Pause ein – in diesem Jahr zum 518. Mal. Laetare, das auch als Mittfasten bekannt war, heißt: freue dich. Und diesem Motto frönt man hier auf besondere Weise.

Die Hauptdarsteller des Karnevals sind die „Blancs Moussis“, die Weißen Mönche. Und die sind im Ausnahmezustand. In ihren weißen Gewändern mit großen Kapuzen, ihren Masken mit den langen, roten Nasen necken sie jeden, der nicht Reißaus nimmt, mit Luftballons aus Schweinsblasen, aufgespießten Heringen und langen Ruten. Dabei hatte der Tag ganz entspannt angefangen. In den ­Straßen sangen und tanzten Folkloregruppen, Jung und Alt freute sich auf den großen Festzug.

In der Mittagszeit ist es dann so weit. 25 kostümierte Gruppen, die alle meist auch musikalisch unterlegte Themen präsentieren, bilden einen bunten Lindwurm voller Überraschungen und Originalitäten. Clowns ulken auf ihren nicht unbedingt verkehrstauglich zusammengeschraubten Fahrrädern, andere versuchen sich artistisch. Dann werden die Menschen an der Strecke des Zugs in die Steinzeit und darauf ins Reich der aufgehenden Sonne entführt. Es ist ein Spiel der Farben und der Rhythmen. Manchmal beschleicht alle am Rande des Geschehens das Gefühl, dass die Stimmung der Zugteilnehmer noch besser ist als die der Zuschauenden. Und mittendrin und drumherum die „Blancs Moussis“.

Olivier t’Serstevens ist seit Jahrzehnten Mitglied in der Bruderschaft der Weißen Mönche, denen man ein Leben lang treu bleibe, wie er versichert. „Sich immer wieder neue Späße ausdenken zu können, ist schon eine feine Sache“, gesteht der „Blanc Moussi“, der im Hauptberuf Jurist ist. Natürlich kennt er auch die Hintergründe, die den Laetare-Karneval in Stavelot veranlasst haben sollen. „1449 hatte unsere Abtei einen besonders strengen Abt bekommen, der es den Mönchen verbot, mit der Bevölkerung zu feiern. Die fand das gar nicht gut und zog sich weiße Kapuzengewänder an, versteckte ihre Gesichter hinter Masken und trieb Unfug.“ Auch wenn die Abtei längst aufgelöst worden ist und mehrere Museen beherbergt, die Weißen Mönche machen ihre Späße wie eh und je. Und wer meint, dass ein toter Fisch vor der Nase genug des Schabernacks sein müsse, der kennt die Konfettimaschine nicht.

Wenn am Ende des Festumzugs zwei knallbunte Wagen anrollen mit Geschützen auf den Dächern, einer aussehend wie ein Insekt, sollte man sich auf etwas gefasst machen. Sobald sie die Zuschauenden erreicht haben, wird unaufhörlich aus allen Rohren und in alle Richtungen geschossen. Es regnet Konfetti. Und es dauert nicht lange, bis Frisuren und Kleidung bunt gepunktet sind. Die Weißen Mönche hinter den Kanonen geben ihr Bestes, was das Gekreische im Publikum unterstreicht.

Olivier t’Serstevens legt Wert auf die Feststellung, dass die Konfettimaschine ein Eigenbau der „Blancs Moussis“ sei. „Sie ist so beliebt, dass sie schon Einsätze in anderen Karnevalszügen mitgemacht hat“ – auch in Deutschland und natürlich nur in Begleitung der Weißen Mönche. Die haben am Nachmittag ihren nächsten großen Auftritt beim Rondeau auf dem abschüssigen Platz im Zentrum. Dieser ausgelassene, nicht ganz choreografiesichere Tanz auf grobem Kopfsteinpflaster ist der Schlussakkord des Festumzugs. Er wird begleitet – man ahnt es – von nicht enden wollenden Konfettisalven.

Niemand, der den Laetare-Karneval von Stavelot besucht hat, sollte sich wundern, wenn er noch Wochen später Konfetti in den Hosentaschen finden sollte. Auch ein Mittel, um die Erinnerung lange aufrechtzuerhalten. Nimmt man aus Geraardsbergen mit etwas Glück und Geschick einen Krakeling mit, so kann man sich gegen die Souvenirs aus Stavelot kaum wehren.

Das Krakelingen- und Tonnekensbrand-Fest findet am 23. Februar statt, www.visitgeraardsbergen.be/de; Der Laetare-Karneval hat seinen Höhepunkt am 22. März, www.laetare-stavelot.be/de

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