Kreuz und Grab unter einem Dach

Die Grabeskirche in Jerusalem: Ort tiefster Frömmigkeit und emotionaler Ausbrüche • von Hartmut Metzger

Besucher warten nach Ostern 2017 vor der bereits restaurierten Grabeskapelle auf Einlass. Foto: epd

Vorplatz und Eingang zur Grabeskirche im christlichen Viertel von ­Jerusalem. Foto: epd

Gläubige drängen zur steilen Treppe auf den Golgatha-Felsen. Foto: epd

Wenn es heilige Stätten gibt, ist sie der heiligste Ort der Christenheit: Sie umschließt den Felsen Golgatha und die Grabkammer. Die Stätte der Kreuzigung und das leere Grab der Auferstehung sind hier unter einem Dach vereint; eifersüchtig bewacht von sechs Konfessionen, die an Ostern immer wieder heftig bis handgreiflich miteinander streiten, wer wo wie lange beten darf.

Die Grabeskirche in Jerusalem ist ein Ort der tiefsten Frömmigkeit und der emotionalen Ausbrüche zugleich. Hier sorgt jede noch so kleine Veränderung für Konflikte zwischen den Konfessionen. Die Protestanten sind in dieser Kirche (glücklicherweise?) nicht präsent.

Die lautstarken Streitereien zwischen Kopten und Armeniern, Syrern und Äthiopiern, Katholiken und orthodoxen Griechen sorgen immer wieder für Aufsehen. Besonders kritisch wird die Situation in der Karwoche, wenn Touristen, Prozessionen und geführte Reisegruppen dicht an dicht in die Kirche drängen. Im Eingangsbereich ist die Selbstbeherrschung westeuropäischer Reiseleiter besonders gefordert, wenn sich andere Gruppen durch deren Reihen kämpfen wollen. Sogar israelische Soldaten mussten schon einschreiten, als griechische und armenische Priester heftig aneinandergerieten. Einige Mönche wurden an jenem Palmsonntag in Handschellen abgeführt.

Es ist daher sehr erstaunlich, dass sich die Vorsteher der drei für die Verwaltung zuständigen Konfessionen wenige Wochen vor diesen Osterfeiertagen zusammenrauften und die Grabeskirche auf unbestimmte Zeit schlossen. Aus Protest gegen Israels „systematische Kampagne gegen die Kirchen und die christliche Gemeinde im Heiligen Land“ hatten die Leiter der Griechisch-Orthodoxen, der Katholiken und der Armenier am Sonntag, 25. Februar, diese Maßnahme ergriffen. Tausende Pilger und Touristen standen vor dem verschlossenen Tor.

Anlass war ein Gesetzesvorhaben des israelischen Parlaments, das die Verstaatlichung kirchlichen Grundbesitzes ermöglichen soll, und die Absicht der Stadtverwaltung Jerusalems, auch bei Kirchen Grundsteuer zu erheben. Die Forderungen hätten sich auf rund 150 Millionen Euro belaufen. Dabei geht es allerdings auch um Gebäude, die keine Kirchen sind, etwa Restaurants und Gästehäuser. Die evangelische Erlöserkirche blieb aus Solidarität den Montag über zu.

Bereits nach drei Tagen, am Mittwochmorgen um 4 Uhr, war die Jerusalemer Grabeskirche wieder offen. Ministerpräsident Netanjahu hatte zügig eingelenkt und angekündigt, die umstrittenen Pläne vorerst auszusetzen. Zunächst solle mit allen Beteiligten verhandelt werden. Die Grabeskirche ist eben auch ein Wirtschaftsfaktor für Jerusalem und für Israel – besonders vor Ostern im Heiligen Land.

Theophilos III., griechisch-orthodoxer Patriarch von Jerusalem, Francesco Patton, katholischer Kustos des Heiligen Landes, und Nourhan Manougian, armenischer Patriarch von Jerusalem, zeigten sich ebenfalls recht schnell gesprächsbereit: „Wir, die verantwortlichen Vorsteher der Grabeskirche und des Status quo, der die unterschiedlichen Präsenzen und Handlungen an den christlichen Orten in Jerusalem regelt, danken Gott für die heutige Erklärung von Ministerpräsident Netanjahu. Und wir bekräftigen unsere Dankbarkeit all denen, die sich unermüdlich dafür eingesetzt haben, die christliche Präsenz und den Status quo in Jerusalem zu verteidigen.“

Dieser Status quo stammt aus der Zeit des Osmanischen Reichs. Seit 1767 regelt er sowohl die Rechte der Kirchen im Heiligen Land wie auch die Aufteilung der Grabeskirche unter den drei dort seit Langem vertretenen Konfessionen. Im 19. Jahrhundert kamen die Koptische Kirche Ägyptens, die Syrisch-Orthodoxe Kirche von Antiochien und die Orthodoxe Tewahedo-Kirche der Äthiopier hinzu. Der Status wurde in der Mandatszeit der Briten beibehalten und später von Jordanien und Israel übernommen.

