Luther und Johannes Eck in Leipzig

500 Jahre Leipziger Disputation – Folge: Die Loslösung Luthers und seiner Anhänger von der Papstkirche

Aus ökumenischer Sicht hat es 1519 in Leipzig nur Verlierer gegeben: Martin Luther in der Disputation mit Johannes Eck. Foto: wiki

Leipzig vor 500 Jahren: Vom 27. Juni bis 16. Juli 1519 setzten sich Martin Luther und andere Reformatoren mit dem Theologen Johannes Eck über grundsätzliche Fragen des Glaubens und der Kirche auseinander. Diese Leipziger Disputation bedeutete die Loslösung Luthers und seiner Anhänger von der Papstkirche.

Am 24. Juni 1519, einem heißen Sommertag, rumpelten zwei Wagen durch das Grimmaische Tor Leipzigs. Auf dem ersten saß der Theologe Andreas Bodenstein (1486 bis 1541), genannt Karlstadt, samt umfangreicher Reisebibliothek. Im zweiten Gefährt folgten Philipp Melanchthon (1497 bis 1560), der junge Herzog Barnim von Pommern-Stettin (1501 bis 1573), Ehrenrektor der Universität Wittenberg, und Martin Luther (1483 bis 1546) selbst. An die 200 bewaffnete Wittenberger Studenten begleiteten die Reformatoren als Sicherheitstruppe.

Johannes Eck (1486 bis 1543) weilte bereits seit zwei Tagen in der Stadt. Der berühmte Theologe hatte auf großes Gefolge verzichtet; ihn begleitete nur der Benediktiner Johannes Ulrich Schulherr. Während die Reformatoren im Haus des Buchdruckers Melchior Lotter in der Hainstraße Quartier nahmen, soll Eck bei Bürgermeister Beringershain in der Peterstraße, Ecke Thomasgässchen, untergekommen sein.

Die Leipziger Bevölkerung nahm regen Anteil an dem Ereignis, aber das Publikum kam teils von weit her, um der Disputation beizuwohnen. Hussiten sollen aus Böhmen angereist sein. Und auch ein Priester namens Thomas Müntzer (1489 bis 1525) soll sich unter den Zuhörern befunden haben. Später hat sich der Bewunderer Luthers radikalisiert und ist als Sozialrevolutionär auf dem Schaffot geendet.

Prominentester Zuhörer war der Gastgeber selbst: Herzog Georg von Sachsen (1471 bis 1539), später „der Bärtige“ genannt. Gegen die Bedenkenträger der Theologischen Fakultät hatte er Leipzig als Veranstaltungsort durchgesetzt. Zum einen wollte er damit das Ansehen seiner Landesuniversität stärken, zum anderen sich selbst eine Meinung über die reformatorischen Ideen bilden. Doch worum ging es eigentlich bei der Leipziger Disputation? Und wie war es dazu gekommen?

Ende 1518 hatte Johannes Eck, Theologieprofessor an der Universität Ingolstadt, zwölf Thesen gegen Karlstadt veröffentlicht, mit denen er aber in Wahrheit Martin Luther selbst angriff. Daraufhin entwickelte sich ein gelehrter Schlagabtausch zwischen Luther und Eck. Nun bot wiederum nicht Luther, sondern Karlstadt dem Ingolstädter eine öffentliche Diskussion über die strittigen Fragen an. Ob Luther überhaupt daran teilnehmen durfte, stand bis kurz vor Beginn noch gar nicht fest.

Aber natürlich waren von Anfang an Eck und Luther die Hauptdarsteller des Spektakels. Und längst war klar, dass es hier nicht mehr um ein akademisches Geplänkel unter Theologen ging, sondern um Grundsätzliches: Auf der Tagesordnung standen nahezu alle Fragen, die in der Folge evangelische und katholische Christen trennen sollten, zum Beispiel, ob der Papst als die höchste Autorität der Christenheit anzusehen sei.

Die Disputation fand in der Hofstube der Pleißenburg statt, an der Stelle, wo heute das Neue Rathaus steht. Die Kontrahenten standen sich an zwei Pulten gegenüber; die Zuhörer ließen sich auf der Seite des von ihnen jeweils bevorzugten Redners nieder. Derjenige, der an der Reihe war, stand zu seiner Rede auf, der andere hörte sich die gegnerischen Argumente sitzend an. Wir müssen uns die Szenerie also in etwa vorstellen wie eine Sitzung im britischen Unterhaus. Bisweilen ging es auch ähnlich laut und turbulent zu. Jedenfalls sorgte eine Leipziger Bürgerwache in der Hofstube für Sicherheit.

