Krisenintervention und Menschlichkeit

Psychosoziale Beratung für Flüchtlinge in der Erstaufnahmeeinrichtung Speyer ist stark nachgefragt

Ein Stück Hoffnung in Farbe: Dieses Wandbild in der Erstaufnahme-Einrichtung Speyer haben Flüchtlinge gestaltet. Fotos: pv

Arbeiten bei der Sozial- und Verfahrensberatung Hand in Hand: Diakonie und Caritas.

Orte der Isolation und der Perspektivlosigkeit“, so bezeichnen rheinland-pfälzische Flüchtlingshilfe-Organisationen Erstaufnahme-Einrichtungen in ihrer Reaktion auf die versuchte Selbstverbrennung eines Flüchtlings aus Aserbaidschan in Hermeskeil. Die Verzweiflungstat sei auch eine Folge des immer weiter verschärften Asylrechts und der immer längeren Kasernierung von Flüchtlingen.

Dass diese Probleme auch in der Speyerer Erstaufnahme-Einrichtung so gesehen werden, wird bei einem Besuch dort deutlich. Seit 1. Juli ist diese als solche offiziell in Betrieb. Noch sind nicht alle der künftig rund 55 bis 60 Mitarbeiter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge in das Gebäude eingezogen. Letzte Bauarbeiten laufen. Aber die Mitarbeiter der Sozial- und Verfahrensberatung der Caritas und der Diakonie haben im Haus 15 gut zu tun. Juristische Schriftstücke, Dublin-Verfahren, Familiennachzug: Fragen gibt es genug. Wegen des Status als Erstaufnahme-Einrichtung wurden diese Stellen jüngst noch einmal aufgestockt, sagt Helmut Guggemoos vom Diakonischen Werk Pfalz, Beauftragter der Landeskirche für Migration und Integration. Hinzu kommen die Schwangerschaftskonfliktberatung und eine Psychologin des Psychosozialen Zentrums Pfalz in Ludwigshafen, die mehrmals pro Woche die Erstaufnahmeeinrichtung für Sprechstunden besucht. An einigen der Stellen ist das Land finanziell beteiligt.

In ihren Gesprächen komme eine ganze Palette an Belastungen zur Sprache, erklärt die Psychologin. „Ich habe den Eindruck, fast jeder hat ein Trauma, nicht immer ploppt es aber direkt auf.“ Neben Erfahrungen im Krieg oder auf der Flucht – viele strandeten lange Zeit in Griechenland – sind dies auch die Raumsituation in der ehemaligen Kaserne, das Aufeinanderprallen von Religionen und Kulturen, Angst vor Interviews mit Behördenmitarbeitern. Manche reagieren extrem verängstigt auf Uniformen – etwa von Polizisten. Gutachten über Traumata, häufig überdeckt von dem Alltagsstress, sind wegen Zeitmangels allerdings nicht möglich in den Beratungen. Mehrheitlich geht es um Krisenintervention.

Für die Flüchtlinge sei es wichtig, dass jemand da sei, der unvoreingenommen mit ihnen spricht, Menschlichkeit zeigt, sie einmal in den Arm nimmt, schildert sie ihre Erfahrungen. Und selbst diese Hilfe können einige Klienten nicht annehmen. „Sie fühlen sich ausgefragt.“ Sicherheit gebe vielen, dass sie eigene Dolmetscher von außerhalb der Einrichtung mitbringe. „Viele haben sonst Angst, dass alles im Camp weitergetratscht wird.“ Und manchen helfe der Glaube an einen wie auch immer vorgestellten Gott, hat sie festgestellt.

Die Klienten kommen über ein ganzes Netzwerk der Erstaufnahme-Einrichtung in die psychosoziale Beratung. Mitarbeiter des Betreibers „European Homecare“ werden hellhörig, wenn ein Flüchtling angespannt wirkt, das Zimmer nicht verlässt oder häufig weint. Kontakte bestehen zur Security, zum Infopoint, der Mensa oder dem Kindergarten in der Einrichtung. Und nicht zuletzt zur Verfahrensberatung. Die Psychologin wird auf ihrem Gang durch die Erstaufnahmeeinrichtung häufig direkt angesprochen. Ein Flüchtling, der in Frankenthal lebt und arbeitet, sorgt sich um seine Frau, die in der Einrichtung lebt und nachts aus Angst nicht schlafen kann. Außer einem Gespräch und Medikamenten kann die Psychologin nicht viel anbieten. Erst müsse das Verfahren abgewartet werden, erklärt sie ihm. Eine frustrierende Begegnung für beide Seiten. „Ich muss einen Weg finden, damit umzugehen.“

Klar ist für Helmut Guggemoos jetzt schon: Das neue Bundesgesetz, das einen längeren Aufenthalt in der Erstaufnahme-Einrichtung möglich macht, ist eine Herausforderung für Flüchtlinge und Helfende. „Das Stresslevel wird sich noch erhöhen“, sagt auch die Psychologin. Auch deshalb plane die Diakonie, ihr Unterstützung zukommen zu lassen, sagt Guggemoos. Im psychosozialen Zentrum Pfalz in Ludwigshafen soll eine neue Stelle geschaffen werden. Der Einsatzort wird dann unter anderem in der Erstaufnahme-Einrichtung sein. Florian Riesterer

Druck zumindest abmildern

Ministerin will Ausbau von psychosozialer Betreuung für Flüchtlinge

Nach der versuchten Selbstverbrennung eines Flüchtlings in der rheinland-pfälzischen Erstaufnahmestelle in Hermeskeil bei Trier will Integrationsministerin Anne Spiegel (Grüne) die psychosoziale Betreuung der Asylbewerber ausbauen. „Wir können den Druck, der auf den Menschen lastet, nicht ganz nehmen, aber ihn abmildern“, sagte sie.

Den Beschäftigten der Erstaufnahmestelle bescheinigte sie, vorbildlich auf die Verzweiflungstat des aserbaidschanischen Asylbewerbers reagiert zu haben. Ein Augenzeuge habe geistesgegenwärtig zu einem Feuerlöscher gegriffen, dank des beherzten Eingreifens und der schnellen Alarmierung der Rettungskräfte habe „Schlimmeres“ zunächst verhindert werden können. Der 34-Jährige war nach der versuchten Selbstverbrennung in eine Spezialklinik gebracht worden, sein Gesundheitszustand ist weiterhin kritisch.

Spiegel sagte, ihr Ministerium prüfe die Auswirkungen der im August beschlossenen Änderungen im Flüchtlingsrecht. Das „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ des Bundes sieht unter anderem vor, dass Asylbewerber ohne Kinder statt für bisher maximal sechs Monate nun für bis zu eineinhalb Jahre in Erstaufnahmestellen untergebracht werden können. Es solle daher mehr Beschäftigungsangebote geben, die den Bewohnern eine sinnvolle Tagesstruktur verschaffen. Außerdem solle Deeskalationstraining für Beschäftigte ausgebaut werden, kündigte die Ministerin an. epd

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