Mut zum Griff nach den Sternen

Anna Linß in Landau und Christiane Schmidt in Altrip wagen sich an zwei Großwerke der Chorliteratur

Konzentrierte Sänger: Die Landauer Stiftskantorei probt im Gemeindehaus für Verdis „Messa da Requiem“. Foto: Iversen

Berühmte Komponisten: Carl Orff (links) und Giuseppe Verdi.

Christiane Schmidt ist eine leidenschaftliche Kirchenmusikerin. Sie ist zudem Gesangspädagogin, ihre Kinderchöre im Raum Altrip, Westheim und Berghausen laufen gut. Am musischen Moll-Gymnasium in Mannheim unterrichtet die Sopranistin, die solistisch und mit Kammerensembles auf der Bühne steht – mit Erfolg, beweisen die Jugend-musiziert-Trophäen ihrer Schüler.

Ein mit Leidenschaft gepflegtes Projekt ist „Prochoro“, ihre 2010 gegründete Chorgemeinschaft, die sich als Alternative zum Kirchenchor versteht und Mitstreiter aus dem weiteren Umfeld zusammenführt. „Hier gibt es die Möglichkeit, mal in andere Repertoire-Bereiche vorzustoßen“, beschreibt sie ihr Programm. So wie in diesem Jahr mit Carl Orffs „Carmina Burana“, das eher nicht im Kirchenmusik-Kanon firmiert.

Nach Programmen mit Madrigalen, romantischen Balladen oder Schütz-Psalmen ist das ein gewaltiger Brocken. Ein Großprojekt in reinem Wortsinne und mehrfacher Hinsicht. Dazu muss man wissen, dass „Prochoro“ als Verein organisiert ist, „bescheiden, aber mit einem sehr engagierten Vorstand“, sagt Schmidt. Dieser hat sich eingeklinkt in das Werben von zusätzlichen Sängerinnen und Sängern. „Aktuell sind rund 70 Frauen- und 32 Männerstimmen aktiv – bei Letzteren würde ich mir noch etwas Verstärkung wünschen“, sagt Schmidt. Denn auch jetzt, gut fünf Monate vor den Aufführungen am 21. und 22. September, ist der Einstieg noch möglich. Geprobt wird alternierend in Altrip, Westheim und Berghausen, jeweils samstags von 10 bis 13 Uhr in ­14-tägigem Rhythmus.

Risikofaktor zwei sind die Finanzen. Honorare für zwei Solisten und Musiker sind zu stemmen. Was Letzteres angeht, bewährt sich die Partnerschaft, die Schmidt seit Jahren mit der Bläserakademie Brühl pflegt. „Das bescherte die attraktive Möglichkeit, nicht auf die Kammerfassung zurückgreifen zu müssen, sondern das Werk mit einem sinfonischen Blasorchester und zusätzlich Perkussion präsentieren zu können.“ Freilich: Allein für das Notenmaterial der Bläserfassung, exklusiv vom Schott-Verlag und nur als Leihmaterial zugänglich, sind 900 Euro zu zahlen. „Aber das lohnt sich“, sagt Schmidt, „und wird uns ganz neue Publikumskreise zuführen.“

Schon in der Probenendphase befindet sich ein anderes kirchenmusikalisches Vorhaben, das ebenfalls den gängigen Repertoirerahmen verlässt. In der Stiftskirche Landau wird am Karfreitag die „Messa da Requiem“ von Giuseppe Verdi aufgeführt. Dass Kantorin Anna Linß sich anderthalb Jahre nach ihrem Einstieg gleich mutig an dieses jenseits protestantischer Tradition verortete Stück heranwagt, hat kritische Stimmen auf den Plan gerufen.

Auch hier galt der erste Blick dem nicht eben üppigen Budget. Eine mittlere fünfstellige Summe war anzusetzen, denn allein das große Orchester mit bis zu acht Trompeten verschlingt Unsummen. Andererseits darf Anna Linß sich der breit angelegten Unterstützung durch Kirchengemeinde, private Sponsoren und den Förderverein für die Kirchenmusik an der Stiftskirche in Landau gewiss sein. Außerdem weiß die Planerin das Projekt durch die Einnahmen vergleichsweise sparsamer Konzerte untermauert.

