Kostbar zur Konfirmation mit Goldschnitt

Altes und Neues vom Buch der Lieder – Der Gesangbuchschatz im Zentralarchiv mit rund 1400 Objekten

Meist decken die Sammlungen regionale Räume ab: In dieser Vitrine sind Kostbarkeiten aus der freien Reichsstadt Speyer. Foto: Landry

Gesine Parzich, die Hüterin des rund 1400 Objekte umfassenden Gesangbuchschatzes im Zentralarchiv der Landeskirche, präsentiert ihre neuesten Preziosen mit sichtlichem Stolz. Drei wertvolle Sammlungen wurden dem Archiv im Laufe der letzten drei Jahre übereignet. Zwei davon sind bereits nach allen Regeln konservatorischer Kunst archiviert. Kompetente Zuarbeit leistete Birgit Emmering, die hauptberuflich im Speyerer Landesbibliothekszentrum tätig ist.

„Allein hätten wir das so rasch nicht leisten können“, sagt Parzich, denn Bestandsaufnahme, Fertigung der Legende und Konservierung seien äußerst zeitaufwendige Maßnahmen, oftmals mit weitergehenden Recherchen verbunden. Sammlungen aus Privatbesitz wie Hüther, Apiz und Brauer – kurz und bündig nach ihren Stiftern benannt – seien in ihrer individuellen Ausrichtung besonders spannend. Insgesamt 191 Exemplare umfassen die Übereignungen, die Sammlung Hüther ist mit rund 100 Gesangbüchern die umfangreichste.

Und jedes Stück für sich prunkt mit eigener Persönlichkeit. Als kostbares Konfirmationsgeschenk, vielleicht mit Goldschnitt, in jedem Fall aber mit Bibelspruch und Widmung versehen, war das eigene Gesangbuch noch bis in die Nachkriegsjahre für einen Christen selbstverständlicher Lebensbegleiter. Wo hätte man in den 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ein Leihgesangbuch am Entree zur Kirche in die Hand gedrückt bekommen?

Hinter jedem der handlichen Bände leuchtet ein persönliches Schicksal auf. Das mausgraue Feldgesangbuch etwa, das seinen Besitzer in die Schützengräben des Ersten Weltkriegs begleitete; mit persönlichen Fußnoten versehen, ein berührendes Stück Weltgeschichte im Kleinen. Vielfach geben Randbemerkungen, unterstrichene Verszeilen oder sorgsam eingefügte Lesezeichen auch Aufschlüsse über Lieblingschoräle, Lieblingspsalmen der einstigen Besitzerin. Zuweilen sind Seiten zerfleddert, der Einband abgegriffen. Das Buch hat lang und treu gedient.

„Natürlich erzählen uns die Relikte aus dem 18. und 19. Jahrhundert auch viel über gottesdienstliche Gepflogenheiten, über die Vielfalt an regionalen Liedersammlungen, über Schlichtheit oder Üppigkeit des Besitzstands ihrer Eigner“, sagt Gesine Parzich. Und auch über die konsistorialen Bedingungen ihrer jeweiligen Entstehungszeit. So beschränkte man sich beispielsweise aufgrund der aufwendigen Druckkosten gerade im 18. Jahrhundert meist auf Textbücher mit kurzem Hinweis auf die zu verwendenden Melodien, die damals jedermann kannte.

Meist decken die Sammlungen regionale Räume ab, im Fall Hüther stammt das meiste aus dem Ruhrgebiet, aber auch aus der Schweiz. Kostbarkeiten sind darunter, mit Intarsien verziert, eines vom Rang einer seltenen Preziose gar im mit Samt und Seide ausgekleideten Schatzkästlein verschlossen. Der Sammlung Apitz sind eine interessante Reihe liturgischer Texte zur Hymnologie beigegeben. Die Sammlung Brauer wiederum hat ihren Ausgangspunkt in Homburg und, wie vielfach, war auch hier der Grund der Übereignung ans Archiv, dass „nicht alles umsonst“ gewesen sei. „Die Sammler wollen sichergehen, dass ihre wertvollen Bestände weitergegeben, öffentlich zugänglich und vor allem konservatorisch aufbewahrt werden“, unterstreicht Gesine Parzich. Eine spezielle Seidenpapierlagerung sorgt für licht- und klimataugliche Bedingungen. Und da man mittlerweile alle Bestände in prägnanter Verstichwortung auch ins digitale Gedächtnis eingefügt hat, bieten sich für Recherchen zum Thema Gesangbuch hier beste Voraussetzungen.