Der Ablauf einer solchen Disputation folgte genauen Regeln: Jeder Disputant musste alle Argumente des Gegners nacheinander „abarbeiten“, selbstverständlich auf Latein. Überdies mussten die Redner so langsam sprechen, dass die Protokollanten jedes Wort mitschreiben konnten. Durch diese Vorgaben wurde die Disputation streckenweise zu einer zähen und ermüdenden Angelegenheit. Die Herren von der Leipziger Theologischen Fakultät, die, im Gegensatz zu zumindest Teilen der Leipziger Bevölkerung, für Eck Partei ergriffen hatten, sollen darüber tatsächlich eingenickt sein.

Am 27. Juni begann die Disputation mit einem Gottesdienst in der Thomaskirche. Der Thomanerchor sang eine zwölfstimmige Messe, die Thomaskantor Georg Rau eigens zu diesem Anlass komponiert hatte. Danach zog die Prozession feierlich in die Pleißenburg. Der erste von 17 Disputationstagen begann. Zunächst trat Karlstadt gegen Eck an. Es ging um den freien Willen und wie es sich mit den guten Werken und der göttlichen Gnade verhielt. Karlstadt machte keine gute Figur. Er war kleingewachsen und unansehnlich, wirkte fahrig; seine Rede war schlecht zu verstehen. Außerdem litt er noch unter den Folgen eines Malheurs, das ihm bei der Ankunft widerfahren war: Vor der Paulinerkirche hatte es einen Radbruch gegeben, Karlstadt war vom Wagen in den Straßenkot gefallen.

Der Martin Luther von 1519 war noch nicht der Luther, den wir von den späteren Cranach-Gemälden kennen. Augenzeugen beschreiben ihn als hager, freundlich, aber scharf in der Sache. Eck dagegen war groß und kräftig, eine beeindruckende Gestalt. Luther hielt ihn für einen Aufschneider, aber Eck war ein Theologe von europäischem Rang und als Disputierer gefürchtet, für seine umfassende Bildung ebenso wie für seine Schlagfertigkeit. In der Tat glaubte er, mit den Provinzlern aus Wittenberg leichtes Spiel zu haben.

Doch Luther mangelte es ebenfalls nicht an Selbstvertrauen. Er gab sich betont ungezwungen. Angeblich wegen der Hitze hielt er während der Disputation einen Strauß Nelken in der Hand, an dem er zur Erfrischung hin und wieder schnupperte. Und er hatte einen Helfer an seiner Seite: Unablässig wuselte sein hochgelehrter Freund, der kleine Philipp Melanchthon, um ihn herum, um ihm Ratschläge zuzuflüstern, was Eck ungeheuer auf die Nerven ging.

Das hielt ihn freilich nicht davon ab, seine Stärken auszuspielen. Und tatsächlich gelang es Eck, seinen Gegner auf gefährlich dünnes Eis zu locken: Eck warf Luther vor, es mit der Lehre des böhmischen Ketzers Hus zu halten, und Luther ließ sich zu der Erwiderung hinreißen: „Lieber Hr. Doctor, non omnes Articuli Hussititci sunt haeretici.“ – „Nicht alle hussitischen Lehrsätze sind ketzerisch.“

Jan Hus (um 1370 bis 1415) hatte eine uneingeschränkte Autorität des Papstes bestritten und die Bibel zum Maßstab allen menschliche Lebens erklärt. Dafür war er 1415 auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden. Plötzlich stand der Vorwurf der Ketzerei im Raum! Unversehens war aus dem akademischen Gespräch ein Spiel auf Leben und Tod geworden.

Als Luther merkte, dass er in die Falle getappt war, gelang es ihm nur mit knapper Not, seine Äußerung so hinzubiegen, dass sie gerade noch als unverfänglich durchgehen konnte. Aber eins stand fest: Er hatte verloren. Eck triumphierte. Während Luther und seine Entourage wutschnaubend den Rückzug nach Wittenberg antraten, ließ sich Eck in Leipzig ganze elf Tage lang als Sieger feiern.

Allerdings hatte die Party ein Nachspiel: In einem Brief an seine Ingolstädter Kollegen hatte sich Eck ein bisschen sehr offenherzig über das Leipziger Bier und die Leipziger Prostituierten ausgelassen. Das Schreiben gelangte an die Öffentlichkeit, und die Wittenbergische Propaganda zog natürlich alle Register, Eck als Trunkenbold und Wollüstling dastehen zu lassen. Und selbst den Vorwurf der Ketzerei wussten die Reformatoren im Nachhinein für sich auszunutzen: Später hat Luther sich offen zu Hus bekannt, und die deutschen Protestanten haben den böhmischen Reformator zu seinem Vorgänger stilisiert.

Wer hat also gewonnen? Die Frage lässt sich nicht eindeutig beantworten und ist auch ziemlich gleichgültig. Das wichtigste Ergebnis der Leipziger Disputation bestand in einer Klärung der Fronten: Auf der einen Seite wurde Luther sich über seine eigenen Auffassungen klar und konnte seine reformatorische Theologie weiterentwickeln. Auf der anderen Seite wusste Rom nun endgültig, woran es war. Olaf Schmidt

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