Streitbarer Rabbiner in der Pfalz

In seinem Geburtsort Reipoltskirchen erinnert jetzt ein Denkmal an Elias Grünebaum (1807 bis 1893)

Im August enthüllt: Denkmal im Geburtsort Reipoltskirchen. Foto: Sayer

Reformer: Elias Grünebaum. Foto: wiki

Es waren turbulente Zeiten, in denen Elias Grünebaum lebte. Die Emanzipationsbestrebungen der jüdischen Minderheit stießen in der christlichen Mehrheitsgesellschaft auf wenig Resonanz. Zudem vollzogen sich innerhalb des Judentums erbitterte Grabenkämpfe zwischen strenggläubigen Orthodoxen und für Erneuerung eintretenden Reformkräften.

Als Grünebaum am 10. September 1807 im nordpfälzischen Reipoltskirchen als Elie Benjamin zur Welt kommt, gehört die Pfalz zu Frankreich. Im selben Jahr regelt im napoleonischen Frankreich der Große Sanhedrin, eine Versammlung von 71 jüdischen Würdenträgern, darunter elf Vertreter aus den Departements im linksrheinischen Deutschland, mit seinen Lehrbeschlüssen den Status der Juden im modernen Staat.

Ein Jahr nach der Geburt von Elias lässt Vater Benjamin Abraham für seine Frau Hanna Elie und die zwei Söhne Abraham und Elie einem napoleonischen Dekret gemäß beim Standesamt Meisenheim als Familienname Grünebaum eintragen. Benjamin Grünebaum zieht mit Napoleons Grande Armée nach Russland. Er kehrt nicht mehr zurück.

Elias wächst nach dem frühen Tod des Vaters in Münchweiler an der Alsenz auf, nachdem die Mutter 1815 zu ihrem ebenfalls verwitweten Schwager Isaak Felsenthal gezogen ist. Mit der Perspektive einer Lehrer- oder Rabbinerstelle schickt ihn die Familie zum Talmudstudium. In Mainz, Mannheim und Frankfurt widmet er sich von 1823 bis 1831 den jüdischen Schriften. Parallel absolviert er die für das Rabbinat im Königreich Bayern erforderliche Gymnasialausbildung und legt 1831 in Speyer das Abitur ab. Ein Jahr später erhält er in Münchweiler das Rabbinatsdiplom.

Nach der Reifeprüfung studiert er in Bonn und München Religionsphilosophie und Orientalistik. In Bonn begegnet er Abraham Geiger, der dort Arabistik studiert, was in seiner 1833 erschienenen Schrift „Was hat Mohammed aus dem Judenthume übernommen?“ mündet. Geiger, Wegbereiter des Reformjudentums und Rabbiner in Breslau, lehrt, dass die jüdische Überlieferung Veränderungen ausgesetzt und für Reformen offen sei. Die Bonner Zeit und die Bekanntschaft mit Geiger, der 1871 in Berlin die Hochschule für die Wissenschaft des Judentums gründet, hätten Grünebaums kritische Haltung zur jüdischen Tradition offensichtlich gefestigt, schreibt der Historiker Carsten Wilke, Herausgeber der „Sittenlehre“ von Grünebaum.

1832 trennen sich die Wege: Geiger wird Rabbiner in Wiesbaden, Grünebaum setzt sein Studium in München fort. Dort lehrt der Religionsphilosoph Friedrich Wilhelm Schelling und zieht mit seinem schwärmerischen Idealismus viele jüdische Hörer an. Vier Semester später legt Grünebaum in Bayreuth als Bester unter 16 Kandidaten das bayerische Staatsexamen für den Rabbinatsdienst ab. Geprüft wird er von einem protestantischen Pfarrer, einem Gymnasialprofessor und einem Rabbiner.

Eine erste Rabbinerstelle bietet sich ihm im Frühjahr 1835 in Zweibrücken an. Seinen Verzicht begründet er später damit, die konservative Gemeinde habe wohl gehofft, „in mir einen Finsterling zu finden“. Noch im selben Jahr tritt er seine erste Stelle im damals oldenburgischen Fürstentum Birkenfeld an. Die Regierung des Bayerischen Rheinkreises lässt er im September 1835 wissen, dass er unter fünf Bewerbern den Sieg davongetragen habe und deshalb auf Zweibrücken verzichte. Eine vakante Rabbinerstelle in der Pfalz möge ihm „gnädigst“ reserviert werden, wie Roland Paul in seiner biografischen Grünebaum-Skizze in den „Westricher Heimatblättern“ (2007) festhält.

