Scharfe Kritik an Israel und der Rolle Deutschlands

Theologe Ulrich Duchrow vertritt seine Thesen bei der Evangelischen Akademikerschaft – Meißner sieht Grenze zum Antisemitismus erreicht

Sieht allein Israel im Unrecht: Ulrich Duchrow im Kasimirianum in Neustadt. Foto: LM

Der evangelische Theologe Ulrich Duchrow hat Deutschland, Europa und die USA wegen ihrer Unterstützung Israels scharf kritisiert. Vor allem Deutschland mache sich im Nahostkonflikt schuldig, sagte der außerplanmäßige Heidelberger Theologieprofessor bei einer Veranstaltung der evangelischen Akademikerschaft in Neustadt. Deutschland begreife die Unterstützung Israels als Wiedergutmachung für das unendliche Leid der Juden durch die Nationalsozialisten. Doch wenn das Land seine Hilfe nicht an Bedingungen zugunsten der Palästinenser knüpfe, trage es entscheidend zum Leid der Palästinenser in den besetzen Gebieten bei.

Israel verstoße permanent gegen das Völkerrecht, sagte Duchrow. Die Vereinten Nationen hätten eine Teilung des Landes beschlossen. Israel besetze jedoch die palästinensischen Gebiete und kolonialisiere sie durch Siedlungen. Außerdem habe Israel nach der Staatsgründung 1948 durch ethnische Säuberungen eine jüdische Mehrheit in dem Land geschaffen. Die Palästinenser hätten nie eine Chance gehabt, ihr Recht auf ein eigenes Land durchzusetzen. Im Nahen Osten stünden sich das hochgerüstete Israel und steinewerfende Kinder sowie ein paar selbst gebastelte Raketen gegenüber.

Duchrow bezeichnete es als bösartig, seine Kritik an der Politik des Staates Israel als antisemitisch zu bezeichnen. Die Gesamtheit der Juden und Israel dürften nicht gleichgesetzt werden. Es gebe auch viele Juden, die die israelische Politik kritisierten. Er sei lange der Auffassung gewesen, dass sich vor allem Deutsche mit Kritik an Israel zurückhalten sollten. Wer jedoch die Leiden der Palästinenser sehe, dürfe schon aus seinem christlichen Glauben heraus nicht schweigen.

Er erkenne das Existenzrecht Israels uneingeschränkt an, sagte Duchrow. Seine Kritik diene einer gemeinsamen Zukunft von Palästinensern und Juden im Nahen Osten. Denn die Geschichte lehre, dass ein System, das auf purer Gewalt aufbaue, nicht auf Dauer standhalte. Er wolle die Gewalt durch Palästinenser nicht rechtfertigen, aber das Unrecht gehe von Israel aus, indem es die Palästinenser unterdrücke und ständig gegen Völkerrecht verstoße.

Pfarrer Stefan Meißner warf Duchrow vor, seine Israelkritik sei an der Grenze zum Antisemitismus. Begriffe wie ethnische Säuberungen und Vergleiche der Politik Israels mit der des NS-Staats mache aus den ehemaligen Opfern Täter von heute, sagte der Vorsitzende des landeskirchlichen Arbeitskreises Kirche und Judentum. Außerdem messe Duchrow moralisch mit zweierlei Maß. Die Rechte der Araber seien in Israel deutlich besser geschützt als etwa die Rechte von Christen, Frauen und Homosexuellen in den palästinensischen Gebieten. Es sei antisemitisch, an die israelische Politik andere Standards anzulegen als an die Politik der anderen am Konflikt Beteiligten.

Meißner räumte ein, dass es in der Geschichte Israels auch Menschenrechtsverletzungen gegeben habe. Es zeichne das demokratische Land jedoch aus, dass dort die sogenannten „Neuen Historiker“ dieses Unrecht aufarbeiten und veröffentlichen könnten. Eine vergleichbare Aufarbeitung begangenen Unrechts gebe es bei den Arabern nicht.

Mit ihrer 2017 erschienenen Publikation „Religionen für Gerechtigkeit in Palästina-Israel“ haben die Theologieprofessoren Ulrich Duchrow und Hans G. Ulrich vor allem beim Deutschen Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit für Empörung gesorgt. Das Buch stelle den christlich-jüdischen Dialog „völlig verzerrt dar“, erklärte der Koordinierungsrat. „Das ganze Buch ist zugleich ein zutiefst israelfeindliches Machwerk.“

Der Koordinierungsrat zeigte sich zudem „zutiefst irritiert“ darüber, dass in der Danksagung in dem Band als Förderer der Veröffentlichung der Ökumenische Rat der Kirchen, die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), evangelische Landeskirchen in Mitteldeutschland, Baden, Hannover, Hessen und Nassau, Westfalen sowie „Brot für die Welt“, Mission Eine Welt und das Evangelische Missionswerk genannt werden. Die EKD distanzierte sich daraufhin ausdrücklich vom Inhalt des Buchs. Duchrow warf den Kritikern vor, seine Zitate „alle aus dem Zusammenhang gerissen und verdreht“ zu haben. Er hoffe jedoch, dass diese „Verleumdungen“ dazu führten, dass der Inhalt des Bandes in den Kirchen diskutiert werde. koc

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