Mit rund 130 Stimmen ist die Landauer Stiftskantorei geschaffen für eine solch außergewöhnliche Aufgabe. Und über die Maßen motiviert dazu. „Klar ist die Gottesdienstmusik, sind Schütz, Bach, Mendelssohn unser Kerngeschäft“, formuliert es die Chorsängerin Dagmar Rheude. „Aber der Verdi öffnet uns Fenster in eine ganz andere Welt, weitet den Blick. Und die Art des Singens, der Stimmführung ist eine ganz andere. Davon profitieren wir wieder beim Choralsingen.“

Linß hat ihre Einsingübungen vor den Proben klug dem angepasst, was die Tongebung bei Verdi erfordert. Nicht zuletzt spielt der italienische Sprachduktus, auf den sie eisern achtet, eine große Rolle. Flankierend hat sie Stimmbildnerin Vanessa Katz für einen Tag lang engagiert, die mit kleinen Stimmgruppen arbeitet. „Das Werk ist ein bewegendes, tief spirituelles Zeugnis von großer Eindringlichkeit und überwältigende Suggestivkraft“, sagt die Kantorin. „Und wir werden davon zehren, wenn wir an Weihnachten mit Händels „Messias“ sozusagen wieder in unseren Breiten anlangen.“ Gertie Pohlit

Bedeutende Werke und ihre Komponisten

Die „Carmina Burana“ sind seit ihrer Uraufführung am 8. Juni 1937 in der Oper von Frankfurt in schier ungebremstem Siegeszug durch Konzertsäle gerauscht, haben Film- und Fernsehkarriere geschrieben.

Carl Orff hat die aus dem 11. und 12. Jahrhundert stammenden, in Mittelhochdeutsch, Latein und Französisch verfassten Texte zu einem Opus um Glück, Liebe, Sehnsucht nach dem Frühling, aber auch die Sünde der Völlerei, Trunksucht und Habgier geißelnden Mahnung gebündelt. Er verwendet dabei häufig Kirchentonarten, archaische Modi und peitschende Rhythmik, feiert aber vor allem die Kraft der Melodie, gerne als Strophenlied. Der Ton bleibt bei aller Raffinesse volkstümlich.

Giuseppe Verdi schrieb seine „Messa da Requiem“ unter dem Eindruck des Todes von Alessandro Manzoni, dem Dichter der italienischen Freiheitsbewegung und engen Freund. Er vollendete damit ein Werk, das nie zur Aufführung gelangt war: Das „Libera me“, das er zum Tode Rossinis als Teil eines kollektiven Opus mit anderen Komponistenkollegen angeregt hatte, war Opfer säumiger Lieferanten und schlechter Vorbereitung gewesen.

Jetzt, nach dem Erfolg der „Aida“, wollte Verdi mit dem Requiem sein „Opus Magnum“ schreiben. Wer auf die Idee verfallen könnte, der Opernstar habe sich in der Kirchenmusik nur „verirrt“, möge seiner dem menschlichen Wohl verpflichteten Persönlichkeit nachspüren. Zudem: Als bescheidener Organist im bäuerlichen Roncole hatte der Gastwirtssohn seine musikalische Laufbahn begonnen. gpo

Aufführungen

Giuseppe Verdi: „Messa da Requiem“, Karfreitag, 19. April, Stiftskirche Landau, Landauer Jugendkantorei, Landauer Stiftskantorei, Solisten, Mannheimer Kammerphilharmonie, Karten zu 23, 18 und 13 Euro bei der Buchhandlung Trotzkopp, Ostbahnstraße 7, Telefonnummer 06341/?87982 sowie der Engel-Apotheke, Marktstraße 90, Telefonnummer 06341/86661.

Carl Orff: „Carmina Burana“, Samstag, 21. September, Kirche St. Michael in Brühl, Sonntag, 22. September, Regino-Zentrum Altrip; Projektchor „Prochoro“, Solisten und Brühler Bläserakademie, Leitung: Tobias Nessel (Brühl) und Christiane Schmidt (Altrip). gpo

Meistgelesene Artikel