Ruf der Orgel wiederhergestellt

Der Pfälzer Musikprofessor Michael Gerhard Kaufmann widmet der Königin der Instrumente sehr viel Zeit

Interessiert an historischen Orgeln: Michael Kaufmann (links) mit Organist Andreas Haßlocher in der Kirche Maikammer. Foto: LM

Wer Michael Gerhard Kaufmann zwischen seinem Aufgabenmarathon für ein Gespräch ausbremsen will, muss sich unter Umständen etwas gedulden, wird dann aber freundlich und unaufgeregt bedient. Orgelgeschichte hat er geschrieben durch seinen 2014 auf den Weg gebrachten Antrag auf Aufnahme von Orgel und Orgelbau in die Unesco-Liste des immateriellen Weltkulturerbes. Und den positiven Bescheid der Weltorganisation im Dezember 2017. Auch wenn sich im Internet Politstrategen damit schmücken – erkämpft hat das begehrte Etikett doch der Orgelprofessor an der Kirchenmusikhochschule Heidelberg, der privat seit wenigen Jahren in Annweiler beheimatet ist.

Nach der Jahrtausendwende habe die Nachwuchssituation im Orgelbau einen „absoluten Tiefpunkt erreicht“, sagt Kaufmann. Für die Oscar-Walcker-Schule in Ludwigsburg, die einzige bundesdeutsche Fachschule für den Orgelbau, gab es kaum noch Bewerber. „Nach der Unesco-Entscheidung war der Schub deutlich spürbar.“ Die Aufwertung einer handwerklichen Königsdisziplin, die zusätzlich naturwissenschaftliche Kompetenz und künstlerisches Talent voraussetzt, hat geklappt. Die Zahl der Auszubildenden in Ludwigsburg ist wieder im Aufwärtstrend.

Die Orgel als Zentrum zukünftiger Aktivitäten hatte Kaufmann, Jahrgang 1966, schon während der Schulzeit am humanistischen Eduard-Spranger-Gymnasium in Landau für sich ausgemacht. „Mich haben die Klangschichtungen fasziniert, die orchestrale Allmacht, das opulente Kaleidoskop der Möglichkeiten, die es auf keinem zweiten Instrument in dieser Ausschließlichkeit gibt.“

Studiert hat Michael Kaufmann in Karlsruhe, an der Musikhochschule Schul- und Kirchenmusik sowie Musikwissenschaft und an der Universität Germanistik. Sein Promotionsthema 1997, „Orgel und Nationalsozialismus“, zeigt, dass Kaufmann auch gesellschaftspolitisch engagiert ist, nicht nur ein reiner „Fachprofi“ seines Genres.

Die berufliche Vita scheint abendfüllend: Dozent für Musiktheorie, ebenso für Musikwissenschaft an der Musikhochschule Karlsruhe; des Weiteren an der Akademie für Tonkunst in ­Darmstadt sowie an der Staatlichen Hochschule für Musik in Trossingen; Dozententätigkeit auch im Rahmen der Ausbildung Restauration an der Oscar-Walcker-Schule in Ludwigsburg sowie ab 2007 im Masterstudiengang an der Europa-Universität Frankfurt an der Oder; wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Tübingen für den Bereich Oberschwäbische Klostermusik und Leiter der Europäischen Orgelakademie Ettlingen, seit 2010 Professor an der Hochschule für Kirchenmusik in Heidelberg – das alles vielfach parallel laufend.

Damit nicht genug, leitet Michael Kaufmann seit 20 Jahren Fortbildungskurse im Auftrag der Vereinigung der Orgelsachverständigen Deutschlands. Und er ist selbst ein gefragter Gutachter, nicht allein in seiner Funktion als Orgelinspektor für das Erzbistum Freiburg und die Evangelische Kirche in Baden. Auch als Experte für das Glockenwesen ist sein Sachverstand gefragt. Dass er vielfach in Kommissionen zur Begutachtung restaurierungsbedürftiger Historien-Orgeln geladen wird, sei am Rande erwähnt.