Die israelischen Behörden sind erst seit 1967 für die Grabeskirche zuständig, als die Altstadt nach dem Sechstagekrieg unter ihre Verwaltung kam. Viel zu sagen haben sie dort nicht. In der Kirche gilt wegen der unabänderlichen Einteilung der Gebetszeiten auch keine Sommerzeit. Drinnen ist es dann eben eine Stunde später als draußen.

Die Grabeskirche selbst geht auf einen Besuch Helenas, der Mutter des byzantinischen Kaisers Konstantin, im Jahr 325 zurück. Die Stätten von Tod und Auferstehung Jesu Christi wurden spätantiken Zeugnissen zufolge unter einem Venus­tempel entdeckt, mit dessen Bau Rom im 2. Jahrhundert die Verbreitung von Kreuzreliquien und die Verehrung des Grabes unterbinden wollte.

Für die Echtheit des Ortes sprechen neben biblischen und außerbiblischen Quellen archäologische Hinweise sowie die Tatsache, dass der „Schädelberg“ Golgatha zur Zeit Jesu noch außerhalb der Stadtmauern Jerusalems, aber bereits zur Zeit Konstantins innerhalb des Stadtgebiets lag. Die Lokalisierung der Stätte kann im Israel-Museum an dem großen Modell der Stadt (1:50) zur Zeit des zweiten Tempels besonders gut nachvollzogen werden. Der Ort darf als historisch gelten.

Die Grabeskirche wurde wenige Jahre nach dem Besuch Helenas erbaut und im Jahr 335 an der Stelle des römischen Heiligtums eingeweiht. Da das Grab und die Kreuzigungsstätte auf dem Golgatha-Felsen nahe beieinander liegen (geschätzt sind es keine 40 Meter), konnten sie von einer Kirchenanlage mit Rotunde und Basilika umfasst werden. Lange Zeit galt sie als die größte und prächtigste Kirche. Im Byzantinischen Zeitalter und zur Zeit der Kreuzfahrer wurde sie mehrfach zerstört und wieder aufgebaut.

Im Innern der heutigen Kirche liegen die vier letzten Stationen der Via Dolorosa nahe beieinander. Die Ursprünge dieses Leidenswegs Jesu gehen auf die Zeit der Kreuzfahrer zurück. Kreuzwege waren im damaligen Europa eine beliebte Andachtsform. Die Via Dolorosa wurde daher aus Europa importiert. Sie führt – eingedenk der baulichen Veränderungen in der Altstadt – zu den 14 Stationen des Leidensweges Christi: von der Stelle, an der er verurteilt wurde, im heutigen moslemischen Viertel gelegen, bis zur Grabeskirche im christlichen Viertel.

Der Weg führt durch enge, gewundene Gassen, vorbei an Kirchen, Klöstern und Grotten, durch die Basare der Altstadt zu Stellen, die historisch belegt sind, und zu anderen schönen Orten. Der Weg hat sich im Laufe der Jahrhunderte mehrfach verändert, aber er lohnt sich und ist auch für ältere Pilger leicht zu bewältigen.

Wer die Grabeskirche betritt, sieht gleich rechts hinter dem Eingang eine steile Steintreppe, die in den oberen Teil der Kirche zu einer römisch-katholischen und einer griechisch-orthodoxen Kapelle auf dem Golgatha-Felsen führt; die elfte Station der Via Dolorosa. Die zwölfte Station wird durch eine Grube unterhalb eines griechisch-orthodoxen Altars markiert. Der große Salbungsstein auf dem Boden des Vestibüls der Grabeskirche stellt die dreizehnte Station dar. Der Überlieferung zufolge wurde der Körper Jesu hier auf das Begräbnis vorbereitet.

Das Grab Jesu ist die vierzehnte und letzte Station. Das Grab selbst ist mit einer 300 Jahre alten Struktur aus Holz und Stein überbaut, die nach einem Erdbeben 70 Jahre lang durch ein Stahlkorsett gesichert war. Erst zu Ostern 2017 wurde sie restauriert. Das Grab liegt direkt unterhalb des Doms, der alten Rotunde, durch deren runde Fenster das Tageslicht eindringt.

Hier wartet schon eine lange Reihe von Pilgern auf Einlass in den engen Grabraum. Während der orthodoxen Osterfeier züngeln Flammen aus den Öffnungen in den Wänden der Grabeskapelle. Hier wird dramatisch in Szene gesetzt, was der Evangelist Markus ganz sachlich den Engel zu den Frauen sprechen lässt: „Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier. Siehe da die Stätte, wo sie ihn hinlegten!“

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