Tomas macht jetzt sein FSJ Inklusion

Diakonisches Werk Pfalz hat ein Freiwilliges Soziales Jahr für geistig beeinträchtigte Jugendliche gestartet

Bringt seine Lebensfreude ein: Tomas Hauck richtet für die Bewohner im „Rhein-Pfalz-Stift“ Besteck für das Mittagessen. Foto: Landry

Wenn Tomas da ist, kommt bei den Senioren im Pflegeheim „Rhein-Pfalz-Stift“ in Waldsee bei Speyer richtig Leben in die Bude. Mit strahlendem Lächeln setzt er vorsichtig die Teller mit Klößen, Sauerkraut und Braten auf den Tisch. „Jetzt bitte noch das Fleisch schneiden“, sagt Antje Niewöhner, seine Betreuerin, die sich im Hintergrund hält und ihn beobachtet. Drei Bewohner des Pflegeheims warten in ihren Zimmern schon auf den Essensservice.

„Alles macht Spaß“, sagt Tomas, und schiebt den Servicewagen mit dem Mittagessen durch die Gänge. Vor allem „Spielen und Quatsch machen“ mit den teilweise dementen Heimbewohnern. Der 18-jährige Speyerer ist geistig behindert, hat das Downsyndrom. Er ist einer von fünf jungen Leuten mit geistiger Beeinträchtigung, die auf Vermittlung der pfälzischen Diakonie seit September ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) Inklusion in einer sozialen Einrichtungen ableisten – ein Pilotprojekt.

Auch junge Leute mit geistiger Beeinträchtigung sollen die Chance haben, sich ihren Fähigkeiten entsprechend ehrenamtlich in einem FSJ zu engagieren, erläutert Erika Münzer-Siefert vom Referat Freiwilligendienste der Diakonie. Ziel sei es, ihre persönliche Entwicklung und beruflichen Perspektiven zu fördern. Die sozialen Einrichtungen profitierten zudem von der positiven Ausstrahlung der behinderten FSJler und ihrem oft großen Einsatz. Bis zu zehn junge Leute sollen in Zukunft einen Freiwilligendienst im „FSJ Inklusion“ machen können.

Auch Norbert Hauck hofft, dass sein Sohn Tomas von dem einjährigen Dienst in dem privaten Pflegeheim des Seniorendienstleisters „avendi“ profitiert – und dass er nicht in eine Behindertenwerkstatt muss. Bei der Förderung von Tomas sei die Familie einen Weg „außerhalb des Systems“ gegangen. Statt Förderschulen habe er integrative Klassen auf Regelschulen und in der Berufsschule besucht. Beim „FSJ Inklusion“ könne Tomas nun „austesten, was er kann“, sagt Hauck.

Klare Strukturen und Aufgaben sowie eine besondere persönliche Betreuung sind für die Absolventen des „FSJ Inklusion“ sehr wichtig, betont Antje Niewöhner. Im Auftrag der „Lebenshilfe“ in Ludwigshafen betreut sie Tomas während seiner 20,5-Stunden-Woche im „Rhein-Pfalz-Stift“.

Der junge Mann im orangefarbenen T-Shirt richtet das Besteck, verteilt das Essen, stellt das gebrauchte Geschirr in den Geschirrspüler in der hauseigenen Küche. Dabei lässt ihn Niewöhner, die auch Presbyterin in der protestantischen Kirchengemeinde Bellheim-Knittelsheim ist, nicht aus den Augen. Immer wieder muss die Betreuerin ihn an die Hand nehmen, an Arbeitsabläufe erinnern und sie korrigieren.

Tomas lacht gerne und viel, er hat sichtlich Freude an seiner Arbeit. „Du bist meine Schwiegermutter“, sagt er und drückt seine Betreuerin fest. Seine Arbeit übernimmt sie aber bewusst nicht: „Das Ziel muss es sein, dass er das selbstständig tut“, sagt Niewöhner.

Doch dürfe man Tomas nicht überfordern. Viele Eltern von geistig behinderten Kindern hätten große Angst davor, wer sich um sie kümmert, wenn sie einmal nicht mehr da sind. Das „FSJ Inklusion“ könne, abhängig von der Art der geistigen Beeinträchtigung, eine Chance für mehr Selbstständigkeit sein.

