Reimpredigt an Fastnacht und Segnung am Valentinstag

Mit besonderen Gottesdienstformaten erreichen Kirchengemeinden andere Zielgruppen – Pfarrer Gunter Schmitt ermutigt zu Experimenten

Segnen in der Lutherkirche St. Ingbert: Pfarrerin Michelle Scheerer (links) und Gemeindediakon Holger Weberbauer. Foto: Laborenz

Pfarrer Oliver Böß predigt in Mackenbach in Reimen. In Zweibrücken-Ixheim läuft das Presbyterium ein zu „Oh when the saints go marchin‘ in“. Und in Rülzheim gastiert ein Karnevalsverein in die Kirche, in der Landauer Stiftskirche das Prinzenpaar. In der fünften Jahreszeit mischen Kirchengemeinden in der Pfalz mit. Nicht nur die Veranstaltenden haben Spaß. „Es kommen Leute von weiter her“, sagt Böß. Mit 40 bis 60 Jahren seien die Besucher jünger als das übliche Sonntagspublikum. Und sie strömen zahlreicher.

„Die fünfte Jahreszeit ist ein Stück Lebenswirklichkeit vieler Menschen“, erklärt sich das Böß. „Und ich zeige: Wir sind nicht ein Tempel fernab des Alltags.“ Dazu breche er mit „Klischeevorstellungen von Kirche“. Es gebe eine Sehnsucht der Menschen nach etwas außerhalb des Erwartbaren. In diesem Fall ist es ein anderes Vokabular. Zwar spricht Böß in Reimen, die Themen sind aber nicht völlig neu: Bewahrung der Schöpfung, politische Seitenhiebe gegen rechts, ein Stück Selbstkritik als Kirche auch.

Eine Anbindung an den Alltag der Menschen schaffen, das funktioniert nicht nur an Fastnacht, sagt Böß. Er hatte auch schon mit einem Gottesdienst zur Fußball-Weltmeisterschaft oder einem Gottesdienst im Tierheim Erfolg. „Auftrag von Kirche ist, Milieus anzusprechen, je mehr Angebote, desto besser.“ Nur verbiegen solle man sich nicht als Pfarrer, schauen, was zu einem passt.

Pfarrer Gunter Schmitt vom Missionarisch-Ökumenischen Dienst Landau stimmt dem zu. „Die Lebenswirklichkeiten divergieren heute viel mehr“, sagt Schmitt. Deshalb gelte es herauszufinden, wer in der Gemeinde lebt, mit Umfragen beispielsweise, sagt der Berater für lebensweltorientierte und milieusensible Gemeindearbeit. So geschah es in Ludwigshafen-Friesenheim, wo Schmitt lange Gemeindepfarrer war. Heute gibt es dort vier, fünf verschiedene Gottesdienste, keinen mehr nach der klassischen Agende. „Wir haben das klar kommuniziert nach außen.“ Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Er wisse von Kirchengemeinden, die mit Schlager-Gottesdiensten Menschen erreichen, die sonst nicht den Weg in den Gottesdienst finden. „Ich ermutige zu Experimenten.“ Wenn ich merke, die Paare fehlen, warum nicht einen Gottesdienst zum Valentinstag?“

Und selbst dieser Anlass bietet verschiedene Alternativen. In der Lutherkirche St. Ingbert haben sich vergangene Woche beim ökumenischen „Gottesdienst für alle, die lieben“ nicht nur Paare, sondern auch Einzelpersonen einen persönlichen Segen abgeholt. „Das ist immer ein berührender Moment, oft haben die Menschen da Tränen in den Augen“, sagt Pfarrerin Michelle Scheerer. Es ist ein Segensangebot, das es sonst in ihren Gottesdiensten nicht gibt – und ihn so zu etwas Besonderem macht. Das zeigt auch das Herz aus brennenden Kerzen am Altar. Diakon Holger Weberbauer hatte vor Jahren die Idee.

„Sondergottesdienste ziehen“, sagt Pfarrer Jan Meckler aus Rülzheim kurz und bündig. Allerdings sei die Kraft eines Pfarrers, einer Pfarrerin, leider endlich. „Die Frage muss lauten, welche erfolglosen Konzepte lasse ich, worauf fokussiere ich mich“, sagt dazu Schmitt. Ein schwieriger Grat. „Ich tue mich schwer, mich vom klassischen Gottesdienst zu lösen, die Kerngemeinde will das“, sagt Meckler. Und dennoch: In Rülzheim ist künftig einmal im Monat Familienkirche. Und in der Haßlocher Pauluskirche ersetzt der „Gottesdienst anders“, der bis zu 200 Besucher anzieht, künftig einmal im Monat den klassischen Gottesdienst. Die Regelmäßigkeit soll helfen, die Vorbereitung zu vereinfachen, sagt Pfarrer Friedrich Schmidt-Roscher, der ein rund 20-köpfiges Vorbereitungsteam koordiniert. Die Rechnung scheint bisher aufzugehen. „Den Menschen ein Sonntagsgefühl geben, heißt, sie auch ein Stück weit aus dem Alltag herauszuholen“, sagt Schmidt-Roscher. Das will auch das Fastnachtsgottesdienst-Team in Ixheim um Presbyterin Heike de Andrade und dichtet frei nach Margit Sponheimers Fastnachtshit: „Gott, du hast uns gelle gern.“ Florian Riesterer

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