Bereits ein Jahr später setzt die Kreisregierung in Speyer Grünebaum, ein wichtiger Vertreter des liberalen Reformjudentums, im Juli 1836 als Bezirksrabbiner in Landau ein, zuständig für 24 überwiegend konservative Gemeinden. Dies geschieht gegen den Willen der meisten Juden im Rabbinatsbezirk Landau, die einen Weinhändler favorisieren.

Seine Antrittsrede als Rabbiner ist Wilke zufolge ein „militantes Manifest“ religiöser Aufklärung. Den Mittelweg zwischen „oberflächlicher Neuerungssucht und lichtscheuer Glaubenswuth“ sieht er in der Reform. Orthodoxen „Irreführern“ und „Wahngläubigen“ wirft er „Götzendienst des Buchstabens“, „Anbetung der Formen“ und „Werkheiligkeit“ vor. Neben seinen rabbinischen Aufgaben legt Grünebaum einen Hauptakzent auf Bildung. 1841 zieht er eine Erfolgsbilanz: „Es gibt wohl kein Land, in welchem in den letzten zwölf Jahren im israelitischen Schulwesen mehr geschehen sein möchte als bei uns.“ Rund 50 jüdische Schulen entstehen in dieser Zeit in der Pfalz.

Der Landauer Rabbiner outet sich mehrfach als Anhänger einer Modernisierung der jüdischen Überlieferung. Liturgische Reformen, Verzicht auf das Hebräische im Synagogengottesdienst, Religionsunterricht für Jungen und Mädchen am Schabbat, Einführung der Konfirmation oder Amtstracht für Rabbiner sind einige seiner fortschrittlichen Vorschläge, mit denen er mitunter auch in der Gemeinde, aber auch bei der protestantischen Geistlichkeit aneckt. Bei der Einweihung der mit einer Orgel versehenen Synagoge in Neustadt 1867 liefert er sich einen Schlagabtausch mit dem orthodoxen Rabbiner Adolf Salvendi, der sich gegen liturgische Reformen wendet. In seiner Replik nennt Grünebaum das orthodoxe Judentum ein „abgestorbenes Ceremonienwesen“ und wirbt für eine allgemeine Vaterlands-, Menschen- und Gottesliebe“, die „Grenzen der Confessionen“ überwinde.

Im selben Jahr erscheint in Mannheim seine bekannteste Schrift: „Die Sittenlehre des Judenthums anderen Bekenntnissen gegenüber nebst dem geschichtlichen Nachweise über Entstehung und Bedeutung des Pharisaismus und dessen Verhältnis zum Stifter der christlichen Religion“. In den innerjüdischen Grabenkämpfen sieht sich der Rabbiner selbst heftigen Angriffen ausgesetzt, etwa wegen der Ehe einer seiner Töchter mit einem Nicht-Juden.

Von Grünebaum, der auch mit der antijüdischen Mentalität der christlichen Mehrheitsgesellschaft scharf ins Gericht ging, sind wie von vielen anderen Rabbinern zum Krieg 1870/1871 patriotische Predigten überliefert. Die Pfalz rühmte er als „äußerste Wacht am Rhein“ und äußerte die Hoffnung, dass der patriotische Einsatz jüdischer Soldaten letzte Reste von Judenfeindschaft verschwinden lasse.

Aus seiner Ehe mit Johannetta Straus aus Otterberg gingen zwölf Kinder hervor. Fünf wanderten in die USA aus. Zum 50-jährigen Dienstjubiläum als Rabbiner in Landau wurde Grünebaum 1886 von Bayern-König Ludwig II. der Michaelsorden 2. Klasse verliehen. Er starb am 25. September 1893 wenige Tage nach seinem 86. Geburtstag.

In Landau trägt seit 2016 ein Platz den Namen des Gelehrten. Der „Elias-Grünebaum-Platz“ markiert den Ort, an dem von 1884 bis zur Zerstörung 1938 die wohl größte Synagoge der Pfalz stand. Die Anlage des Landauer jüdischen Friedhofs ebenso wie der Neubau der Synagoge sind maßgeblich auf den Einsatz Grünebaums zurückzuführen.

In seinem Geburtsort Reipoltskirchen wurde jüngst ein Denkmal für den Rabbiner eingeweiht, der für so viele Reformen einstand. Die Skulptur „Baum des Lebens“ stammt von dem Künstler Stefan Engel aus Schweisweiler. Das Werk in blauer Keramik erinnert, wie Engel sagt, „in abstrakter Formsprache“ an einen Baum und zugleich auch an die Menora, den siebenarmigen Leuchter. Die Skulptur zitiere ebenfalls die segnenden Hände des Priesters, die häufig auf den Grabsteinen von Rabbinern zu finden sind. Rainer Clos

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