Bei den Senioren komme Tomas gut an, zudem entlaste er das Mitarbeiterteam, erzählt die Leiterin Margot Reis. „Er bringt seine Lebensfreude ein.“ Gerne würde sie ihn nach seiner Dienstzeit übernehmen. Dies sei jedoch nur möglich, wenn weiterhin die Betreuungskosten getragen würden. Betreuerin Niewöhner ist skeptisch, ob es Tomas jemals gelingt, ohne ständige Anleitung zu arbeiten. Auch Norbert Hauck will erst in einem knappen Jahr entscheiden, wie es für seinen Sohn weitergeht. Keine gute Lösung wäre es, „wenn eine Assistenzkraft seine Arbeit machen ­würde“, sagt er. Alexander Lang

Über Mund-zu-Mund-Propaganda zum Freiwilligen Sozialen Jahr

Diakonie-Referentinnen: Mehr Absolventen benötigen zusätzliche Förderangebote – Zwei Drittel sind weiblich – Leichter Bewerberrückgang

Rund 340 Jugendliche absolvieren jährlich einen der verschiedenen Freiwilligendienste, die das Diakonische Werk Pfalz in Speyer anbietet. 545 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren es insgesamt im vergangenen Jahr, es gab 710 Bewerbungen. Das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) dauert mindestens sechs und höchstens 18 Monate.

Die meisten jungen Leute im Alter von 15 bis 26 Jahren stammten aus dem Bereich der Landeskirche, informieren Erika Münzer-Siefert und Andrea Schlosser vom Referat Freiwilligendienste. Untergebracht werden jeweils 20 bis 25 Absolventen in Regelgruppen, die von pädagogischen Fachkräften betreut werden. Bei Seminarwochen können sie sich gegenseitig austauschen.

Zwei Drittel der FSJ-Absolventen sind weiblich. Mehrheitlich sind sie über 18 Jahre alt und haben meist eine Realschule plus oder das Gymnasium besucht. Vornehmlich über Mund-zu-Mund-Propaganda aus ihrem Freundeskreis oder über ihre Eltern hätten die meisten Bewerber vom FSJ erfahren, erläutert Referentin Schlosser.

Die jungen Leute erhalten ein Taschengeld, haben Urlaubsanspruch und sind sozialversichert. Derzeit sei ein leichter Bewerberrückgang zu verzeichnen, berichtet die leitende Referentin Münzer-Siefert. Auf Jugendliche steige der Druck, nach der Schule möglichst rasch einen Job zu suchen oder ein Studium aufzunehmen. Viele FSJler wollten Praxis in einem sozialen oder pädagogischen Beruf sammeln oder sich selbst persönlich weiterentwickeln. Manche wollten die Wartezeit für einen Ausbildungs- oder Studienplatz überbrücken, andere seien Studien- oder Ausbildungsabbrecher.

Die Zahl psychisch instabiler und noch nicht ausbildungsreifer FSJ-Bewerber steige, diese benötigten zusätzliche Förderangebote. Beim FSJ herrsche der Grundgedanke der Inklusion: Jugendliche mit und ohne körperliche oder geistige Behinderung kämen gemeinsam in einer Gruppe zusammen. „Es ist eine Form der Teilhabe, dass sich auch Jugendliche mit geistigen Einschränkungen sozial einbringen können“, sagt Münzer-Siefert.

Die Kirche und ihre Diakonie engagierten sich für das FSJ, weil dort die kirchlichen Grundaufgaben Soziales und Bildung zusammenkämen, machen die Referentinnen Münzer-Siefert und Schlosser deutlich. Der Freiwilligendienst sei ein wichtiger Begegnungspunkt zwischen Jugendlichen und der Kirche – etwa in Altenheimen, Kindertagesstätten oder in Kirchengemeinden. Auch sei der Freiwilligendienst wichtig für die kirchliche Mitarbeitergewinnung: „Viele FSJler bleiben im Sozialbereich hängen“, sagt Münzer-Siefert. all

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