Luxus in schnörkellosen Wohnbauten

Die Ebertsiedlung in Ludwigshafen hat der jüdische Architekt Markus Sternlieb im Bauhausstil entworfen

Er züchtete Kaulquappen und baute Korkschiffchen in den Kriegsruinen: Günther Kanzler wohnte als Kind in der Ebertsiedlung in Ludwigshafen-Friesenheim. Foto: Lohnes

713 Wohnungen auf rund 300 Metern Länge: Die 1930 fertiggestellte Ebertsiedlung in Ludwigshafen-Friesenheim. Fotos: pv

Vorbildliche Architektur: Betreutes Planschbecken für Kinder in der Ebertsiedlung.

Das Leben in der neuen Ludwigshafener Wohnsiedlung war purer Luxus nach den harten Jahren des Ersten Weltkriegs. Warmes Wasser kam aus dem Hahn, man musste nur drehen. Eine durch Fernwärme gespeiste Zentralheizung machte es im Winter in den mit Einbauschränken und Bad ausgestatteten großzügigen Wohnungen mollig warm. In den Spielhöfen mit gepflegtem Grün gab es beaufsichtigte Planschbecken für die Kinder. Eine eigene Infrastruktur bot alles in der Nähe, was man sich an Komfort nur wünschen konnte: 18 Ladengeschäfte, eine Kneipe, eine Polizeistation, einen Kindergarten, eine Zentralwaschküche mit Waschmaschinen – selbst eine Rundfunkstation mit eigenem Programm.

Einmalig und vorbildlich in Architektur, Technik und Ausstattung in ganz Deutschland war die Ebertsiedlung im Ludwigshafener Stadtteil Friesenheim, die von 1927 bis 1930 im Bauhausstil entstand: Schnörkellos und zweckdienlich sind die denkmalgeschützten, in unauffälligem Beigeton gestrichenen Wohnblöcke, die der jüdische Architekt und Stadtbaumeister Markus Sternlieb (1877 bis 1934) nach dem Ideal des „Neuen Wohnens“ entwarf. Die Ästhetik rückte im Sinne einer „neuen Sachlichkeit“ in den Hintergrund. Nüchtern, ornamentfrei und den Menschen dienlich sollte das Wohnen sein.

Nach dem Ersten Weltkrieg reagierte die Stadt Ludwigshafen mit dem Bau neuer Siedlungen auf die Wohnungsnot und drohende Verelendung vieler Menschen, erzählt Peter Nauert. 23 Jahre lang war er Hausverwalter in der Ebertsiedlung der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft GAG. Benannt ist die symmetrisch angelegte Großsiedlung, deren dreigeschossige Wohnblocks sich auf ungefähr 300 Meter erstrecken, nach dem SPD-Politiker und Reichspräsidenten Friedrich Ebert (1871 bis 1925). Erholen konnten sich die Menschen im angrenzenden Ebertpark, der 1925 als „grüne Lunge“ der Industriestadt entstand.

„Die Ebertsiedlung war nie eine Arbeitersiedlung“, räumt Nauert mit einem sich hartnäckig haltenden Gerücht auf. „Hier lebten wohlhabende Leute, Rechtsanwälte, Ärzte, Akademiker“, sagt der Autor eines Buchs über die Ebertsiedlung. Begehrt wie einst, aber erschwinglich seien heute die 713 Wohnungen in neun unterschiedlichen Typen, erzählt Nauert bei einer Führung anlässlich des Begleitprogramms zu einer Sonderausstellung zu Ernst Bloch und dem Bauhaus.

Zu sehen ist die Schau über die Architektur in Ludwigshafen und das Verhältnis des Philosophen Bloch (1885 bis 1977) und seiner Frau, der Architektin Karola Bloch (1905 bis 1999), bis 31. Oktober im Ludwigshafener Ernst-Bloch-Zentrum. Vor 100 Jahren entstand das von 1919 bis 1933 bestehende Bauhaus, das als einflussreichste Schule für Architektur, Design und Kunst des 20. Jahrhunderts gilt.

Als undeutsch lehnten die Nationalsozialisten den Bauhausstil ab und erweiterten die an das Ludwigshafener Straßenbahnsystem angeschlossene Siedlung ab 1934, erzählt Nauert. Im Zweiten Weltkrieg erlitt die Mustersiedlung mit ihrer Kastanienallee durch die zentrale Ebertstraße schwere Zerstörungen. In den teilweise ausgebombten Wohnungen richteten sich die Menschen wieder häuslich ein, brachen Löcher für die Kamine ihrer Kohleöfen durch die Wände. Ab 1953 wurde die Siedlung erweitert und später saniert – noch immer lebt dort ein mittlerweile 95-jähriger Erstbewohner, dessen Eltern einen Friseursalon führten.

Ganz eigene Erinnerungen hat indes der 75 Jahre alte Günther Kanzler an seine Kindheit in der Ebertsiedlung. Die Ruinen seien „ein toller Abenteuerspielplatz“ gewesen, sagt er. In den unterirdischen Versorgungsgängen vom Fernheizwerk zur Siedlung habe er unter anderem „Kaulquappen gezüchtet und Schiffchen aus der Korkabdeckung der Rohre gebaut“. Die Armut nach 1945 habe bei den Bewohnern zu einem großen Zusammenhalt geführt. 15 Jahre sei die Ebertsiedlung als Kind sein Revier gewesen, sagt Kanzler und fügt scherzend hinzu: „Hier ziehe ich wieder ein.“ Alexander Lang

Weitere Veranstaltungen

Matthias Ehringer vom Bereich Denkmalschutz und Denkmalpflege der Stadt Ludwigshafen spricht am Donnerstag, 26. September, 18 Uhr, zum Thema „Neues Bauen“.

Neben den drei großen Siedlungen, Ebertsiedlung, Westendsiedlung und Christian-Weiss-Siedlung, werden die Einzelbauten des Geschwister-Scholl-Gymnasiums von 1926/1927, das Shell-Haus, ein Verwaltungsgebäude der Rhenania-Ossag-Mineralölwerke von 1926/1927, und das ehemalige Zent­ral­umspannwerk, ein Verwaltungsbau von 1927 bis 1929, vorgestellt und ihre Bauhausparallelen untersucht. Der Eintritt kostet fünf, ermäßigt 2,50 Euro.

Bauen und Wohnen wird auch das Thema des „Talk bei Bloch“ am Mittwoch, 23. Oktober, ab 18 Uhr sein. Wie das Thema in Zeiten von steigenden Miet- und Kaufpreisen, knappem Wohnraum und zunehmender Urbanisierung ganz Deutschland bestimmt, was diese Situation für die Gesellschaft bedeutet und wie fairer Wohnungsbau funktioniert, darüber sprechen unter anderen Johanna Coleman, Geschäftsführerin BASF Wohnen+Bau­en GmbH, Wolfgang van Vliet, Vorsitzender GAG Ludwigshafen, Kurator und Publizist Arne Winkelmann sowie Willibrord Zunker vom Mieterverein Ludwigshafen. Der Eintritt beträgt fünf, ermäßigt 2,50 Euro. red

Meistgelesene Artikel