Maximal eine halbe Stunde

Sicherheitsauflagen für Chorproben machen das musikalische Arbeiten mit den Sängern derzeit schwer

Eingeschränktes Chorgefühl: Maurice Croissant bei der Bassprobe in der Johanneskirche Pirmasens. Foto: Seebald

Chöre dürfen seit Anfang Juni wieder proben. Aber die Einschränkungen, Auflagen und Sicherheitsbestimmungen lassen ein musikalisches Arbeiten nahezu komplett in sich zusammenschrumpfen. Das geben die Kirchenchorleiter, quer durch die Pfalz und Saarpfalz befragt, nahezu einhellig zu Protokoll.

Kurz vor den Pfingsttagen hatte der Chorverband Rheinland-Pfalz mit seiner Petition eine Reaktion der Landesregierung in Mainz auf den Weg gebracht, die das allgemeine Probenverbot immerhin aufhob. Aber dem explizit formulierten Wunsch nach Perspektive damit kaum Rechnung trägt. Denn der Einschränkungskatalog ist umfangreich, enorm zeit- und personalaufwändig, dabei letztlich musikalisch nicht zielführend, wie zum Beispiel die Chorleiter Gerhard Betz und Peter Kusenbach, die die Kirchenchöre in Annweiler und Steinfeld betreuen, erläutern.

Wie bei vielen der kirchlichen Ensembles im Land tendiert auch bei ihnen der Altersschnitt eher gen Seniorenchor. „Ein Proben in Kleingruppen, dazu noch mit drei Meter Abstand zwischen den Singenden – das überfordert meine Leute einfach“, so Betz. Hinzu kommt, dass die verordnete Dauer von maximal 30 Minuten Probe kaum Effizienz aufweist. „Da ist man gerade mal eingesungen.“

Danach müssen die Singenden nach Hause entlassen werden, nach der viertelstündigen Lüftungsaktion darf eine weitere Kleingruppe proben. Allerdings sind, wie schon zu Beginn, jetzt nochmals Stühle, Notenpulte, Noten – falls Leihexemplare –, Handläufe, Türklinken und Toiletten zu desinfizieren. Während der Proben sollen Türen rundum offen bleiben; bei warmem Wetter ist das in Ordnung, wenn es unfreundlich ist, holt man sich statt Corona eben eine Erkältung.

Ganz schlechte Karten haben die Chöre in der Saar-Pfalz. Dort gilt zum Redaktionsschluss ein absolutes Probenverbot für Innenräume. Das Gartenlokal freilich hat seine Wettertücken. Vor allem aber entsteht bei drei Metern Abstand im Freien nicht annähernd so etwas wie Ensemble-Klang. „Wer sich das ausgedacht hat, war garantiert noch nie Singender in einem Chor.“ Stefan Ulrich, Bezirkskantor in Homburg, wird daher vorderhand keine Chorproben anbieten. „Nicht zuletzt fehlen ja auch die Ziele, denn Chorkonzerte sind nach wie vor untersagt.“

Ähnliches ist aus St. Ingbert zu vernehmen, wo neben dem Kirchenchor auch die Gruppe „Saitenschiff“ erst einmal im Wartestand bleibt. „Bei uns kommt hinzu, dass die Instrumente Technik benötigen und im Freien einfach der Sound nicht klappt“, gibt Marco Schweigerer zu bedenken. Und hat auch gleich noch eine kleine Episode zum Thema parat: Als seine Co-Leiterin Karina Bauer mit einer kleinen Gruppe von Sängerinnen „ordentlich auf Abstand“ in einem Garten probte, bekam sie Besuch von der Polizei. Eine Nachbarin hatte sich offenbar durch den Gesang gestört gefühlt.

Zurück in die Pfalz, wo offenbar ein Großteil der Chorgemeinschaften unter den gegebenen Bedingungen erst einmal weiter pausieren möchte. Kusel etwa mit Tobias Markutzik zählt dazu, ebenso Altenkirchen, wo Martin Fornoff bislang seinen kleinen Kirchenchor per Videokonferenz über die Zeit gebracht hat, aber jetzt noch zuwarten will, bis er wieder auf ein Ziel zusteuern kann.

