Vertrautes Reden im anonymen Raum

Citykirchenpfarrer Stefan Bergmann hat auch in der unbeheizten Kaiserslauterer Stiftskirche viel zu tun

Volles Haus in der Nacht der Kirchen: Citykirchenpfarrer Stefan Bergmann. Foto: view

Er hat es nicht einfach dieser Tage, Citykirchenpfarrer Stefan Bergmann. Seit Herbst ist die Heizung der Stiftskirche wegen defektem Dämmmaterial im Fernwärmekanal ausgeschaltet, Gottesdienste sind ausgefallen. Viele Konzerte hat er in die Unionskirche verlegen müssen. „Aber das Publikum ist schwer transportierbar.“ Bis auf eines seien alle schlechter besucht gewesen.

Doch Bergmann will nicht klagen. Er sei noch gut aus der Sache herausgekommen, bis auf wenige Regressforderungen. In der frei gewordenen Zeit hat er sich der Homepage gewidmet und versucht, neue Ehrenamtliche zu gewinnen. Die häufig mehr als 70 Jahre alten Mitarbeiter sichern vor allem die offene Kirche, eine der „Ursäulen“ seiner Arbeit. Seit 2006 ist die Kirche jeden Tag offen, manchmal bis zu zehn Stunden. 42000 Besucher waren es 2018. „Ein Rekord“, sagt Bergmann.

„Is this really original?“, fragen dann US-amerikanische Touristen, die häufig vor Ort sind. Mindestens ein Drittel der Besucher sind Nicht-Kaiserslauterer, viele suchen das Gespräch. „Ich führe jetzt intensivere Gespräche als in meiner Dorfgemeinde früher“, sagt der Pfarrer. Das liege wohl an der Anonymität. „In der Regel sehe ich die Leute einmal, dann nie wieder.“ Er wisse mitunter nicht mal, ob Leute zur Gemeinde gehörten oder Christen sind. Vielleicht mache auch der Kirchenraum die Anwesenheit von Religion manifest. „Sie fragen, ob ich Pfarrer bin, dann legen sie los.“ Je nach Anlass im Kirchenschiff oder in der beheizten Sakristei.

Diese Nachfrage sei kein Stadtphänomen. Die Landeskirche, die nur Projektstellen, aber keine Citykirchenpfarrämter vorhält, täte gut daran, mehr in seelsorgerliche Gespräche zu investieren, sagt Bergmann. Es gebe immer mehr Alleinlebende. „Selbst wenn ich 40, 50 Stunden die Woche in der Kirche sitzen würde, ich könnte jeden Abend erfüllt nach Hause gehen.“ Natürlich gebe es Beratungsangebote der Diakonie. Aber die Hürde sei dort höher. Gern würde er häufiger kostenlose Konzerte anbieten, weil er merkt, dass der Anteil von Hartz-IV-Empfängern steigt. „Aber ich darf keine Miesen machen.“ 12000 Euro bekommt er jährlich vom Bezirkskirchenrat.

Gerammelt voll ist die Kirche beim Lichtergottesdienst mit Taizé-Liedern. „Die Musik, das Kerzen anzünden ist vielen wichtig, erfüllt offenbar eine Sehnsucht nach ganzheitlichen Erfahrungen, Religion zum Anfassen“, sagt Bergmann. „Und mir ist es lieber, sie kriegen es bei uns als in der Esoterik.“ Jetzt muss bis zum nächsten Lichtergottesdienst im November nur noch die Heizung funktionieren. flor

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