Nicht zu vergessen sind die Rundfunksendungen und Publikationen, für deren Anzahl zwei Hände nicht ausreichen. Sie thematisieren die Segmente „historisch informierte Aufführungspraxis“ ganz allgemein und im Besonderen die oberschwäbische Klostermusik, sind aber auch mit gesellschaftlichen Kontexten befasst. Das bezieht sich auch auf die zum Sommer 2020 im Ergon-Verlag erscheinende „Phänomenologie der Orgel“, eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Orgel als Spiegel von Wandlungsprozessen in der Gesellschaft. Dies hat Michael Kaufmann gemeinsam mit der Bamberger Kulturwissenschaftlerin Uta Hengelhaupt zu einer hoch spannenden Kulturgeschichte zwischen Aufklärung und der Jetztzeit verdichtet.

Und auch der Künstler Michael Kaufmann verdient Beachtung. Denn neben aller Pädagogik, Gutachtenerstellung, der Schriftstellerei sowie Fundraising-Impulsen für im Angesicht ihrer maroden Orgeln verzagende Kirchengemeinden ist der umtriebige Professor auch ein begnadeter Organist. Zum Üben komme er „zwischendurch“, sagt er. In die Agenda passt außerdem noch ein Privatleben hinein: Sechs Kinder hat er, davon drei aus erster Ehe. Die drei Kleinen, Zwillinge sind auch dabei, marschieren noch täglich Richtung Grundschule und Kindergarten. Er brauche halt wenig Schlaf, bekundet er fröhlich; und sei gut organisiert. Weil er für seine Profession brennt. Gertie Pohlit

Überzeugungskraft in Maikammer und Speyer

Für Orgelgutachten tourt Michael Kaufmann zuweilen mit der Rastlosigkeit eines Handlungsreisenden quer durch die Republik. Sein Urteil ist begehrt, zumal er auch immer gute Hinweise zum Sammeln von Spenden mitliefert. Gerade eben ist er in Speyer zurate gezogen worden, wo sich die Restaurierungsmaßnahme der maroden Steinmeyer-Orgel in der zum Reformationsjubiläum 2017 prachtvoll aufgehübschten Dreifaltigkeitskirche mächtig in die Länge zieht.

Sein Rat an Kirchengemeinde und Förderverein stützt die Auffassung der Experten vor Ort: „Die grundsätzlich fehlgeplante und von den Orgelrestauratoren Oberlinger, Scherpf sowie Owart übelst entstellte Steinmeyer-Orgel ist beim besten Willen nicht zu halten. Sie würde selbst bei einer Restaurierung und Rekonstruktion auf den Zustand von 1929 hin nur Probleme konservieren. Sinnvoll ist bei den beengten Platzverhältnissen eine Barock-Adaption mit circa 35 Registern auf zwei oder drei Manualen und Pedal im Sinne der kurpfälzischen Tradition des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts; unter Übernahme der Pfeifen aus dieser Zeit. In diese Richtung sollen nun wohl auch die Gespräche mit dem Denkmalamt gehen beziehungsweise entsprechende Anträge auf Förderung gestellt werden.“

Auch die letzten Zweifel des Presbyteriums in Maikammer, das trotz des vehementen Eintretens von Bezirkskantor Simon Reichert und des Orgelbausachverständigen Gero Kaleschke für eine historisch gerechte Restaurierung der Steinmeyer-Orgel in der Johanniskirche zögerte, konnte Kaufmann im Dezember 2019 zerstreuen. Die Orgel, zusammen mit dem Kirchenbau von 1914 ein Gesamtkunstwerk, werde ein Kleinod sein, „wenn sie erst einmal wieder so klingt, wie sie möchte“, sagte Kaufmann. Nicht zuletzt der Hinweis, dass die Art, wie sie im Sinne der „Orgel­bewegung“ in den Nachkriegsjahren „zurechtbarockisiert“ worden sei, auch ein Stück Nazi-Ideologie enthalte, hat das Presbyterium zu einem einstimmigen Votum für die Grundsanierung bewogen. Jetzt heißt es Anträge schreiben. Fördergelder warten unter anderem bei Denkmalpflege und der Stiftung Orgelklang. gpo

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