Das Bedürfnis, endlich wieder gemeinsam singen zu dürfen, ist fraglos immens. Beim „Chorvolk“ ebenso wie bei den Leitenden. Und etliche wagen denn auch den mühevollen Einstieg, einfach um mal wieder Probenluft zu schnuppern, auch wenn sie dünn und hinsichtlich der musikalischen Gipfelgefühle nebelverhangen ist.

Susanne Roth-Schmidt war über das Funktionieren der Einstiegsprobe mit ihren 30 Kurrende-Kindern an der Landauer Stiftskirche, jeweils 30 Minuten in drei Altersgruppen, angenehm überrascht. „Selbst die Kleinen haben vorbildlich ihre Plätze eingehalten.“ Allerdings fragten alle ständig, wann endlich das Musical geprobt werde. „Zukunftsmusik“ könnte es im Untertitel heißen.

Bezirkskantorin Anna Linß hat für ihre gute Hundertschaft an Stiftskantoreilern einen ausgeklügelten Plan erarbeitet, der sich über zwei Abende dehnt und sowohl Register-, reine Männer- als auch gemischte Formationen aufweist. Da etliche von außerhalb Landau dazukommen, musste sie auch Ehepaare und Fahrgemeinschaften berücksichtigen; denn für 30 Minuten Singen anzureisen, ist im Grunde purer Luxus.

Bezirkskantor Maurice Croissant verfolgt mit seiner Kantorei an der Johanneskirche Pirmasens ein ganz ähnliches Konzept, probt auch mit dem Jugendchor wieder. „Die großen Mankos – fehlende inhaltliche Ziele, kurze Probenphase, aufwändige Hygiene – das ist nicht verhandelbar“, räumt er ein. „Wichtig ist, dass wir wieder Kontakt bekommen, die Lust am Einfach-da-sein, am – wenn auch eingeschränkten – Chor-Feeling ist mit Händen greifbar.“

Und es gibt nicht wenige Seniorinnen und Senioren, die deutlich machen, dass sie lieber ein Risiko in Kauf nehmen, als die letzten Jahre ihres Lebens auf das Liebste zu verzichten: das Singen in ihrem Kirchenchor. Gertie Pohlit

Gema-Hinweise am Rande der Freiluftprobe

Zunächst glaubt man, sich verhört zu haben. Der Justiziar des Chorverbands Südpfalz warnt, dass beim Proben unter freiem Himmel Gema-Kosten entstehen könnten. Jene Gesellschaft für Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte, die seit mehr als 100 Jahren die Urheberrechte per Notenschrift fixierten geistigen Eigentums schützt, würde bei Gesang im öffentlichen Raum womöglich Gebühren erheben. Nicht für „Der Mond ist aufgegangen“, aber durchaus etwa das „Notre Père“ von Maurice Duruflé.

Die Politik also schickt Chorgruppen zum Üben in Gärten, Parks und auf Kirchvorplätze – und das soll dann auch noch Geld kosten? Die Nachfrage bei der Gema-Zentrale in Berlin, im Schmunzelton brüsker Überzeugung vorgetragen, dass es sich gewiss um ein bisschen Corona-Hysterie handelt – verflixt – bestätigt aber diese Version.

Fakt sei, erläutert die Frau an der Auskunftshotline, die ihren Namen nicht nennen will, dass Passanten, vom Chorgesang angelockt, stehenbleiben, lauschen, eventuell gar Beifall spenden könnten. Und wenn dann der Zufall es obendrein einfädele, dass ein Gema-Mitarbeiter, wie es sie überall in der Republik gibt, am Ort des Geschehens vorbeischlendere, wäre eine Anzeige so gut wie sicher. Auf die auch prompt eine Rechnung auf den Weg geschickt würde.

Der etwas aufgebracht vorgetragene Hinweis diesseits der Leitung zur Corona bedingten Zwangslage der Chöre, die im Freien proben sollen oder – wie im Saarland – nur so proben dürfen, setzt eine neue Nachfrage bei einem weiteren Sachbearbeiter in Gang. Nach langem Verharren in der Warteschleife kommt die korrigierte Auskunft: Ja gut, es darf geprobt werden im öffentlichen Raum. Kostenfrei. Aber ohne womöglich Spenden einzutreiben. gpo

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