Auch die Kollegen der Landesbibliothekszentrale, mit denen das Kirchenarchiv gerne zusammenarbeitet, hüten ein imposantes Arsenal an sakraler Liedliteratur. Da sind aus dem regionalen Sprengel vor allem die Sammlungen des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts interessant; in Worms, Speyer, der „Chur-Pfalz“ und nicht zuletzt in Zweibrücken verlegt. Und richtig: Zweibrücken – da wirkte segensreich und nachhaltig der in Iggelheim geborene Lehrer, Kantor und Komponist Jakob Heinrich Lützel. Ihm, Gründer des Pfälzischen Sängerbunds und zahlreicher Liedertafeln, vehementer Streiter für die große Orgel in der Gründungszeit der Speyerer Gedächtniskirche, verdanken wir eine schier unüberschaubare Zahl von Lieder- und Choralbüchern.

Bis 1951 immerhin war es in Gebrauch, wurde dann vom Evangelischen Kirchengesangbuch abgelöst, dem seinerseits 1994 das Evangelische Gesangbuch (EG) folgte, bis heute gültig für die deutschsprachigen Gemeinden in Österreich, Luxemburg, Elsass-Lothringen und Deutschland. Gertie Pohlit

Der Marathonlauf zum neuen Gesangbuch

In zehn Jahren könnte – nach einer vorsichtigen Schätzung – die Neufassung des Evangelischen Gesangbuchs (EG) bundesweit vorgestellt werden. Ein zeitaufwendiges, viele Menschen in unterschiedlichen Schwerpunktbereichen mobilisierendes Procedere liegt vor allen daran Beteiligten – ein wahrer Marathonlauf.

Ende vergangenen Jahres trafen sich Delegierte aus allen Landeskirchen in Hannover, um die Neugestaltung des Evangelischen Gesangbuchs strukturell vorzubereiten. Für die pfälzische Landeskirche hatte der zuständige Dezernent, Oberkirchenrat Manfred Sutter, seinen persönlichen Referenten Thomas Borchers entsandt. Referate von Kirchenmusikern, Theologen und Soziologen, so berichtet er, lieferten wertvolle Impulse und Stoff für die Diskussionen im Plenum.

„Da ging es zum Beispiel grundsätzlich um die Bedeutung und Aufgabe eines kirchlich verfassten Gesangbuchs“, erläutert Borchers. In welchem Verhältnis werde künftig klassisches und populäres Liedgut vertreten sein? Welche Hörgewohnheiten und Wünsche sollten bedient werden? „Das waren spannende Fragen und viel Stoff für kontroversen Disput.“

In kleineren Gruppen seien Themen wie „Stilistik und Kriterien eines Gesangbuchs“, „Rubriken in Lieder- und Gesangbüchern“ sowie „Kriterien für einen Wochenliedplan“ diskutiert worden. Singbarkeit und – kaum verwunderlich – auch die Digitalisierung lieferten weitere Schwerpunkte. Teilgenommen an der Tagung haben Vertreter der 20 evangelischen Landeskirchen sowie Delegierte von Institutionen und Verbänden, wie etwa dem Evangelischen Posaunendienst in Deutschland, dem Dachverband von rund 30 Posaunenwerken.

Die Beiträge und Resultate dieser ersten großen Zusammenkunft auf dem langen Weg sollen nach Borchers Angaben im Frühjahr in „Liturgie und Kultur – Zeitschrift der Liturgischen Konferenz für Gottesdienst, Musik und Kunst“ veröffentlicht werden. gpo

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